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Peter Schaar.

© Mike Wolff

Datenschützer Schaar: "Ich sehe einen Mangel an Respekt"

Am Montag berät Innenminister Thomas de Maizière mit Unternehmen, Internet-Experten und Datenschützern über die Sicherheit von Nutzerdaten. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar erläutert, worum es konkret geht - und was die Knackpunkte sind.

Herr Schaar, was ist so schlimm daran, wenn Google Häuser fotografiert, die sowieso jeder sehen kann?

Nicht die Fotos sind das Problem, sondern die riesige Datenbank, in der diese Fotos gespeichert sind und in der sie weltweit angesehen werden können. Diese Datenbank kann mit anderen Daten verknüpft werden, die bei Google oder bei Dritten vorhanden sind.

Was heißt das konkret?

Wenn sich jemand um eine Stelle bewirbt, muss er künftig damit rechnen, dass der Arbeitgeber schaut, wo und wie der Bewerber wohnt. Heute würde der Personalchef dort nie vorbeifahren, auch wenn er die Adresse kennt. Andererseits ist es natürlich ganz wunderbar, wenn ich mir als Wohnungssuchender das Haus und das Viertel im Internet ansehen kann.

Google räumt Hausbewohnern das Recht ein, der Veröffentlichung der Fotos zu widersprechen. Reicht das nicht? Warum braucht man noch einen Google-Gipfel mit Bundesministern?

Es soll ja gerade kein Google-Gipfel sein. Es geht nicht um einen bestimmten Dienst und auch nicht um ein einzelnes Unternehmen, sondern um die Frage, wie mit Geodaten im Internet umgegangen wird.

Was sind Geodaten?

Daten, die mit Adressen verbunden werden und auch Orte, an denen man sich gerade aufhält. Wir sprechen also nicht nur über Google Street View, sondern generell über elektronische Landkarten, Stadtpläne und Satellitenfotos von Gebäuden. Geodaten betreffen auch die Ortung von Menschen per Handytechnologie. Jeder, der ein Smartphone mit sich herumträgt und die Ortungsfunktion aktiviert, muss sich darüber im Klaren sein, dass diese Information gespeichert, übermittelt und gegebenenfalls mit anderen Informationen zusammengeführt wird.

Warum ist das gefährlich?

Jeder Schritt kann nachvollzogen werden. Freunde und Bekannte könnten herausbekommen, wo man ist, natürlich auch der Ehepartner oder der Arbeitgeber.

Was wollen Sie dagegen tun?

Wir brauchen einen verbindlichen rechtlichen Rahmen, der die heimliche Ortung durch Dritte verbietet. Das muss auch technisch sichergestellt werden. Eine Ortung darf nur mit der ausdrücklichen Einwilligung des Bürgers erfolgen, nur für ganz bestimmte Dienste, für eine befristete Zeit und mit ganz klaren Verwendungsgrenzen.

Heute ist das anders?

Ja. Apple – der Marktführer bei Smartphones – sieht in seinen Nutzungsbedingungen eine solche Ortungsmöglichkeit ausdrücklich vor, behauptet aber, die Daten würden nur anonym gespeichert. Es ist aber völlig unklar, ob es nicht doch eine Rückverfolgbarkeit gibt. Das Problem stellt sich aber nicht nur bei Apple, sondern bei allen Handys und Smartphones. Jeder, der ein Handy mit sich führt, kann geortet werden. Und die Ortung ist besonders genau, wenn das Handy die Möglichkeit hat, GPS-Satelliten anzupeilen. Dasselbe gilt für alle Geräte mit W-Lan-Schnittstellen.

Wer ein I-Phone kauft, wird von Apple registriert, I-Tunes speichert die Musikprofile der I-Pod-Nutzer. Google wird als Datenkrake kritisiert, aber macht Apple nicht genau dasselbe?

Ein Unternehmen wie Apple, dessen geschlossene Systeme und Dienste umfangreich genutzt werden, erlangt eine ebenso bedenkliche Datenmacht wie ein Unternehmen, das wie Google ebenso erfolgreich mit offenen Systemen auf allen möglichen Feldern unterwegs ist. Das grundlegende Datenschutzproblem ist in beiden Fällen die Sammlung möglichst vieler personenbezogener Daten von möglichst vielen Menschen und ihre Verknüpfung. Über eine solche Verknüpfung müssen die Leute zumindest informiert werden, und ohne ihre Zustimmung darf es keine Bildung umfassender Persönlichkeits- und Nutzungsprofile geben.

Und Google? Was weiß Google über seine Nutzer?

Der Google-Chef hat kürzlich gesagt, dass sein Unternehmen mehr über die Betroffenen weiß als diese selbst. Da ist was dran. Unser Gedächtnis ist lückenhaft, wir blenden bestimmte Dinge aus oder erinnern uns nicht mehr genau. Aber wer mit wem in E-Mail-Kontakt war, wer mit wem in einem sozialen Netzwerk befreundet ist, wer welche Suchanfragen eingegeben hat, all das wird registriert. Ich gehe davon aus, dass viele dieser Informationen zusammengeführt werden. Dafür gibt es ganz klare Indizien.

