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Wirtschaft: Ciliane Dahlen-Friedländer

(Geb. 1921)||Ihrem Namen gerecht zu werden, war ihr Anspruch und Vergnügen.

Ihrem Namen gerecht zu werden, war ihr Anspruch und Vergnügen. Es gab da einen Herrn Eisenhut. Muss fabelhaft ausgesehen haben. Sie sammelte Zigaretten für ihn, während er an der Front kämpfte. Als Herr Eisenhut auf Urlaub nach Hause kam, rührte er die wertvollen Stücke nicht an. Er habe sich das Rauchen abgewöhnt. Incroyable! Hätte er damit nicht bis nach dem Krieg warten können? Eine Taktlosigkeit. Mit dem Herrn Eisenhut war es dann auch bald aus.

Cilianes Erklärungen fielen lakonisch aus. Warum ich ihn geheiratet habe? Na, er war eben ein schöner Mann. Und er hatte einen schönen Namen. Gibt es sonst einen Grund, Männer zu heiraten?

Später war da dieser englische Offizier, extraordinarily good-looking. Mit ihm fuhr sie nach London, damit er sich von seiner Frau scheiden lassen konnte, doch als er seine Frau wiedersah, entbrannte die alte Liebe wieder.

Genug zum Thema Männer. Ciliane blieb bei ihrer Adoptivmutter, die sie vergötterte. – Der Satz ist in beiden Lesarten zutreffend.

Ciliane Dahlen-Friedländer. Dem wohlklingenden, viel versprechenden Namen gerecht zu werden, war ihr zeitlebens Anspruch und Vergnügen. „Dahlen“ hieß vermutlich ihre Großmutter. Friedländer jedenfalls kam von Adoptivmutter Lieselotte, einer berühmten Modezeichnerin und Malerin aus der Zeit der Weimarer Republik. Die Frauen in Lieselottes Skizzenblöcken waren kluge, ein wenig dekadente, aber immer sehr moderne Frauen, die sich ihre eigene Ästhetik schufen. An diesen Bildern orientierte sich auch Ciliane.

„Mich übersieht man nicht“, bemerkte sie ein wenig verärgert, als es doch mal jemand versäumte, sie zu begrüßen. Tatsächlich war sie eine Erscheinung von nachhaltiger Wirkung, mit ihrer roten Ballonmütze, den schlohweißen Haaren darunter und lila Lederhosen. Sie kombinierte gewagt, hatte aber zugleich ein feines Gespür für den schmalen Grat zwischen Extravaganz und schrillem Kitsch.

Ihr Vater war Kapellmeister, ihre Mutter Opernsängerin, sie lebten im Rheinland. Als sie sich scheiden ließen, blieb Ciliane beim Vater. Der schickte sie bald zu einer Freundin nach Berlin, zu Lieselotte. Ciliane wollte zum Theater und machte ihre Sache so gut, dass sie „reichsbeste“ Schauspielschülerin wurde.

Das sei ihr sehr unangenehm gewesen, erzählte Ciliane später. Zu den Nazis hielt sie Distanz, weil Lieselotte aus einer bekannten jüdischen Familie stammte und ab 1933 nur noch unter Pseudonym arbeiten konnte. Lieselotte starb 1973. Für Ciliane blieb sie weiter sehr lebendig. Es war als Zeichen höchster Wertschätzung zu deuten, wenn Ciliane im Gespräch eine überraschende Zäsur setzte: „Hast du eigentlich meine Mutter kennengelernt? Nein? Schade! Ihr hättet euch gut verstanden.“

Ciliane hörte bald nach dem Krieg auf mit dem Theaterspielen. Sie unterrichtete lieber den Nachwuchs, bekam eine Stelle am Schauspielseminar von Hilde Körber, das später in der Hochschule der Künste aufging. Dort konnte sie selbst Regie führen und die Rollen verteilen. Wenn sie sprach, hörte man ihr zu, weil sie aus einem unerschöpflichen Fundus von Namen und Inszenierungen, Sottisen und Anekdoten schöpfte,

Nach der Pensionierung beschränkten sich ihre unterhaltsamen Monologe auf den privaten Hörerkreis ihrer Freundinnen. Wenn Ciliane redete, endete ein Satz nicht, bevor der nächste begonnen hatte. Das konnte eine ganze Stunde so gehen, bis Cilianes Plauderei plötzlich durch eine Sinnesrückkoppelung aus dem Takt geworfen wurde: „Sag mal, du lässt mich die ganze Zeit reden?“

Vor einigen Jahren musste sie wegen einer unangenehmen Sache einige Wochen ins Krankenhaus. Eine kommunikativ schwierige Zeit. Bei ihren Zimmergenossinnen war der theaterkritische Sachverstand nicht ausreichend kultiviert. Am Tag ihrer Entlassung brachten ihre Freundinnen sie nach Hause, und Ciliane verlangte, über alle versäumten Premieren und Vernissagen informiert zu werden. Gelegentlich schlief sie während der nächtlichen Marathonsitzung ein, aber das war noch lange kein Grund, sich schlafen zu legen. Gegen ihren schwachen, oft kränkelnden Körper bäumte sich ihr starker Wille immer wieder auf. Sein Credo: Niemals jammern!

Über Gefühle und Kränkungen verlor sie selten ein Wort. Es klang rätselhaft, wenn sie erklärte, eigentlich ein schüchterner Mensch zu sein, oft peinlich berührt bei gesellschaftlichen Zusammenkünften. Sie war doch stets die selbstbewusste, energiegeladene Dame aus gutem Hause. Auch vermochte sie, ihre Umgebung wider alle Realität in einen Zustand zu imaginieren, der ihrem ästhetischen Anspruch gerecht wurde. Sie lebte an der Schildhornstraße, einer tosenden Hauptverkehrsachse, aber wenn sie von ihrer „fabelhaften“ Wohnung und den schön gewachsenen Straßenbäumen erzählte, meinte man, sie bewohne eine Residenz im Grunewald. Sie konnte Banales in Zuckerwatte kleiden. Hilfreich bei dieser Umdeutung der Verhältnisse war ihr sich verschlechterndes Gehör.

Sie wurde älter. Zunächst nur körperlich. Als auch der Geist gebrechlich wurde und ihr bislang präzise arbeitendes Gedächtnis zu fabulieren begann, brachten ihre Freunde sie ins Pflegeheim. Zunächst war sie begeistert von der Herberge und den netten Gastgebern. Dann schwand auch ihre Imaginationskraft. Ihre Seele war reisefertig. Sie schlief ein. Zum letzten Mal.

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