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Deutsche Bahn: Mehdorn scheitert an Mehdorn

Der Bahnchef hat seinen Rücktritt angeboten. Nicht der Datenskandal brachte ihn zu Fall, sondern sein eigener Hochmut. Die Bahn war Mehdorn und Mehdorn war die Bahn. Wieso musste die Beziehung zerbrechen?

Man stelle sich vor, Hartmut Mehdorn wäre in diesem jüngsten Skandal nicht Hartmut Mehdorn sondern ein anderer, besonnerer gewesen. Er wäre bereits früh vor die Presse getreten, hätte sich artig entschuldigt und versprochen, im Unternehmen aufzuräumen. Er hätte jene Demut gezeigt, die notwendig gewesen wäre, angesichts der Schwere der Vorwürfe, mit denen er konfrontiert war. Vermutlich hätten Öffentlichkeit, Mitarbeiter und Politik ihm verziehen und Gnade walten lassen, bis er 2011 ohnehin abgetreten wäre. Vielleicht wäre dieser Skandal, der ihn nun zu Fall bringt, nie so groß geworden.

Mehdorn aber ist Mehdorn. Und so gebährdete er sich in den vergangenen Wochen wie eh und je: stampfend, besserwisserisch, arrogant. Sprach von "unerträglicher Skandalisierung" , rechtfertigte die Rasterfahndung im Unternehmen mit dem Satz: "Wenn einer klaut, den muss man jagen." Fehler wies er immer wieder von sich, bis zuletzt. Und dass obwohl ständig neue Details der Durchsuchungs-Aktionen öffentlich wurden – zuletzt eine groß angelegte Aktion, bei der E-Mails der Mitarbeiter gefiltert wurden. Schlechter lässt sich nicht mehr kommunzieren.

Mehdorn ist sich bis zuletzt treu geblieben

Selbst am Montag, als Mehdorn seinen Rücktritt anbot, wies er Fehler von sich. Einmal mehr tat er so, als laufe eine große Verschwörung gegen seine Person, sprach von einer "Kampagne zur Veränderung der Unternehmensführung und der Unternehmenspolitik". Die Diskussion habe sich längst von den Fakten abgekoppelt, schimpfte Mehdorn. Dass sein Auftreten und die Informationspolitik des Unternehmens entscheidend dazu beigetragen haben, dass dieser Skandal so hochkochte, verschwieg er.

Wenn man wohlwollend sein will, könnte man sagen, Mehdorn ist sich bis zuletzt treu geblieben. Seit ihn Gerhard Schröder im Jahr 1999 auf den Chefposten der Bahn hob, scheute er keinen Machtkampf. Verlässlich antwortete er auf Kritik im Tonfall des Besserwissenden. Mehdorn gilt als Sturkopf, als schroffer Gesprächspartner, der seine Vorhaben kompromisslos verfolgt. So stieg er zu "BahnchefMehdorn" auf, jener Figur, die im Volk unbeliebter war als jeder anderer Manager.

Wer Mehdorn nicht versteht, muss verstehen lernen

Seinem großen Ziel – den Börsengang des kompletten Konzerns – opferte er auch alte Weggefährten. Als Ersten traf es den Mann, der den Bahn-Chef eigentlich kontrollieren sollte, kurz nach Mehdorns Amtsantritt. Aufsichtsratschef Dieter Vogel wollte, dass der Staat das Schienennetz der Bahn behalten solle, auch nach dem geplanten Börsengang. Das passte dem  Bahnchef gar nicht. Schon damals galt: Wer Mehdorn nicht versteht, muss verstehen lernen. Oder gehen. Mehdorn drängte Vogel mithilfe des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder im Frühjahr 2001 aus dem Amt.

Ein ähnliches Schicksal widerfuhr dem glücklosen Verkehrsminister Kurt Bodewig. Auch er hatte für die Abtrennung des Netzes vom Konzern plädiert, um Wettbewerb auf der Schiene zu ermöglichen. Schröder entmachtete ihn ungefähr zu der Zeit, in der Vogel seinen Posten räumen musste. Ein Jahr später, nach der Bundestagswahl, war Bodewig nicht mehr Verkehrsminister.