Welche?

Nehmen Sie zum Beispiel Google Buzz. Dieser Dienst hat die Daten aus dem G-Mail-Dienst von Google, also der E-Mail-Kommunikation, verwendet. Die Personen, mit denen man intensiver E-Mail-Kontakte hatte, tauchten automatisch auf der Freundesliste bei Google Buzz – für jedermann einsehbar – auf. Unternehmen wie Facebook können aus den Freundeslisten, die man selbst anlegt, den Nachrichten, die man mit anderen Mitgliedern austauscht, Einladungen, denen man folgt und den angeklickten Seiten umfassende Erkenntnisse gewinnen. Der einzelne, der sich in einem solchen Netzwerk bewegt, hat keine Chance, seine Interessen geheim zu halten. Da ja nicht nur die von einem selbst eingestellten Informationen ausgewertet werden, kann etwa auch dann auf die sexuelle Orientierung von Mitgliedern geschlossen werden, die diese bewusst nichts preisgeben.

Warum nicht?

Weil man über Ihre Freunde, deren Vorlieben und Fotos, die Ihre Freunde ins Netz stellen, Rückschlüsse auf Ihre Person ziehen kann.

Auch wenn jemand niemals einem sozialen Netzwerk beitritt, ist er nicht sicher?

So ist es. Wenn Ihre Freunde, Bekannten oder früheren Schulkameraden aktiv sind, reicht das vielfach aus, insbesondere wenn diese ihre E-Mail-Kontaktlisten dem Dienst mitteilen.

Und wenn die Rückschlüsse falsch sind? Kann ich mich von einer falschen digitalen Identität befreien?

Das ist sehr schwierig. Ich kann nicht beeinflussen, wie Dritte über mich denken und was sie über mich ins Netz stellen. Allerdings kann man versuchen, sein Bild im Netz positiv zu gestalten. Dafür gibt es spezielle Firmen, die dafür sorgen, dass positive Informationen über mich als erstes im Netz gefunden werden und negative zurückgedrängt werden.

Immer mehr Arbeitgeber suchen im Netz nach Informationen über Bewerber. Da ist es schon sinnvoll, sein Image im Internet aufzupolieren, oder nicht?

Ich habe kürzlich mit dem Personalvorstand eines großen deutschen Unternehmens über dieses Thema gesprochen. Er hat gesagt: Menschen hätten nun einmal Fehler, ein ungünstiges Foto würde ihn nicht stören. Ich habe ihn dann gefragt, wie er reagieren würde, wenn ein Bewerber im Internet Sympathien für die rechtsradikale Szene erkennen ließe. Daraufhin hat er geantwortet, dass der Bewerber aus ethischen Gründen wohl nicht eingestellt werde. Das ist das Problem. Früher waren die Sphären getrennt – Familie, Freundeskreis, Sportverein, Kirche, Partei oder Arbeit. Heute lassen sich die Informationen aus den verschiedenen Lebensbereichen im Internet miteinander verknüpfen. Mein Arbeitgeber weiß, welche politischen Ansichten ich habe, welchen Sport ich treibe, und wie gut ich darin bin.

Was halten Sie von der Idee, soziale Netzwerke zu einer Löschung von Daten nach einer bestimmten Zeit zu verpflichten?

Das wäre eine Bevormundung. Aber ich hielte es für sehr sinnvoll, wenn bei solchen Diensten Löschfristen vereinbart würden und dass technische Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, um die Daten bei Fristablauf automatisch zu löschen.

Früher haben die Leute den Volkszählern die Tür vor der Nase zugeschlagen, heute chatten die User über intimste Dinge im Internet. Ist Datenschutz eine Altersfrage?

Ja. Je schneller sich der technologische Wandel vollzieht, desto größer wird der Graben zwischen den Generationen. Für heute 20-Jährige ist der Umgang mit der Informationstechnik völlig normal. Diese „Digital Natives“ haben eine andere Wahrnehmung als diejenigen, die mit IT gar nichts zu tun haben oder das Internet nur als Werkzeug benutzen.

Sind Sie als Datenschützer für diese Generation wie der biestige Nachbar, der das Fußball spielen verbietet?

Einige denken, dass wir ihnen nette Sachen wegnehmen wollen, zum Beispiel Google Street View. Es gibt ja sogar Leute, die angekündigt haben, gezielt die Fotos derjenigen ins Internet zu stellen, die Widerspruch eingelegt haben. Ich sehe darin einen Mangel an Respekt. In der Netz-Community muss die Bereitschaft wachsen, die legitimen Interessen anderer zu akzeptieren, auch wenn man deren Sichtweise nicht teilt.

Das Interview führte Heike Jahberg.

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