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Hochgestapelt. Nur 7,2 Prozent der Kunststoffproduktion werden recycelt. Weniger Plastik wäre noch besser als eine höhere Wiederverwertungsquote, doch das ist leichter gesagt als getan.

© IMAGO

Präsident der Entsorgungswirtschaft im Interview: „Die Grünen haben das beste Programm“

Peter Kurth, Präsident des Verbandes der Entsorgungswirtschaft, über mickrige Recyclingquoten, Plastikmüll und den Green Deal der EU.

Herr Kurth, das ganze Elend der Kreislaufwirtschaft wird deutlich an einer Zahl: Der Anteil der Rezyklate, also aufbereitete und wiederverwendbare Stoffe, liegt in der Kunststoffproduktion bei 7,2 Prozent. Warum ist das so wenig?

Wir haben immer noch eine Kunststoffproduktion, die zu wenig auf die Recyclingfähigkeit und die Herkunft der Materialien achtet. Es gibt lobenswerte Ausnahmen, die Firma Werner und Mertz in Mainz etwa mit der Marke Frosch hat kürzlich eine Weltneuheit präsentiert: einen Nachfüllbeutel, der zu 100 Prozent aus Rezyklaten besteht und zu 100 Prozent recyclingfähig ist. So engagierten Mittelständler können jedoch die großen Kunststoffproduktionen von Unilever, Bayer und anderen Konzernen nicht ausgleichen.

Es wird sogar noch schlimmer, weil immer weniger Verpackungen wiederverwertbar sind.
Recycling von Verpackungsmaterialien ist gut machbar, wenn man es nur mit einem Stoff zu tun hat. Ein einfacher Plastikbeutel ist einfach zu recyclen, eine Papierverpackung mit einem eingeklebten Kunststofffenster nicht. Und wenn dann auch noch der Primärrohstoff auf der Basis von Rohöl extrem preisgünstig ist wie im vergangenen Jahr, dann fällt das Rezyklat hinten runter.

Das betrifft die Kunststoffe.
Ja. Bei Papier, Glas und Schrott haben wir erfreulich hohe Recyclingquoten, je nach Materialart von 60 bis 80 Prozent.

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Warum kommen die Entsorger und Verwerter beim Kunststoff nicht weiter?
Wir kommen weiter. Das Thema Kreislaufwirtschaft steht aktuell so weit oben auf der Tagesordnung wie noch nie. Zunächst in Brüssel. Im Mittelpunkt des Green Deal steht die Circular Economy mit einer neuen Produktpolitik. Die EU wird Mindesteinsatzquoten für Rezyklate praktisch für alle Produkte in den nächsten Jahren einführen.

Da sind Sie sicher?
Das ist jedenfalls die Beschlusslage in Brüssel, und nun werden wir sehen, wie weit die Mitgliedstaaten mitziehen. Mit Einsatzquoten für den PET-Bereich, noch von der Juncker-Kommission beschlossen, geht es los. Bis 2025 müssen 25 Prozent der PET-Flasche aus Rezyklaten bestehen, 2030 sind es 30 Prozent.

Das klingt nicht sehr ambitioniert.
Man muss berücksichtigen, welche Mengen die Industrie braucht und was der Entsorgungsmarkt hergibt. Wenn sich der Trend Richtung PET verstärkt, muss die Getränkeindustrie reagieren. Auf der anderen Seite müssen die Entsorger sagen, was sie an Rezyklatmenge zur Verfügung stellen können. Wichtig ist, dass das Fenster aufgemacht wurde für Mindesteinsatzquoten. Brüssel ist seit einigen Jahren der Vorreiter und die EU-Mitgliedstaaten trotten unterschiedlich willig hinterher.

Auch Deutschland. Sie klagen seit langem, dass der letzte Umweltminister, der Akzente gesetzt hat für höhere Recyclingquoten, vor 30 Jahren Klaus Töpfer war.
Das ist leider so. Auch die Union verpasst hier eine große Chance. Wenn wir Industriestandort bleiben wollen und die Klimaziele erreichen möchten, dann brauchen wir eine funktionierende Kreislaufwirtschaft.

