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Zum Ofenanzünden nutzt diese Frau Anfang der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts Banknoten. Wenigstens dafür taugten die wertlosen Geldscheine noch.

© picture alliance / Everett Colle

Angst vor der Inflation: Das deutsche Trauma

Wenn das Geld an Wert verliert: Eine Inflation kann bei der Lösung der Schuldenkrise hilfreich sein – doch die Europäische Zentralbank fährt einen riskanten Kurs.

Berlin - Das Ende ist nah, Markus Schübel weiß es. Schon bald wird der Euro im Zuge einer Hyperinflation untergehen, schreibt er im Internet. Eine Weltwährungsreform sei sicher, „umfassende Enteignungen“ ebenso. Dagegen könnten sich Vermögensbesitzer allerdings schützen, lässt er wissen – indem sie seinen Infobrief abonnieren, für nur 247 Euro im Halbjahr. Woher sein Wissen über die Zukunft stammt, will Schübel lieber nicht sagen, am Telefon ist er nicht zu sprechen, Mails beantwortet er nicht. Er ist nur einer von vielen, die die Angst um den Euro in klingende Münze zu verwandeln versuchen. Immobilienmakler berichten von traumhaften Geschäften, Gold war noch nie so wertvoll wie im abgelaufenen Jahr. Sachwerte sind gefragt, die das Vermögen über Krisenzeiten retten. Spätestens, seit die Europäische Zentralbank ihre Grundsätze über Bord geworfen hat und Staaten mit Anleihenkäufen vor der Pleite rettet, fragen sich viele: Ist das Geld noch sicher? Oder ist der Euro bald nur noch 50 Cent wert?

Fünf Billionen Euro haben die Deutschen zu verlieren

Die Angst vor einer Inflation steckt tief. Zwei Währungsreformen im vergangenen Jahrhundert haben sich ins Gedächtnis vieler Deutschen eingebrannt. Der Euro sei stabiler als die Mark es je gewesen sei, versucht Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zu beschwichtigen – doch seine Argumente verfangen nicht. Zwei Zinssenkungen, eine halbe Billion Euro zur Stützung der maroden Banken – seit seinem Amtsantritt Anfang November ist EZB-Präsident Mario Draghi vor allem damit beschäftigt, die Gelddruckpresse in Schwung zu halten. Hinzu kommt der Kauf griechischer und italienischer Staatsanleihen für mehr als 200 Milliarden Euro, den sein Vorgänger angestoßen hat. Draghis Beteuerung, nur „begrenzt“ und „temporär“ Bonds zu kaufen, überzeugt die Skeptiker nicht.

Die Deutschen haben viel zu verlieren: Auf fast fünf Billionen Euro ist ihr Geldvermögen gewachsen. Auf den ersten Blick kaum spürbare Preiserhöhungen können auf Dauer schmerzen: Bei einer Inflationsrate von zwei Prozent besitzt ein Vermögen nach zehn Jahren nur noch 82 Prozent seiner Kaufkraft, bei vier Prozent sind es noch 68 Prozent.

Es gewinnt, wer Gold, Diamanten und Häuser besitzt

Nicht allein die Vermögenden leiden: Renten und Sozialtransfers steigen meist weniger stark als die Teuerung, die Gewerkschaften können nicht so schnell höhere Löhne durchsetzen, wie die Lebenshaltungskosten steigen. Es gewinnt, wer Gold, Diamanten, Gemälde oder Häuser besitzt. Und der Staat. Seine Einnahmen sind an das Preis- und Einkommensniveau gekoppelt, die Schulden sind fix. Auf diese Weise entwertet die Inflation die Schulden, ohne dass dazu ein politischer Beschluss nötig wäre.

An den letzten Währungskrisen hierzulande waren Kriege schuld. Den Ersten Weltkrieg hatte das Kaiserreich über Anleihen finanziert, die von Bürgern gezeichnet worden waren. Ihr Wert verfiel, die Reichsbank nahm es hin. Die Preise stiegen immer rasanter. Im Januar 1920 kostete ein Brief 20 Pfennig Porto, im Oktober 1923 zehn Millionen Mark, keine zwei Wochen später 100 Millionen.