Im Jahr 2002 reformierte die Bahn ihre Preise nach dem Vorbild der Lufthansa. Die Bahncard wurde abgeschafft. Eigentlich sollte die Preisreform ein wichtiger Schritt zum Börsengang sein, doch statt Gewinnen bescherte sie der Bahn horrende Verluste. Mehdorn blieb stur. Erst im März 2003, nachdem das Kanzleramt  interveniert hatte, gab er seine Reform auf.

"Das ist typisch für ihn. Er versucht lange, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Erst wenn die Mächtigen ihm Widerstand signalisieren, gibt er klein bei", sagt Markus Wacket, Autor des Buches Mehdorn, die Bahn und die Börse.

Vieles funktioniert über Männerfreundschaften

Vieles funktioniert für Mehdorn über Männerfreundschaften. "Er, Schröder und der damalige Gewerkschaftschef Hansen, das war wie ein Triumvirat", sagt Wacket. Als Angela Merkel Kanzlerin wurde, war der direkte Draht in die Regierung erst einmal gekappt. Mehdorn reagierte mit Umzugsplänen: 2005 wollte er die Konzernzentrale nach Hamburg verlegen. Zugleich sollte die Bahn groß in den Hamburger Hafen einsteigen. Es klappte nicht.

Im Mai 2006 eröffnete die Bahn den neuen Berliner Hauptbahnhof – Mehdorn stritt sich heftig mit dem Architekten des Gebäudes, Meinhard Gerkan. Im Herbst dann ließ der Bahnchef die Waggons der wandernden Deportationsausstellung Sonderzüge in den Tod nicht in seine Bahnhöfe. Verkehrsminister Tiefensee protestierte öffentlich – ohne Erfolg.

Diesen Machtkampf gewann Mehdorn zwar. Danach musste er aber zwei herbe Niederlagen wegstecken: Im Oktober 2007 legte ein SPD-Bundesparteitag den Börsengang erneut auf Eis, gegen den Willen der Parteispitze. Es folgte der furiose Streik der Lokführer. Von Dezember an lieferte sich Mehdorn einen öffentlichen Schlagabtausch mit der Gewerkschaft GdL. In ihrem Chef Manfred Schell stieß er auf einen Gegner, der ihm an Sturheit ebenbürtig war. Erst im Januar 2008 einigten sich die Kontrahenten.

Um Mehdorn wurde es einsam

Öffentliche Streitigkeiten, betriebswirtschaftliche Fehleinschätzungen, der Tunnelblick auf den Börsengang: Wegen all dem wurde Mehdorn immer wieder mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Dass er ihnen bislang trotzen konnte, liegt vor allem daran, dass er es verstand, sich mit den Mächtigen zu verbünden.

Am Ende riss aber auch dieses Band. Um Mehdorn wurde es einsam, weil niemand mehr ihn brauchte. Seit der Börsengang der Bahn im Herbst der Finanzkrise zum Opfer fiel, fehlt der Beziehung zwischen der Politik und Mehdorn die Geschäftsgrundlage. Hinzu kam, dass Mehdorn für einen Kapitalmarktkurs stand, der politisch nur noch schwer zu verkaufen war. Dennoch hätte man in der Union gerne an ihm festgehalten, um seinen Nachfolger in der kommenden Legislaturperiode selbst bestimmen zu können. Doch Mehdorn agierte zu tolpatschig, um ihn ernsthaft im Amt halten zu können.

Zehn Jahre war Mehdorn Chef der Deutschen Bahn, und am Ende war er so mit dem Konzern verwoben, dass Mehdorn die Bahn verkörperte, wie kein anderer. Mehdorn war die Bahn, und das ließ ihn offenbar glauben, die Beziehung sei unzerbrechlich. Jetzt ist klar: Sie war es nicht.

Mit freundlicher Genehmigung von Zeit-Online.

Alexandra Endres, Philip Faigle

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