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Zwischen Kita und Besprechung. Firmen können auf die beruflichen Potenziale von Wiedereinsteigerinnen nicht verzichten. Und sie fangen an, es zu begreifen. Foto: dapd

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Wirtschaft: Die stille Reserve

Wie Unternehmen Modelle entwickeln, um gut ausgebildete Mütter beim Wiedereinstieg zu unterstützen.

„Haben Sie Kinder?“ Ein „Ja“ auf die gefürchtete K-Frage, das Mütter regelmäßig aus Vorstellungsgesprächen katapultiert, betrachtet Sabine Kober als Gütesiegel einer Bewerberin. „Mütter sind flexibel, stresserprobt, Organisationstalente, Problemlöser und rund um die Uhr im diplomatischen Dienst tätig. Kurz, sie sind für mich die idealen Arbeitnehmer“, sagt die Unternehmerin aus Memmingen, die eine Taschenkollektion und feine Schokoladen vertreibt. Eine Stelle gibt es bei der Betriebswirtin aus Bayern nur mit Baby.

Kobers Jobmodell für Mütter ergab sich zufällig. Als die Firmengründerin 2006 merkte, dass sie Unterstützung braucht, erinnerte sie sich an eine junge Mutter aus ihrem Bekanntenkreis, die dringend einen Teilzeitjob suchte, aber keinen fand. „Auch ich habe erst einmal einen Schreck bekommen, als wir uns über ihre möglichen Arbeitszeiten unterhielten“, räumt die Chefin ein, die selbst keine Kinder hat. „Das waren ausschließlich Abende.“ Doch mit einem Plan, der die einzuhaltenden Fristen festlegte – und der neuen Kollegin ansonsten freie Hand für ihre Tätigkeit im Home Office ließ – wurde das Problem beseitigt. Inzwischen hat die Betriebswirtin zehn Angestellte: neun Mütter und einen jungen Vater, der sich um die IT kümmert.

Kobers Kolleginnen mit kleinen Kindern erledigen zu Hause Verwaltungsaufgaben oder betreuen mit Laptop und Telefon Kunden. Mütter, deren Kinder vormittags in den Kindergarten oder in die Schule gehen, arbeiten stundenweise im Versand. Muss eine Mutter mal kurzfristig absagen, springt eine andere ein. „Um Arbeitsabläufe zu sichern, haben wir einen Notfallplan.“

Lediglich ein Einzelfall einer engagierten Unternehmerin mit einem großen Herz für Kinder? Keineswegs. Was in Amerika oder Skandinavien längst selbstverständlich ist, wird auch in deutschen Unternehmen allmählich zum Trend: Wiedereinsteigerinnen nach der Babypause sind neuerdings willkommen. Prominentestes Beispiel: Gerade rückte die Zeitschriften-Managerin Julia Jäkel in den Vorstand beim Hamburger Verlagsriesen Gruner + Jahr auf. Die 40-Jährige ist Mutter von Zwillingen, die sie erst im vergangenen März zur Welt gebracht hat.

Eine Spitzenmanagerin zwischen Babybrei und Besprechungsterminen – wie soll das funktionieren, fragt sich so mancher konservative Kollege, der sich selbst noch nie für die Kinderbetreuung zuständig sah. Doch „das Problem sind nicht die Mütter“, stellt Unternehmerin Sabine Kober klar. „Das Problem sind Misstrauen und die Bequemlichkeit vieler Arbeitgeber.“ Solange Ferien und Fehlzeiten wegen kranker Kinder von Chefs als unlösbares Problem hingestellt würden, bleibe es schwierig für berufstätige Eltern.

Betriebskindergärten oder gar ein „Baby-Bonus“ von 500 Euro, wie ihn Siemens neuerdings Berufsrückkehrerinnen monatlich bis zur Einschulung ihres Nachwuchses spendiert, wenn sie bereits ihre Kleinkinder unter 14 Monaten zur Kita oder Tagesmutter geben, können deshalb nur der erste Schritt hin zum generellen Kulturwandel sein.