Womöglich käme ein bisschen Inflation der Politik auch heute gelegen. Die deutsche Verschuldung, rund zwei Billionen Euro, stammt aus der Zeit weit vor den Euro-Rettungsschirmen. Nun sind die Schulden so hoch, dass der Spielraum der Politik knapp wird. „Alle Regierungen wollen irgendwann von ihren Schulden nichts mehr wissen“, sagt der Inflationshistoriker Adam Fergusson.

Bürger-Ersparnisse schmelzen, die Politik profitiert

Dass Politiker respektive Staaten ihre Schuldenprobleme gerne über Inflation lösen, haben die US-Ökonominnen Carmen Reinhart und Belen Sbrancia nachgewiesen. Den USA und Großbritannien etwa gelang es damit nach 1945, ihre Verbindlichkeiten in den Griff zu bekommen. Das Mittel: streng regulierte Finanzmärkte und niedrige Zinsen auf der einen Seite, beständige Inflation auf der anderen. Ergebnis: In den Jahren zwischen 1945 und 1980 gab es in den entwickelten Volkswirtschaften häufig real negative Zinsen. Die Ersparnisse der Bürger schmolzen, während die Politiker stillschweigend ihre Lasten loswurden. „Financial Repression“ nennen Reinhart und Sbrancia diese Ära. Womöglich kommt die bald wieder.

Dabei ist die EZB von der Politik vollkommen unabhängig, muss sich von keinem Parlamentarier Vorschriften machen lassen – jedenfalls auf dem Papier. In der Praxis sind die Währungshüter längst vom Schiedsrichter zum Mitspieler geworden. Eine harte Zinspolitik liegt nicht in ihrem Interesse – sie brächte die Schuldenstaaten ins Straucheln. Dann stünde der Euro infrage und auch der Fortbestand der EZB.

Inflation gibt es, wenn die Bank mehr druckt als die Bürger brauchen

Aktuell ist Inflation noch kein Thema, 2011 waren es 2,3 Prozent. Den Unternehmen fehlt in der Krise der Spielraum für Preiserhöhungen. Mit um 1,7 Prozent höheren Preisen im neuen Jahr rechnet etwa Roland Döhrn, Konjunkturchef am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung.

Der Theorie zufolge kommt es nur dann zu Inflation, wenn die Zentralbank mehr Geld druckt, als die Menschen brauchen. Sie geben die überschüssigen Scheine aus, der Handel kann die Preise erhöhen. Das derzeit entstehende zusätzliche Geld, rechtfertigt sich die EZB, komme aber in der Realwirtschaft gar nicht an, die Banken horten es. Erst wenn sie wieder Mut fassten und Kredite an Unternehmen vergeben, speisten sie das Geld in den Kreislauf ein. Spätestens dann muss die EZB die überschüssige Liquidität eingesammelt haben – die Fachleute sprechen von „sterilisieren“.

Stefan Homburg, Finanzwissenschaftler an der Universität Hannover, hält das für ein schwieriges Unterfangen. „Das kann sie im Hinblick auf die realwirtschaftliche Entwicklung nicht so ohne Weiteres machen“, sagte er dem Tagesspiegel. Er hält die EZB für fast handlungsunfähig. „Angenommen, nächsten Monat würden fünf Prozent Inflation gemessen – die EZB könnte nicht viel tun.“ Weder könne sie die Zinsen erhöhen, noch Staatsanleihen wieder auf den Markt werfen und so die Geldbasis verringern; beides würde die Südländer in Bedrängnis bringen.

Experten fürchten: Szenario der Siebzigerjahre könnte sich wiederholen

Homburg rechnet deshalb mit bald steigenden Inflationsraten. Schon jetzt verfehlt die Notenbank ihre Zielmarke von zwei Prozent für den Euroraum deutlich. „Eine trabende Inflation, wie man sie in den siebziger Jahren hatte, ist wahrscheinlich“, befürchtet er. 1973 hatte die Inflationsrate bei 7,1 Prozent gelegen (siehe Grafik). In erster Linie gehe es um Erwartungen, sagt Homburg. Steigende Preise gebe es, wenn die Leute damit rechneten. Das bedeutet: „Auch wenn die Realwirtschaft stagniert, ist Inflation möglich – wie bei der Stagflation in den siebziger Jahren. Es ist erstaunlich, dass diese Phase im Bewusstsein vieler Menschen nicht mehr vorkommt.“ Behält er recht, steht der EZB der schwierigste Job noch bevor – das Geld wieder stabil zu bekommen.

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