Offenbar verstehen Ihre Parteifreunde das nicht.
Im Bundesfachausschuss Umweltpolitik der CDU haben wir das Thema diskutiert, und die dort vertretenen Abgeordneten und Länderumweltminister haben sich einstimmig für Mindestquoten ausgesprochen. Mindesteinsatzquoten sind das wichtigste Instrument, um unsere Wirtschaft zirkulär zu gestalten.

Und was steht im CDU-Wahlprogramm?
Leider ist dort nur von einem banalen Prüfauftrag die Rede. Die Union wird aber voraussichtlich die nächste Regierung nicht allein stellen, und mögliche Koalitionspartner sind bei diesem Thema zum Teil weiter.

Sie hoffen auf die Grünen?
Die Kreislaufwirtschaft kommt nicht umhin festzustellen, dass die Grünen das klarste, differenzierteste und ambitionierteste Programm haben. Die Union wiederum hat den Vorteil, dass sie unternehmerisches Denken und Handeln besser versteht. Aber die Unternehmen selbst sind schon viel weiter. Auch beim BDI gibt es inzwischen einen hochkarätigen Arbeitskreis zur Circular Economy. Nur die Politik läuft hinterher.

Warum ist es so schwierig, einfache, gut recyclebare Verpackungen auf den Markt zu bringen?
Die Marketingleute der Konsumgüterindustrie sagen, die Käuferinnen und Käufer wollen sehen, was in der Tüte drin ist, deshalb die Sichtfenster. Grundsätzlich wird in der Produktentwicklung zu wenig in Richtung Kreislauf gedacht. Nehmen wir als ein weiteres extremes Beispiel den E-Roller: Damit der Akku nicht geklaut wird, ist die Batterie vielfach untrennbar mit dem Gerät verbunden. Der ganze Roller ist am Ende Sondermüll und die Batterie kann nicht recycelt werden. Was der Mensch verbunden hat, muss der Mensch auch wieder trennen können, um Recycling zu ermöglichen.

Peter Kurth ist seit 2008 Präsident des Bundesverbandes der Entsorgungswirtschaft. Zuvor war der CDU-Politiker Vorstand bei Alba und Berliner Finanzsenator (1999-2001).
Peter Kurth ist seit 2008 Präsident des Bundesverbandes der Entsorgungswirtschaft. Zuvor war der CDU-Politiker Vorstand bei Alba und Berliner Finanzsenator (1999-2001).

© imago images/Reiner Zensen

Und das wird dann alles besser mit einem grünen Umweltminister?
Eine neue Koalition, getrieben von Brüssel und den eigenen Klimazielen, die ja glaubwürdig unterlegt werden müssen, wird entschlossen in Richtung Kreislaufwirtschaft gehen.

Nach dem Verpackungsgesetz sollte die Bundesregierung schon bis Ende dieses Jahres weitere Schritte beschließen. Was ist da möglich?
Zum Beispiel eine Verordnungsermächtigung für Mindesteinsatzquoten. Eine solche hat schon mal im Gesetzentwurf gestanden mit Blick auf die Kunststoffe – ist dann aber wieder rausgeflogen.

58,5 Prozent der Kunststoffe, die in der gelben Tonne landen, werden aufbereitet und wiederverwertet. Der Rest geht in die Müllverbrennung oder in den Export.
Der Grundfehler des Verpackungsgesetzes ist der Adressat: Die Entsorger können keine Wiederverwertungsquoten gewährleisten. Entsorger behandeln Abfälle, produzieren aber keine Kunststoffgegenstände. Wir brauchen eine Verpflichtung der Produzenten.

Und das haben die Brüsseler Bürokraten besser verstanden als die vermeintlich so eifrigen deutschen Umweltschützer?
Wir haben in der Kreislaufwirtschaft in Deutschland ein strukturelles Problem. Es ist keiner so richtig zuständig. Das Umweltressort kümmert sich um die Abfallbehandlung und Schadstoffreduzierung. Die Kreislaufwirtschaft fällt aber nicht in die Zuständigkeit des Umweltressorts, eine Umweltministerin kann den Autoherstellern nicht vorschreiben, dass sie zwölf Prozent des Autos aus Rezyklaten machen müssen. Hier wäre das Wirtschaftsressort die richtige Adresse

Und das will die Unternehmen so wenig gängeln wie möglich.
Im Wirtschaftsressort ist die Haltung noch weit verbreitet, die Unternehmen dürften keinesfalls belastet werden, weil sie es am Standort Deutschland ohnehin schwer haben. Und damit fällt die Kreislaufwirtschaft zwischen die Stühle.

