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Viel Feind, viel Ehr. Angela Merkel und „Weisen“-Chef Wolfgang Franz. Foto: dpa

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Wirtschaft: Die Laus im Pelz

Seit 50 Jahren gibt es den Rat der Wirtschaftsweisen – zum Ärger der Politik.

Berlin - Der Kanzler war mehr als skeptisch. „Erhard, woll’n Se sich ’ne Laus in’n Pelz setzen?“, soll Konrad Adenauer einst seinen Wirtschaftsminister gefragt haben, als der einen Beraterkreis aus Ökonomen gründen wollte. Noch drastischer formulierte es Franz Josef Strauß in seiner Zeit als Finanzminister. „Terroristische Beeinflussung“ warf er den Professoren vor, die mit seiner Politik haderten. Einen eleganteren Weg, seinen Unmut auszudrücken, wählte Gerhard Schröder, er zitierte Heinrich Heine. „Anfangs wollte ich fast verzagen, und ich glaubt’, ich trüg es nie. Und ich hab es doch ertragen, aber fragt mich nur nicht wie.“

Ein besonders herzliches Verhältnis haben die Politiker und die, die sie beraten sollen, nie gepflegt. Dabei war es die Bundesregierung selbst, die vor 50 Jahren den Rat der „Fünf Weisen“ ins Leben gerufen hat. Er soll „Fehlentwicklungen“ in Sachen Wirtschaftspolitik aufzeigen und „Möglichkeiten zu deren Vermeidung“. So steht es im Gesetz. Nach Meinung von Angela Merkel ist das zumindest nicht misslungen. Der Rat sei „ein ordnungspolitisches Gewissen“, sagte die Bundeskanzlerin bei der Jubiläumsfeier der Professoren am Mittwoch in Berlin. „Wir haben gelernt, von ihnen angefeuert zu werden.“

Mehrere Dutzend Beraterrunden unterhält die Regierung, doch keine erringt regelmäßig so viel Aufmerksamkeit wie der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“, so der genaue, aber sperrige Titel. Ab dem Spätsommer treffen sie sich in einem Hochhaus-Klotz in Wiesbaden und bewerten auf mehreren hundert Seiten die Wirtschaftspolitik der Regierung. Arbeit „von neun bis neun“ sei das, berichtet einer der Professoren, „das schlaucht“. Im November präsentieren sie ihr Werk der Regierung. Anfangs war der Adressat mäßig begeistert – Ludwig Erhard nahm das erste Gutachten nicht selbst entgegen, sein Pförtner quittierte den Erhalt.

Heute sind die Analysen und Ratschläge oft exakt, aber selten bequem – zumindest für die Regierenden. Trotzdem haben die „Weisen“ die Wirtschaftspolitik über die Jahre entscheidend geprägt – mit dem Konzept der Lohnsteigerungen, die sich an der Produktivität orientieren sollen, mit dem Schwenk zur Angebotspolitik in den siebziger Jahren, mit den Grundzügen der Agenda 2010 oder der Schuldenbremse. Heute sind Wolfgang Franz (Mannheim), Lars Feld (Freiburg), Claudia Buch (Tübingen), Peter Bofinger (Würzburg) und Christoph Schmidt (Essen) im Amt.

Doch die Professoren brillierten nicht immer. Die Finanzkrise sahen sie ebenso wenig voraus wie die meisten ihrer Zunft, und statt der von ihnen prognostizierten Stagnation brach 2009 die Wirtschaftsleistung um 5,1 Prozent ein. In der Euro- Krise fand ihre Idee vom Schuldentilgungsfonds, einer teilweisen Vergemeinschaftung der Verbindlichkeiten, in der Regierung kaum Freunde. „Die hohe Ablehnungsquote unserer Vorschläge ist ein Hinweis auf unsere Unabhängigkeit“, befand der scheidende Vorsitzende Franz auf der Feier dazu. Allerdings ist das Regieren schwieriger geworden – die richtigen Maßnahmen lassen sich oft nur im Verbund mit anderen Ländern durchsetzen, das zeigen die Projekte Bankenunion, Transaktionssteuer oder Klimaschutz.

Trotz aller Unabhängigkeit drehte Merkel am Mittwoch den Spieß um – und beriet die Berater. Wenn dereinst das hundertste Jubiläum anstehe, müsse sich der Frauenanteil im Rat „etwas angeglichen haben“, sagte sie mit Blick auf die einzige Frau neben vier Männern. „Auch wenn wir keine Quote in dem Gremium einführen wollen.“ Carsten Brönstrup

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