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© dpa

Börse: Aktienkurse: Die Bullen sind los

Neue Sorglosigkeit an den Aktienmärkten: Die Kurse schießen seit Monaten nach oben, doch Experten warnen: Die Stimmung ist besser als die Lage, die Trendwende lässt noch auf sich warten.

Berlin - Die Lage an den Börsen gleicht der Stierhatz im spanischen Pamplona. Wild gewordene Bullen jagen über den Markt, das Publikum jubelt, Mutige werfen sich den Tieren an den Hals und bleiben dabei auf der Strecke. Nichts scheint die Bullen aufhalten zu können – bis zu ihrem blutigen Ende.

Auch am Aktienmarkt sind die Bullen los: Seit Monaten kaufen und kaufen optimistische Anleger Aktien und treiben die Kurse an. Die Aktienindizes Dax, Dow und Co. sind seit März um 40, 50 oder mehr Prozent nach oben geschossen. Befeuert wird der Optimismus von der Hoffnung auf ein baldiges Ende der Rezession. In den USA sinkt die Arbeitslosigkeit leicht, die US-Wirtschaft schrumpft langsamer, die Berichtssaison zum zweiten Quartal verläuft überraschend positiv, die Industrie bekommt wieder Aufträge, der deutsche Export zieht an. Die Wette gilt: Der Aufschwung kommt schneller als gedacht.

„Es ist schwer, nicht bullish zu sein, wenn man auf die fundamentalen Daten blickt“, sagt US-Vermögensverwalter Rob Lutts. „Jetzt muss man investiert sein.“ Goldman Sachs, zuletzt wieder ein Großverdiener an der Wall Street, schließt sich an. „Wir denken, ein neuer Bullenmarkt hat begonnen“, sagt die leitende Investmentstrategin Abby Cohen.

Die Zeichen an der Börse lassen sich tatsächlich auf diese Weise deuten. So notieren etwa der Dax und der breit gefasste US-Aktienindex S & P 500 auf Jahreshöchstständen (siehe Grafik). Den Kursdurchschnitt der vergangenen 200 Börsentage – eine an der Börse viel beachtete Chart-Marke – haben sie hinter sich gelassen. Der V-Dax, der als „Angstbarometer“ die vom Terminmarkt erwarteten Kursschwankungen im Dax abbildet, ist deutlich gesunken: ein Indiz dafür, dass die Anleger ruhigere Zeiten erwarten.

Doch nicht alle auf dem Börsenparkett sind so entspannt. Einige Beobachter warnen vor einem blutigen Ende der Kursrallye – und bremsen die kleinen und großen Anleger, die den seit fünf Monaten dauernden Anstieg der Kurse verpasst haben und über einen Einstieg nachdenken.

Da sich die Berichtssaison dem Ende zuneige und damit ein wichtiger Antreiber ausfalle, gehen zum Beispiel die Aktienexperten der Landesbank Berlin (LBB) „von einer – auch kräftiger ausfallenden – Korrektur an den heimischen Aktienbörsen aus“. Die Analysten sehen den Kursaufschwung ohnehin sehr skeptisch: „Wir sind der Auffassung, dass die euphorischen Kursgewinne seit Mitte März übertrieben sind und auf keinem soliden Fundament stehen.“

Auch die DZ Bank glaubt nicht, dass die Aktien munter weiter steigen. Weil die guten Konjunkturindikatoren und Gewinnschätzungen schon in den Kursen enthalten seien, müsse vielmehr mit einer „hoch volatilen Seitwärtsbewegung“ gerechnet werden. Mit anderen Worten: Anlegern stehen keine ruhigen Zeiten, sondern weitere Stresstests bevor. LBB und DZ Bank sehen den Dax in sechs Monaten bei 5500 beziehungsweise 5400 Punkten – also etwa da, wo er heute steht.

In diesen sechs Monaten kann freilich viel passieren. Eine wachsende Zahl von Anlegern scheint die Aussicht auf eine Berg- und Talfahrt jedoch nicht abzuschrecken. Die Bereitschaft, im kommenden halben Jahr weiter zu investieren, ist zuletzt noch deutlicher angestiegen als das Vertrauen in steigende Kurse. Das Investmentbarometer von J. P. Morgan Asset Management zeigt, dass der Anteil derjenigen, die im nächsten halben Jahr investieren wollen, um 9,3 Prozentpunkte gestiegen ist und mit 38,8 Prozent den höchsten Wert seit Mai 2008 erreicht. Der gewachsene „Risikoappetit“ privater Anleger wird auch von aktuellen Zahlen des Investmentverbandes BVI untermauert. Im ersten Halbjahr 2009 wurden per Saldo 4,9 Milliarden Euro in Aktienfonds gesteckt. Zum Vergleich: In den fünf Jahren zuvor hatten Anleger im ersten Halbjahr zum Teil zweistellige Milliardenbeträge abgezogen.

Diese neue Sorglosigkeit der kleinen Aktien- und Fondssparer wird von den Profis bislang nicht geteilt. „Die Euphorie ist überzogen“, sagt Hans-Jürgen Delp, Anlagestratege bei der Commerzbank. Zwar stünden die großen, institutionellen Investoren – Versicherungen oder Pensionsfonds – am Aktienmarkt „Gewehr bei Fuß“. Viele hätten den Startschuss zur Kursrallye im März nicht gehört und seien nun spät dran. Ihre Aktienquote, also der Anteil des Vermögens, den sie am Aktienmarkt schon angelegt haben, sei aber verglichen mit früheren Jahren immer noch extrem niedrig. Am Freitag hatte zum Beispiel die Allianz erklärt, sie habe ihre Quote seit Jahresbeginn sogar um zwei Punkte auf sieben Prozent gesenkt, und dort solle sie vorerst auch bleiben. Im Jahr 2000 kam die Branche auf etwa 25 Prozent. Nicht eben ein Hinweis darauf, dass der Konzern 2009 mit weitersteigenden Kursen rechnet.

Auch Hans-Jürgen Delp mahnt zur Vorsicht. Auch wenn der Anlageexperte dem Dax zutraut, bis 2011 bis auf 6500 Punkte zu steigen – „das ist kein Thema“ – seien die kurzfristigen Perspektiven an der Börse mager. „Die realen Zahlen waren noch nicht so gut, wie der Dax jetzt nahelegt“, sagt Delp. Der Beweis, dass Unternehmen und Banken die Krise nachhaltig überwunden haben, stehe noch aus. Vor allem in den Bilanzen der Geldhäuser schlummerten noch erhebliche Risiken. „Die Trendwende ist noch nicht da.“

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