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10,7 Millionen Hektoliter haben deutsche Winzer in diesem Jahr gelesen - so viel wie seit 1999 nicht. Wegen der hohen Temperaturen ging die Lese, wie hier im rheinland-pfälzischen Nierstein, 2018 besonders früh los.

© dpa

Rekord-Weinlese: Der 2018er wird der perfekte Wein für den knausrigen Deutschen

Der heiße Sommer sorgt für eine Rekordernte - und stabile Preise. Winzer aus allen Anbaugebieten Deutschlands hoffen auf seinen "sensationellen Jahrgang".

Beim dem württembergischen Weingut Aldinger in Fellbach reicht die Chronik zurück bis 1827. In diesen fast 200 Jahren waren die Trauben noch nie in der zweiten Augustwoche geerntet worden. Doch 2018 war alles anders. Wie in vielen Betrieben war auch bei Aldinger die Weinlese in diesem Jahr die früheste seit vielen, vielen Jahren. Auf der Suche nach einem vergleichbaren Jahrgang müsse man noch weiter zurückschauen, recherchierte Gert Aldinger: Um 1400 soll ein ähnlich frühreifer Jahrgang registriert worden sein.

Der extrem heiße und trockene Sommer - der zweitwärmste seit 1881, dem Beginn der Temperaturaufzeichnungen - sorgte bundesweit für eine historisch frühe Lese. Offiziell war sie am 6. August eröffnet worden. Aldinger: „Die Klimaverschiebung ist da, das ist nicht zu bestreiten.“

Mitte September hatten die meisten Weingüter an Rhein, Main und Neckar den größten Teil ihrer Trauben bereits im Keller. In „normalen“ Jahren vergehen vom Austrieb der Reben im April bis zum Lesebeginn etwa fünfeinhalb Monate, in diesem Jahr waren es nur vier. Nur im Rieslingland an der Mosel hat die Lese traditionell später begonnen. Entgegen allen Befürchtungen sind die Ergebnisse trotz der Trockenheit sehr gut, teilweise gar überragend. Egal ob rot oder weiß, ob frühe oder späte Rebsorten: Die Erntehelfer schnitten in allen 13 Anbaugebieten kerngesunde, voll ausgereifte und aromatische Trauben vom Stock und dies bei idealen Mostgewichten.

Die Weinpreise sollen stabil bleiben

Für die Winzer gab es keine aufwändige Selektionsarbeit, kein mühsames Auslesen fauler Beeren, keine Traubenverluste. Auch die Erntemenge ist erstaunlich. Sie wird mit 10,7 Millionen Hektolitern das zehnjährige Mittel von 8,8 Millionen und erst recht den Vorjahresertrag von 7,5 Millionen deutlich übertreffen. Einziger Schwachpunkt des Jahrgangs: teilweise niedrige Säurewerte, weshalb die nur in Ausnahme-Jahren erlaubte Nachsäuerung der Moste vom Weinbauverband erlaubt wurde. Aber viele Verbraucher mögen auch bei Weißweinen gerade die fülligeren Weine mit moderater Säure.

Die üppige Menge des 2018er Jahrgangs wird die leergeräumten Keller füllen und sie sollte, wie Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut erklärt, für stabile Preise sorgen. Wobei der deutsche Verbraucher nach wie vor knausrig ist und im Schnitt nur 2,92 Euro für einen Liter Wein ausgibt. Den kauft er in der Regel im Lebensmitteleinzelhandel, der 79 Prozent des Weinverkaufs abdeckt, davon 50 Prozent über die Discounter. Dem Fachhandel bleiben nur elf Prozent. Die wenigsten Kunden kaufen übrigens gezielt nach Jahrgängen, dies bleibt den Kennern vorbehalten. Die werden sich über den neuen Jahrgang freuen.

