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Wirtschaft: Das lange Warten auf die große Reform

Familienunternehmen fühlen sich von der Politik betrogen. Die versprochene Entlastung bei der Erbschaftsteuer verzögert sich

Berlin - Es gibt wenig frohe Gesichter an diesem grauen Oktobertag. Durchgefrorene Verkäuferinnen und Verkäufer, die für mehr Lohn auf die Straße gegangen sind, kehren am späten Montagmittag in die Verdi-Zentrale am Berliner Ostbahnhof zurück. Nach sechs Stunden in der Kälte drängeln sie sich in die Schwingtüren des Gewerkschaftshauses, aufmerksam beobachtet vom Klassenfeind.

Vis à vis dem Verdi-Sitz veranstaltet der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zur selben Zeit einen Kongress zur Reform der Erbschaftsteuer. Aber auch hier gibt es lange Gesichter. Denn die angekündigte Steuerreform und die versprochene Entlastung der Familienunternehmen ist nicht in Sicht. „Eigentlich wollten wir auf diesem Kongress über einen Gesetzentwurf sprechen“, sagt Arndt Kirchhoff, Vorsitzender des BDI-Mittelstandsausschusses, „jetzt ist die Diskussion kontroverser denn je.“

Kein Gesetzentwurf, noch nicht einmal ein Eckpunktepapier hat die Arbeitsgruppe, die von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) und Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) geleitet wird, bisher vorgelegt. Das wird sich bis zum SPD-Parteitag, der an diesem Wochenende stattfinden wird, auch nicht ändern. Weil die Linken in der SPD fürchten, dass reiche Privatleute und Unternehmer bei der Reform der Erbschaft- und Schenkungssteuer zu billig davonkommen, wollen sie den Parteitag mobilisieren. Die Wirtschaft fühlt sich von der Politik betrogen. „Viele Familienunternehmen haben sich auf die Zusagen der Politik verlassen“, sagt BDI-Vertreter Kirchhoff, „seit vier Jahren warten die Unternehmen auf eine Reform, die den Generationenwechsel erleichtert“ – bislang vergeblich. Im Gegenteil: Jetzt fürchtet die Wirtschaft sogar finanzielle Nachteile.

Bislang sind Firmenerben steuerlich begünstigt. Sie haben einen Freibetrag von 225 000 Euro, hinzu kommt noch ein Steuerabschlag von 35 Prozent. Und: Bei der Berechnung des Betriebsvermögens wird nicht der Verkehrswert zugrunde gelegt, sondern der niedrigere Steuerbilanzwert. Das ist verfassungswidrig, entschied das Bundesverfassungsgericht im vergangenen November. Nach dem Urteil muss künftig bei allen Erbschaften der höhere Verkehrswert zugrunde gelegt werden.

Nach Berechnungen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages steigt der Wert des Betriebsvermögens damit um über 260 Prozent. Im Gegenzug sollen Firmenerben, die den Betrieb weiterführen, steuerlich entlastet werden. In welcher Höhe, ist in der Arbeitsgruppe noch unklar. Nicht so beim BDI: „Die Erbschaftsteuer gehört abgeschafft“, fordert Kirchhoff. Wie gut, dass die Verdi-Demonstranten das nicht hören können. Sie haben derzeit nicht viel übrig für Firmen und ihre Erben. Heike Jahberg

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