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Ferak Berlin produziert ein Wirkstoff für Desinfektionsmittel.

© Ferak Berlin

Besuch beim Desinfektionsmittelhersteller: Das derzeit begehrteste weiße Pulver aus Neukölln

Die Firma Ferak produziert einen Wirkstoff für Desinfektionsmittel - und verkauft derzeit eineinhalb Jahresbestände pro Woche. Ein Blick in die Produktion.

Das wohl begehrteste weiße Pulver dieser Tage wird in Neukölln hergestellt. Es heißt Octenidin und ist ein Wirkstoff, der in Wunddesinfektionsmitteln vorkommt. Produziert wird die Substanz von der Firma Ferak Berlin. Seit 20 Jahren gibt es das mittelständische Unternehmen schon, doch so reißend wie im Moment war der Absatz noch nie. Der Grund für die gestiegene Nachfrage ist das Coronavirus und der gestiegene Bedarf an Desinfektionsmitteln.

„Im Dezember und Januar haben wir eineinhalb Jahresbestände gefertigt, die wir nun innerhalb einer Woche verkauft haben“, sagt Thomas Gründemann, Geschäftsführer der Firma. Auch die nächste Charge, die noch durch die Trocknungsanlage muss, sei schon verkauft, erzählt Gründemann. Dass der Absatz derartig steigt, hätte er sich vor dem Coronaausbruch nicht träumen lassen.

Seit einer Woche arbeiten seine 25 Mitarbeiter nun in drei Schichten, um der gestiegenen Nachfrage hinterherzukommen. Sein Labor ist im unhippen Teil von Neukölln beheimatet, irgendwo zwischen Autoverkäufern, Lebensmittelgroßhändlern und Recyclingfirmen.

Zusätzliche Nachtschichten genehmigt

Die Ferak-Mitarbeiter tragen Ganzkörperschutzanzüge, zum Teil sogar Pressluftbeamtungsmasken, und hantieren im hochmodernen Labor nicht nur mit großen blauen Tonnen, sondern vor allem an Computern, Zentrifugen und sogar einem MRT. Mit letzterem wird die Ware zur Qualitätssicherung durchleuchtet.

Hintergrund über das Coronavirus:

In bürokratischen Dingen sonst eher behäbig, hat die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz die zusätzliche Nachtschicht überraschend schnell und unbürokratisch genehmigt, erzählt der 49-Jährige. Die schnelle Bewilligung ist für Gründemann ein Zeichen, dass die deutschen Behörden die Lage ernst nehmen.

Das Octenidin von Ferak ist kein Endprodukt für den Verbraucher, Gründemann verkauft es weiter an Hersteller, die daraus das Desinfektionsmittel mischen, das in den Handel kommt. Dass ein Wirkstoff für ein Mittel oder Medikament noch in Deutschland entwickelt und hergestellt wird, so wie das Ferak in Neukölln macht, ist außergewöhnlich. Gründemann schätzt, dass mehr als 90 Prozent aller Pharmawirkstoffe mittlerweile in Asien gefertigt werden.

Alternative zu asiatischen Herstellern

„Oftmals wird der Wirkstoff aus Asien importiert und hier in Deutschland werden nur die Salben gemischt und die Tabletten gepresst“, erklärt der Firmenchef. Das ist billiger für die Pharmaunternehmen. Die eklatante Abhängigkeit beinhaltet aber auch ein großes Risiko. Genau deshalb befindet sich Gründemanns Firma im Moment in einer Art Schlüsselposition.

Auch die meisten deutschen Großhändler von Medizinprodukten kaufen ihre Ware im europäischen Ausland ein. Die Berliner Firma Medizell etwa verkauft Desinfektionsmittel unter anderen an die Berliner Polizei und Feuerwehr. „Wir importieren unser Produkt Trionic aus England“, sagt Geschäftsführerin Christine Offen. „Derzeit haben wir keinen Lagerbestand mehr, aber Ware ist im Kommen.“

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Die Abhängigkeit vom Ausland kann in Zeiten einer Pandemie fatal sein. Vor einigen Tagen etwa hat Frankreich wegen des Coronavirus alle Schutzmasken beschlagnahmt, um sie für medizinisches Personal verfügbar zu machen. Passiert so etwas, haben auch langjährige Abnehmer im Ausland das Nachsehen.

Bloß nicht selbermachen!

Um den Engpass mit Desinfektionsmitteln zu lindern, dürfen deutsche Apotheker seit dem 4. März Handdesinfektionsmittel vorübergehend selbst mischen, ohne die erforderliche EU-Zulassung. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat eine Ausnahmegenehmigung für das WHO-Rezept erteilt, ein Gemisch aus Alkohol, Wasserstoffperoxid und Glycerin. Vor allem Arztpraxen, deren Vorräte aufgebraucht sind, bestellen die WHO-Mischung. Doch auch hier kommt es zu Lieferengpässen für die Rohstoffe Isopropyl-Alkohol und Ethanol.

Privatpersonen sollten nicht einmal daran denken, Desinfektionsmittel in der eigenen Küche zu brauen, warnt Kerstin Kemmritz, Präsidentin der Apothekerkammer. „Hantieren Sie nicht selber mit solchen Chemikalien, und bringen Sie damit nicht sich und andere in Gefahr.“ Es könne zu Explosionen kommen.

Bis Industrie-Desinfektionsmittel wieder auf den Markt kommen, dürften mehrere Wochen vergehen. Ferak braucht vier bis sechs Wochen, bis eine neue Charge fertiggestellt ist. Die gute Nachricht ist, dass gesunde Menschen kein Desinfektionsmittel brauchen. „Behüllte Viren wie das Coronavirus sind sehr empfindlich gegen Tenside, also Seife“, sagt Gründemann.

Beate Wild

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