Makellose Trauben und ein toller Jahrgang

„Traumhaftes“ Lesegut hat Ludwig Kreuzberg vom gleichnamigen Weingut an der Ahr auf die Kelter gebracht: „2018 wird bei den Rotweinen zu den Top-Jahrgängen gehören, da bin ich optimistisch“. Die Winzer, sagt Kreuzberg weiter, hätten vom sogenannten Sahara-Jahrgang 2003 viel gelernt, deshalb dieses Mal früher gelesen und aufgepasst, dass der Alkoholgehalt der Weine nicht über 13,5 Prozent hinausschießt. Das Ahrtal habe mit heftigen Niederschlägen am 11. Juni „Riesenglück gehabt, so sind wir über den Sommer gekommen". Bei den roten Trauben sieht Kreuzberg neben guten Mostgewichten eine „sensationell tiefe Farbe und sehr gute Tannine“.

Auch in Ostdeutschland redet man von „südspanischen Verhältnissen“, wie Vertriebsleiter Alexander Schau vom Weingut Hey in Naumburg in der Region Saale-Unstrut sagt. Von April bis Mitte September sei kaum Regen gefallen, dennoch sei man ohne Bewässerung ausgekommen. „Dieses Jahr sieht man genau, wo unsere Wasseradern laufen, dort sind die Ergebnisse besser." Am Ende gab's makellose Trauben und einen „tollen Rotwein-Jahrgang“, bilanziert Schau.

Im Kaiserstühler Weingut Dr. Heger in Ihringen haben die Lesehelfer am 13. August die ersten Trauben geholt. Sechs Wochen später war die Lese abgeschlossen. Um die Junganlagen vor dem Austrocknen zu bewahren, musste Joachim Heger „Millionen Liter“ Wasser fahren. Heger erwartet mit der Änderung des Klimas weitere Hitzejahrgänge und denkt darüber nach, in seinen heißesten Lagen eine Anlage zur Tröpfchenbewässerung zu installieren. Die Investition könnte sich lohnen. Auch eine dichtere Bepflanzung mit engerem Stockabstand zahle sich aus, damit sich die Reben gegenseitig besser beschatten. Doch auch ohne derlei Maßnahmen freut sich Heger in diesem Jahr über „superreife und unglaublich gesunde Trauben“.

Der 2018er verspricht lagerfähige muskulös-intensive Rotweine

Der soeben zum deutschen "Riesling-Champion" gekürte pfälzer Spitzenwinzer Philipp Kuhn ist Ende September nach vier Erntewochen auf die Zielgerade eingebogen. Eigentlich wollte er die Lese früher beginnen als am 24. August, aber sein wichtigster polnischer Helfer hat geheiratet. Der habe ja nicht wissen können, dass er schon Mitte August gebraucht wird. „Wir mussten aufpassen, dass uns die Mostgewichte nicht davongaloppieren“, sagt Kuhn. Bei den Weißweinen seien die Säuren zwar tief - „da wird im Mund nichts kratzen und beißen“ - aber noch akzeptabel.

Bei den Roten erinnerten Farbe und Gerbstoffe an Südeuropa. Und: „Du findest dieses Jahr wirklich keine einzige faule Beere!“ Pflanzenschutz war 2018 kein Thema, eine oft unterschätzte, erfreuliche Seite trockener Hitzejahrgänge. Dafür hatten die jungen Rebstöcke, deren Wurzelwerk noch schwach entwickelt ist, Probleme mit der Wasserversorgung. „Bei uns hat es am 4. Juli das letzte Mal geregnet“, bilanzierte Kuhn in der letzten Septemberwoche. In Rheinhessen erklärt der Westhofener Winzer Philipp Wittmann 2018 zum „Wahnsinnsjahr“. Zweimal Starkregen im Juni und August habe die Trockenheit in Schach gehalten und für einen perfekten Sommer gesorgt. Anders als 2003 hätten die Temperaturen die 40-Grad-Marke diesmal nicht erreicht. Deshalb habe es keine Rosinenbildung in den Trauben gegeben und damit auch keine Überkonzentration. Mit der frühen Augustlese habe man die frische Aromatik erhalten können. Die wahre Größe des Jahrgangs, so Wittmann, werde man erst in einigen Jahren erkennen. Was man schon jetzt sagen könne: Der 2018er verspricht lagerfähige muskulös-intensive Rotweine und füllig-cremige Weiße.

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