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Wirtschaft: Die Lücke bremst

Wirtschaft klagt über zu wenige Fachkräfte und sieht die Schuld bei den Unis.

Berlin - Für Thomas Sattelberger steht der Schuldige fest. Fünf Jahre lang war er Personalvorstand der Telekom und weiß wie kaum ein anderer um die Nachwuchsprobleme in technischen und naturwissenschaftlichen Berufen. Vom „Vollstopfen der Studienpläne“ spricht er am Mittwoch in Berlin, von der mangelnden Qualität und Praxisorientierung an den Universitäten. „Wir müssen dieser Entwicklung dringendst und sofort den Kampf ansagen“, sagt Sattelberger und ist damit in seiner neuen Rolle angekommen. Seit wenigen Tagen ist er Vorsitzender der von den Arbeitgeberverbänden BDI und BDA getragenen Initiative „Mint Zukunft schaffen“. Mint steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Denn trotz einer Zunahme bei den Studienanfängern in diesen Bereichen um 60 Prozent seit 2005 , seien die Abbrecherquoten alarmierend, klagt Sattelberger. „Schon heute existiert eine wachstumsgefährdende Mint-Lücke, die sich zu einer wahren Wachstumsbremse ausweiten kann.“

Die Lücke ist nach jüngsten Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) so groß wie nie zuvor: Fast 210 000 Fachkräfte aus dem Mint-Bereich fehlen demnach in deutschen Unternehmen, bei Ingenieuren und Datenverarbeitungsfachleuten ist der Mangel am größten (siehe Grafik). „Aktuell ist der Arbeitsmarkt in den Mint-Berufen damit deutlich angespannter als während der letzten konjunkturellen Hochphase im Jahr 2008“, sagte der Direktor des IW, Michael Hüther, bei der Vorstellung des Mint-Frühjahrsreports.

Und dabei dürfte es nicht bleiben. Der demografische Wandel, das Wirtschaftswachstum und der technische Fortschritt werden Hüther zufolge den Bedarf weiter steigen lassen. „Denken Sie nur an die Entwicklung der Elektromobilität, an intelligente Stromversorgungsnetze oder an das Thema Robotik und Automation“, sagte auch Gabriele Sons, Hauptgeschäftsführerin des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall. Für den deutschen Arbeitsmarkt ergebe sich dem IW zufolge ein Bedarf von durchschnittlich 107 000 Mint-Absolventen pro Jahr.

Diese würden nicht nur in naturwissenschaftlich-technischen Berufen gebraucht. „Die Querschnittskompetenzen der Mint-Akademiker sind in fast allen Bereichen der Volkswirtschaft gefragt“, sagte Hüther. So arbeiteten rund 225 000 Naturwissenschaftler, Informatiker und Ingenieure in wirtschaftswissenschaftlichen, Management- oder Rechtsberufen, mehr als 150 000 im Dienstleistungsbereich und 110 000 in Medien und geisteswissenschaftlichen Berufen. Auch zugewanderte Spezialisten aus hoch verschuldeten EU-Ländern könnten diese Lücke nicht füllen, meinte Hüther. „Es gibt eine Zuwanderung aus den Krisenländern, aber die Menge löst die Probleme nicht.“ Zudem seien dabei Hürden wie Sprachprobleme zu überwinden. Die Zahl der Arbeitslosen in den Mint-Berufen sei im Übrigen seit 2005 um zwei Drittel auf 72 000 gesunken, sagte Hüther.

Die IG Metall, die sich jüngst mit den Arbeitgebern der Metall- und Elektroindustrie auf 4,3 Prozent mehr Lohn geeinigt hatte, rief dazu auf, zunächst im Inland nach Fachkräften zu suchen. „Es gibt genug Potential in Deutschland, das wir erschließen können“, sagte der Bildungsexperte der IG Metall, Klaus Heimann. Dafür müsste aber die universitäre Ausbildung anwendungsorientierter werden. Sattelberger forderte Universitäten und Wirtschaft dazu auf, Frauen den Weg in naturwissenschaftlich-technische Berufe zu erleichtern – durch mehr Kinderbetreuung, berufsbegleitende und Teilzeitstudiengänge und flexible Arbeitszeitmodelle.

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