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Auch in Deutschland soll Cannabis für den medizinischen Bedarf bald angebaut werden.

© dpa

Cannabis-Markt in Deutschland: Der Deal mit dem Gras

Immer mehr Deutsche lassen sich Cannabis auf Rezept verschreiben. Unternehmen hoffen auf ein Milliardengeschäft – nicht nur hierzulande.

Die größte Hoffnung des kanadischen Unternehmens Wayland heißt Ebersbach und liegt rund 25 Kilometer nördlich von Dresden. Von dieser knapp 5000 Einwohner großen Gemeinde aus will Wayland in Zukunft Europa mit Cannabis versorgen. 2018 hat die Firma dort zum ersten Mal Cannabis für kommerzielle Zwecke angebaut und geerntet. Zunächst nur Nutzhanf für Öle, die nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, denn ein Anbau für medizinische Zwecke ist nicht erlaubt. Noch nicht. Doch genau darauf spekuliert Wayland-Vizepräsident Graham Farrell, wenn er sagt: „Europa ist ein sehr interessanter Markt für uns.“

Tatsächlich gelten Länder wie Finnland, Italien und Großbritannien, in denen medizinisches Cannabis legal ist, als Wachstumsmarkt. Seit über einem Jahr gehört auch Deutschland dazu. Im März 2017 wurde medizinisches Cannabis hierzulande legalisiert. Die Zahl der Patienten, die Cannabisprodukte mit den Wirkstoffen Cannabidiol (CBD) und Tetrahydrocannabinol (THC) erhalten, ist seitdem rasant gestiegen. Laut Wayland waren es im Jahr 2016 rund 800 – der Deutsche Hanfverband schätzt, dass inzwischen 20 000 Kassenpatienten eine Behandlung mit Cannabis erstattet bekommen haben. Und Experten gehen davon aus, dass das erst der Anfang war.

Auch medizinisches Cannabis soll bald in Ebersbach wachsen

Auch Wayland hat für Ebersbach große Pläne. Das Unternehmen kaufte in einem Gewerbepark ein früheres Schlachthaus und gründete die Tochtergesellschaft Mariplant. „Aktueller Fokus des Unternehmens in Ebersbach ist der Anbau und die Weiterverarbeitung von Cannabis mit CBD für frei verkäufliche Produkte“, erläutert Morten Brandt, Generalmanager des Unternehmens für Europa. Bald soll auch medizinisches Cannabis geerntet werden. „Wayland plant, den Anbau auf eine Fläche von 1000 Hektar zu erweitern“, sagt Brandt. Bis 2020 sollen einschließlich des Kaufs des Geländes rund 25 Millionen Euro in den Ausbau der Produktionsstätten investiert werden.

Wayland ist nicht der einzige Akteur aus Kanada, der Deutschland als Schlüsselmarkt für die Cannabis-Distribution in Europa ausgemacht hat. In dieser Woche gab das in Ontario ansässige Unternehmen Aphria bekannt, dass die in Densborn in Rheinland-Pfalz beheimatete CC Pharma GmbH für 18,92 Millionen Euro übernommen wurde. „Als einer der vielversprechendsten Märkte für medizinisches Cannabis hat Deutschland eine bedeutende strategische Priorität für Aphria“, kommentiert Aphria-Chef Vic Neufeld die Übernahme. Damit hat Aphria Zugang zu den 13.000 Apotheken in Deutschland, die von CC Pharma pharmazeutische Produkte beziehen. Da CC Pharma auf dem europäischen Markt aktiv ist, hat Aphria zugleich eine bedeutende europäische Plattform für seine Cannabisprodukte.

Konkurrent Camopy Growth ist ebenfalls in Deutschland unterwegs

Auch der größte kanadische Cannabis-Produzent, Canopy Growth Corp., ist in Deutschland aktiv. Er hatte im Dezember die Tuttlinger Storz & Bickel GmbH, Hersteller medizinisch lizenzierter Vaporisatoren, übernommen. Seine Deutschlandbasis hatte Canopy Growth zwei Jahre zuvor mit der Akquirierung von MedCann in St. Leon-Rot bei Heidelberg geschaffen. Seitdem beliefert Canopy über sein inzwischen in Spektrum Cannabis GmbH umbenanntes Tochterunternehmen Cannabisblüten an deutsche Apotheken. Und spätestens seit das Unternehmen Tilray aus Vancouver-Island, das Cannabisblüten und -öl nach Deutschland verkauft, bekannt gab, dass es Ex-Bundesaußenminister Joschka Fischer in sein Beratergremium berufen hat, dürfte die Rolle kanadischer Cannabis-Unternehmen in Deutschland einer breiten Öffentlichkeit bekannt sein.

