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Wirtschaft: Die Börse wartet nicht

Viele Anleger haben den Anstieg des Dax seit Mitte März nur als Zuschauer erlebt – lohnt sich der Einstieg noch?

Von Henrik Mortsiefer

und Veronika Csizi

Als der Dax am 12. März nach einem steilen Absturz bei 2202 Punkten schloss, schlug die Stunde der Mutigen. Der Irak-Krieg drohte, die Unsicherheit lähmte den Markt. „Es gibt keine Aktienkäufer mehr“, resignierte ein Händler. Doch es kam anders. Anleger mit Mut zum Risiko und gutem Zeitgefühl stiegen ein – und kauften Aktien. In zwölf Wochen hat der Dax so bis heute rund 34 Prozent gewonnen. 28 Prozent legten Technologieaktien im Tec-Dax zu. Der deutsche Aktienmarkt, der sonst am Tropf der US-Börsen hängt, ließ Dow Jones (plus 15 Prozent) und Nasdaq (plus 23 Prozent) spielend hinter sich.

Doch die schönsten Kursgewinne strichen nur jene Anleger ein, die sich über alle Krisenszenarien, vom Irak-Krieg bis zur Deflationsangst, hinwegsetzten. Die Zauderer schauten nur zu – und ärgerten sich. Viele Unentschlossene horten noch Verlustbringer im Depot und haben bisher vergeblich gehofft, ihre Einstiegskurse wiederzusehen. Der jüngste Anstieg des Dax hat viele nicht vergessen lassen, dass die Bilanz der letzten zwölf Monate immer noch negativ ist: minus 38 Prozent. Inzwischen ist die Unsicherheit an die Börse zurückgekehrt. Seit einem Monat pendelt der Dax um die Marke von 3000 Punkten. Die Euro-Aufwertung, die die deutsche Exportwirtschaft belastet und die Deflationsangst schürt, drückt auf die Kurse der 30 Standardwerte. Und die Aussicht auf eine Zinssenkung im Euroraum ist schon längst in den Kursen verarbeitet. Sollte man also jetzt noch einsteigen? Worauf sollten Anleger setzen? Und wie groß ist das Risiko, in den nächsten Abwärtsstrudel zu geraten?

„Kleinanleger sollten nicht zocken“

„Vergessen Sie zuerst Ihre Einkaufskurse“, rät Vermögensverwalter Frank R. Lingohr jenen Anlegern, die jetzt einen Depotcheck machen. „Fragen Sie sich lieber, ob sie die Fonds und Aktien, die sie einmal gekauft haben, heute noch einmal kaufen würden.“ Denn nicht alles, was einmal empfohlen wurde, muss heute schlecht sein. Nachkaufen können Anleger nach Meinung des Experten international anlegende Investmentfonds mit einer guten Note der renommierten Ratingagenturen Standard&Poor’s (S&P), Feri Trust oder Morningstar, die – auch im Abschwung – besser waren als der Durchschnitt. Und: „Kleinanleger sollten die Zockerei sein lassen“, rät Lingohr. Da man nur selten zwei Mal, also beim Ein- und beim Ausstieg, den richtigen Zeitpunkt findet, sind die Kosten des schnellen Umschichtens zu hoch.

Besser beraten sind Anleger, wenn sie sich von Beginn an auf möglichst viele Kurs- und Zins-Szenarien einstellen. Die Anlageberater der Stiftung Warentest schlagen deshalb im aktuellen „Finanztest“-Heft ein „Garantiedepot Marke Eigenbau“ vor, das eine variable Mischung aus festverzinslichen Papieren und Aktienfonds enthält. Der Mix wird – je nach Risikobereitschaft des Anlegers – so gewählt, dass auch bei einem Wertverlust der Aktien das eingesetzte Kapital erhalten bleibt. Voraussetzung: Der Anleger hat sich einen Überblick über die angebotenen Produkte verschafft und weiß, wie mutig er bei der Geldanlage sein will – und kann.

Ganz ohne Mut geht es an der Börse nicht. Beim Rückblick auf den Mai relativieren sich die Kursgewinne, die der Dax seit März verbucht hat: Nach seinem 21-prozentigen Plus im April legte der Index im Wonnemonat eine Nullrunde ein. Doch die Pessimisten sind nicht unzufrieden. Viele hatten nach schwachen Quartalszahlen, neuen Terrorwarnungen und enttäuschenden Konjunktur-Nachrichten Schlimmeres befürchtet.

Allerdings mussten die Anleger mit heftigen Schwankungen zwischen knapp 2800 und 3000 Zählern leben. „Der deutsche Markt ist weiter fest in der Hand von kurzfristig orientierten Anlegern“, so ein Beobachter. Aktien mit erfreulicher Kursentwicklung wurden rasch verkauft, Nachzügler gekauft. Altana zum Beispiel, im April gegen den Trend im Minus, gehörte mit 18 Prozent Plus zu den Spitzenreitern im Mai. Allerdings halfen hier auch gute  Nachrichten nach. Der Pharmakonzern steht vor der Markteinführung zweier Atemwegs-Medikamente, die Umsätze von bestenfalls rund zwei Milliarden Dollar  erwirtschaften könnten.

Gegen die Nachrichtenlage stemmte sich dagegen die Deutsche Post an die Spitze aller Dax-Werte,  und zwar sowohl im Mai als auch insgesamt im bisherigen Jahresverlauf. Um mehr als 20 Prozent stieg die Aktie Gelb in den vergangenen vier Wochen. „Nicht alles, was das Attribut ,deutsch’ im Namen trägt, muss schlecht sein“, sagt Frank Lingohr, der das Post-Papier neben Daimler-Chrysler und Bayer („100 Prozent unterbewertet“) zum Kauf empfiehlt. Dass die Rating-Agentur S&P die Bonität der Post senkte und mehrere Banken das Papier herunterstuften, interessierte offenbar niemanden.

Schering wiederum, der dritte Kandidat auf dem Dax-Treppchen im Mai, stieg um zwölf Prozent. Beflügelt haben vor allem positive Ergebnisse einer Studie zu einem neuen Krebsmedikament. Der Berliner Konzern hat zudem aus seinen Währungssicherungs-Geschäften bisher noch 36 Millionen Euro Profit gezogen. „Wir können mit dem aktuellen Euro-Kurs leben“, hieß es. Nach einer Studie der Landesbank Baden-Württemberg profitieren nur vier weitere Dax-Werte vom starken Dollar: Adidas-Salomon, Fresenius Medical Care, Lufthansa und Tui. Anders als die Lufthansa , die im Mai verlorenen Boden gut gemacht hat, konnte sich die Tui nach negativen Anaystenbewertungen jedoch nicht gegen Verkäufe wehren.

Alle Dax-Werte im Überblick, Seite 20

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