Deshalb hätten Sie gerne einen Staatsminister für Entsorgung im Kanzleramt?
Ich möchte einen Staatsministerposten für den Green Deal. Dazu gehört die Verkehrspolitik ebenso wie die Landwirtschafts- und die Energiepolitik oder die Kreislaufwirtschaft. Wenn wir es ernst meinen mit Klimaneutralität, müssen wir mehr tun. In Brüssel geht der Tanker Green Deal von der Leine, und mit Timmermans ist der stärkste Mann in der Kommission für den Green Deal zuständig. Auch das EU-Parlament macht Druck, die Mitgliedstaaten sind das Würstchen im Sandwich. Wer ohne Rücksicht auf Energie- und Ressourcenverbrauch produzieren will, der hat nur noch kurzzeitig eine Chance im Wettbewerb.

Sie haben den E-Roller angesprochen, doch die machen nur ein kleines Segment der E-Mobilität aus. Kommt die Branche beim Batterierecycling in die Gänge?
Auch hier setzen wir auf Brüssel, wo soeben eine neue Batterieverordnung im Parlament diskutiert wird. Die Änderungsanträge der Parlamentarier sind ausgezeichnet. Wir haben die starke Hoffnung, dass das Parlament den Entwurf der Kommission deutlich verbessert.

In welche Richtung?
Eine Pfandpflicht für Batterien ab neun Volt wird diskutiert. Für Autobatterien gibt es die Pfandpflicht schon lange. Für die Kleinstbatterien kann es bei der gegenwärtigen Sammelstruktur bleiben, in jedem Supermarkt können Batterien abgegeben werden, und das funktioniert gut. Problematisch sind Elektrokleingeräte: Rasierer, Toaster oder Küchenwaage müssten eigentlich zum Wertstoffhof gebracht werden, und das machen die Leute eher nicht.

Warum eigentlich nicht?
Mülltrennung funktioniert am besten, wenn sie möglichst einfach und haushaltnah ist. Deshalb brauchen wir die Verpflichtung des Einzelhandels, der vom kommenden Jahr an die Geräte zurücknehmen muss. Dann kommen auch die Entsorger an die Geräte und können Teile der Batterie wiederverwerten. Ein Kreislauf beginnt mit der Sammlung. Derzeit gehen wertvolle Rohstoffe, zum Beispiel Zehntausende Tonnen Kupfer, jedes Jahr in den Ofen. Das ist absurd.

Das Kreislaufwirtschaftsgesetz sieht eine Recyclingquote von 65 Prozent hierzulande bis 2035 vor. Bleibt es dabei?
Eher nein, Quoten haben bei uns keine lange Halbwertszeit. Ich favorisiere ein Zusammenspiel mit der Industrie, die auf Circular Economy setzt – um die Versorgung mit Sekundärrohstoffen zu verbessern und um nachhaltiger zu produzieren. Das ist dann stoffspezifisch. Bei Lithium oder Phosphor etwa werden wir abhängig von Sekundärrohstoffen sein, weil die Primärrohstoffe auf dem Weltmarkt in der erforderlichen Menge nicht zur Verfügung stehen.

Kürzlich ist die Mantelverordnung für mineralisches Recycling durch den Bundesrat gegangen. Was bewirkt die?
Wenn eine Straße gebaut wurde, die über mehrere Bundesländer führt, dann änderte sich die Rechtslage: Bis zur Landesgrenze durften sie bestimmte Materialien verwenden, ab der Landesgrenze nicht mehr. Nach 15 Jahren haben wir nun endlich eine bundeseinheitliche Regelung.

15 Jahre?
Ja. Wir sind viel zu langsam. Und viel zu kompliziert. Dabei hat Deutschland umweltpolitisch schon immer noch einen guten Ruf. In Chile oder Bulgarien hat man unser Duales System kopiert. Wenn wir es als Industrieland hinkriegen, wettbewerbsfähige Produkte mit einem anderen Rohstoffverständnis zu produzieren, dann wird das weltweit Beachtung finden. Das Gespräch führte Alfons Frese.

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