Wer am Ende das große Geld mit dem Anbau von Cannabis in Deutschland macht, ist aber noch unklar. Entscheidend dafür ist die Abteilung Zulassung vier des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) – auch Cannabis-Agentur genannt. Das BfArM hat diese Abteilung ins Leben gerufen, um den Anbau der Pflanze zu regeln. Bis Ende 2018 lief eine Ausschreibung, welche Firmen in Deutschland Cannabis zu arzneirechtlich relevanten Zwecken anbauen dürfen, noch läuft die Auswertung der Bewerbungen. 2020 könnten die ersten Pflanzen angebaut werden. „Kanadische Firmen haben einen Vorsprung, weil sie seit Jahren Erfahrungen sammeln konnten“, sagt Georg Wurth, Geschäftsführer des deutschen Hanfverbands. „Mit Investitionen in Deutschland versuchen sie zu signalisieren, dass sie es ernst meinen und ihr Geschäft verstehen.“ Das BfArM habe nämlich Sorge, dass junge deutsche Firmen mit dem wachsenden Geschäft überfordert sein könnten.

Nicht jeder bekommt Cannabis auf Rezept

Doch in welchen Fällen wird Cannabis verschrieben? Geregelt wird das in Paragraf 31 des fünften Sozialgesetzbuches. Hier werden drei Kriterien genannt: Es muss sich um eine „schwerwiegende Erkrankung“ handeln, es darf keine „andere dem medizinischen Standard entsprechende“ Behandlung möglich sein und es muss „eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht“ auf Besserung durch den Cannabis-Einsatz bestehen. Konkrete Erkrankungen, die eine solche Behandlung erfordern, sind also nicht festgelegt. Die AOK teilt auf Tagesspiegel-Anfrage mit, dass 70 Prozent der Anträge zur Behandlung chronischer Schmerzen eingereicht werden. Zu den behandelten Krankheiten gehören daneben auch Multiple Sklerose, Depression und Spastik. Insgesamt habe die AOK seit der Legalisierung 14 500 Anträge auf Behandlung mit Cannabis erhalten. Die Barmer, bei der rund 9,2 Millionen Menschen versichert sind, gibt an, im vergangenen Jahr in 3786 Cannabis-Behandlungen bezahlt zu haben. Bei der etwas größeren Techiker Krankenkasse waren es 2018 insgesamt 2763 Anträge, bei der mit 5,8 Millionen Versicherten deutlich kleineren DAK lag die Zahl bei 715. Die Genehmigungsquote liegt den Angaben der vier gesetzlichen Krankenversicherungen zufolge im Durchschnitt bei circa zwei Dritteln.

Doch auch abseits der medizinischen Nutzung wittern Firmen weltweit ein Milliardengeschäft. Davon zeugen einige Investments der vergangenen Monate. So kündigte Altria, der Mutterkonzern der Zigarettenmarke Marlboro, im Dezember 2018 an, für 1,8 Milliarden US-Dollar 45 Prozent des kanadischen Cannabisproduzenten Cronos zu übernehmen. Und im vergangenen Sommer hatte der Spirituosenhersteller Constellation Brands, der unter anderem das Bier Corona herstellt, seine Beteiligung an Canopy Growth um vier Milliarden US-Dollar aufgestockt und dafür weitere 28 Prozent der Firma erhalten. Der Konzern plant, auch Marihuanagetränke und Schlafdrinks zu entwickeln, wie Canopy-Growth-CEO Bruce Linton dem US-Nachrichtenmagazin CNBC sagte. Liberalisierte Märkte wie im US-Bundesstaat Colorado oder eben in Kanada wecken die Hoffnung, Cannabis als neues Lifestyle-Produkt etablieren zu können.

An der Börse gab es Gewinne

Mit dem Wachstum des Marktes ist die Pflanze auch an der Börse wichtiger geworden. Die Aktien von Canopy Growth und Konkurrenz Aurora Cannabis waren zwischen Anfang 2017 und Oktober 2018 um 670 beziehungsweise 650 Prozent gestiegen. Dann gab Kanada den Konsum vollständig frei – und die Kurse brachen ein. Denn dort häufen sich die Probleme.

Die unerwartet starke Nachfrage führte schnell zu Engpässen bei der Belieferung der staatlichen Online-Bezugsquellen und der staatlich lizenzierten „Pot Shops“. Obwohl die großen Cannabis-Produzenten ihre Kapazitäten ausgebaut hatten, können sie den Bedarf bis heute nicht decken. Das hat Folgen. Wie Kanadas Statistikamt am Mittwoch dieser Woche mitteilte, scheint rund die Hälfte der Marihuana-Konsumenten den Stoff weiterhin aus illegalen Quellen zu beziehen; Marihuana auf dem Schwarzmarkt ist wohl noch immer günstiger als bei einer offiziellen Quelle.

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