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Wirtschaft: Das Business fordert: Mehr Kunst!

Denver boomt, aber das reichte den Wirtschaftsbossen nicht. Also holten sie Stararchitekt Daniel Libeskind

Denver - Berliner kennen die Handschrift: Eine dramatische Architektur aus Spitzen und schroffen Kanten, die sich weder ins Lot fügen noch der Schwerkraft gehorchen. Die wenigen Fenster gleichen Schießscharten. Wer das Jüdische Museum in Kreuzberg gesehen hat, wird beim neuen Kunstmuseum von Denver nicht lange rätseln: ein unverkennbarer Libeskind. An diesem Wochenende weiht die Stadt das 90,5 Millionen Dollar teure Kunstwerk mit einem 35-stündigen Festival ein. 62,5 Millionen wurden aus lokalen Steuern bezahlt, nach einer Volksabstimmung. Den Rest spendeten Geschäftsleute. Aber damit ist die ungewöhnliche „public private partnership“ noch nicht beendet.

Um den Stararchitekten buhlt die halbe Welt: Der 60-jährige polnische Jude Libeskind plant oder baut gerade in San Francisco und Singapur, in Ontario, Dresden und Warschau; auch den Wettbewerb um den wohl prestigeträchtigsten Bauplatz hat er gewonnen: Ground Zero in New York. Was verschlägt ihn in die Prärie?

Denver, Colorado, ist eine ansehnliche Stadt, der Flughafen Zwischenstation auf dem Weg in die berühmten Skigebiete von Aspen und Vail. Doch wer würde dieses Regionalzentrum im weiten, leeren Land zwischen Ost- und Westküste in einem Atemzug mit New York oder San Francisco nennen?

Genau das ist die Erklärung, wie Libeskind nach Denver kam. Besser: warum Denver einen wie Libeskind haben wollte. „Wir brauchten einen Architekten“, schreibt die „Denver Post“ in ihrer zwölfseitigen Beilage zur Museumseröffnung, „dessen Handschrift jeden, der in die Rocky Mountains will, überzeugt: Wir müssen in Denver Station machen.“ Die Bürger sind stolz auf ihre Stadt und ihren ökonomischen Erfolg. Öl- und Gasvorkommen, Goldgruben und andere Bodenschätze, Maschinen- und Computerindustrie, Biotech und Telekommunikation lassen Denver seit Jahren boomen. Der kontinuierliche Zuzug ist eine permanente Anerkennung: rund 600 000 leben jetzt in der Stadt, 2,7 Millionen im Großraum. Seit Jahren erleben die USA eine Binnenwanderung vom früher reichen und mächtigen Nordosten nach Westen und Süden. Zudem ziehen Firmen von der Westküste ein Stückchen zurück ostwärts nach Colorado und Arizona, weil das Leben dort preiswerter ist. Doch zum vollen Glück fehlt Denver die Anerkennung als wahre Metropole.

Kunst ist ein Standortfaktor, sagt Deborah Jordy, Direktorin des Colorado-Business-Komitees für die Künste. Kunst erhöht die Lebensqualität, sagt Tom Clark, Vizepräsident der Wirtschaftsförderung. Wenn die Welt in Denver eine Kunstmetropole sieht, wird es einfacher, mehr Betriebe und Spitzenkräfte anzulocken. „Waffenregale und Pick-ups“ beschreibt Clark das gängige Vorurteil.

Dabei war Denver gar nicht so arm an Kunst. Monets, Degas und Warhols hingen schon im alten Kunstmuseum, einem trutzigen Burgbau des Italieners Gio Ponti von 1971. Dank Reichtum und Spendenfreudigkeit der Wirtschaftsbosse waren die beeindruckenden Sammlungen an Kunst der Indianer und des Wilden Westens, an modernen Werken, an afrikanischen und ozeanischen Exponaten so sehr gewachsen, dass nicht einmal mehr zehn Prozent der Bestände gezeigt werden konnten. Doch Stadt und Staat hatten kein Geld in den laufenden Budgets. Im Westen legt man Wert auf niedrige Steuern, nur der schlanke Staat gilt als guter Staat. Haupteinnahmequelle der Städte sind lokale Zuschläge zur Mehrwertsteuer. Darüber entscheiden die Bürger in Volksabstimmungen. 1988 genehmigten sie ein Promille mehr Verkaufssteuer, um Kunsteinrichtungen Geld für laufende Programme zu geben und für Eintrittsermäßigungen, damit mehr Bürger das Kunstangebot nutzen. 2004 wurde der Zuschlag in einem neuen Referendum bis 2018 verlängert.

Nach dem selben Muster baut Denver als erste Stadt im Westen der USA ein leistungsfähiges Nahverkehrsystem – finanziert durch einen 0,6-prozentigen Zuschlag zur lokalen Mehrwertsteuer und die Fahrkarten. Den Nutzen hat auch Siemens, dort kauft Denver die Straßenbahnen. Andere Städte setzen weiter aufs Auto und ersticken im Stau. 1999 folgte abermals per Referendum die Genehmigung der 62 Millionen aus Steuern für den Museumsneubau. Einflussreiche Geschäftsleute drängten berühmte Architekten zur Teilnahme am Wettbewerb, Libeskind gewann.

Aus dem Museumsneubau wurde ein Infrastrukturprojekt, das zwei Straßenblöcke umfasst. „Ich sollte tausend Parkplätze integrieren“, berichtet Libeskind. So entstand der Plan, einen Wohnkomplex neben das Museum zu stellen, in dessen Mitte das Parkhaus versteckt wurde. Den Wert beziffert der private Investor George Thorn auf 100 Millionen Dollar. Auch die Wohnungen sind unverkennbar Libeskind: schräge Wände, bizarre Vorsprünge, verzerrte Balkons und Fenster. Der eine Flügel der Anlage hat einen atemberaubenden Blick auf die Rocky Mountains, der andere auf Museum und Stadtzentrum. Von den 55 Apartments und acht Penthäusern waren die zur Museumsseite rasch verkauft, einige mit Bergblick sind noch zu haben. Für zahlungskräftige Bürger von Denver ist Libeskind eine Sensation, an die Rockies haben sie sich gewöhnt.

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