„Effizienz statt Präsenz“ lautet das Motto , dem sich fortschrittliche Arbeitgeber verschrieben haben. Es werden Ziele vorgegeben, das wann, wo und wie verantwortet der Mitarbeiter. Vor allem aber unterstützen individuell angepasste Arbeitszeitmodelle sowohl Frauen als auch Männer dabei, ihrer Rolle als Eltern besser gerecht zu werden und ihre beruflichen Ziele zu erreichen.

Dass dann Teilzeit sogar in Führungspositionen mit Kunden- und Budgetverantwortung funktioniert, hat zum Beispiel Peter Blersch bewiesen. Er ist der Chef der DIS AG, einer Zeitarbeitsvermittlung für Fach- und Führungskräfte. In einer Branche, die bislang nicht gerade für Teilzeitangebote bekannt war, leiten Frauen nicht nur inzwischen die Hälfte der insgesamt 130 Niederlassungen. Unter diesen Chefinnen, die im Durchschnitt sieben interne Mitarbeiter haben und rund 70 Leihkollegen an Kunden vermitteln, sind auch etliche Mütter. „Es ist durchaus möglich, Führungsaufgaben und familiären Verpflichtungen gerecht zu werden, wenn die Unterstützung durch das Unternehmen stimmt“, sagt Geschäftsführer Peter Blersch. Zum Dank ist die DIS AG 2012 zum „besten Arbeitgeber Deutschlands“ gekürt wurden.

Dass Entgegenkommen beim Wunsch nach besserer Vereinbarkeit von Beruf und Familie die Loyalität und Motivation der Mitarbeiter beflügelt, nutzen auch andere kluge Arbeitgeber. So hat sich der Konsumgüterkonzern Unilever in Hamburg auf ein in der deutschen Wirtschaft noch seltenes Arbeitszeitmodell eingelassen: In einer internen Datenbank für Teilzeitpartner können sich Mitarbeiter registrieren, die am sogenannten Job-Sharing interessiert sind.

Sich eine Stelle zu teilen, das fanden etwa Christiane Haasis und Angela Nelissen gut. Die beiden Mütter teilen sich drei Jahre lang die Position der Marketingchefin für die Gewürzmittel-Sparte. Die Managerinnen arbeiten Teilzeit – zu je 60 Prozent. Wer ihre gemeinsame E-Mail-Adresse benutzt, erhält entweder von Haasis oder Nelissen Antwort. Nur dienstags sind beide im Büro, etwa für Besprechungen mit ihren 40 Mitarbeitern. Haasis schätzt ihre Dreitagewoche, weil sie eine zweijährige Tochter hat, und auch Nelissen bleibt so endlich neben dem Beruf mehr Zeit für ihre Familie.

Frauen sind zunehmend daran interessiert, berufstätig zu sein – auch dann, wenn sie eine Familie gründen. Und „Unternehmen können auf die beruflichen Potenziale der Wiedereinsteigerinnen nicht mehr verzichten“, sagt Frank Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit. Neben den rund 100 000 als arbeitssuchend gemeldeten Müttern schätzt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) die „stille Reserve“ auf etwa 300 000 Mütter, die gern wieder Geld verdienen würden, sich aber nicht arbeitslos melden. Drei Viertel von ihnen leben in Westdeutschland. Oft sind sie verheiratet und somit finanziell abgesichert. Ihre Kinder sind meist älter als 14 Jahre.

Speziell die Mütter mit Hochschuldiplom innerhalb der stillen Reserve will Lanxess jetzt für sich gewinnen. Mit dem neuen Senior-Traineeprogramm unterstützt der Chemiekonzern als erstes großes deutsches Unternehmen Akademikerinnen bei ihrem zweiten Berufsstart nach einer langen Familienpause. Müttern, die ein Chemie, Ingenieur-, Kommunikations-, Rechts-, Wirtschafts- oder Informatikstudium absolviert und mindestens sieben Jahre nicht mehr in ihrem Beruf gearbeitet haben, winken 20 Vollzeitstellen plus einem Eingewöhnungspaket: maßgeschneiderte Schulungen, Coachings sowie ein persönlicher Mentor, der den Rückkehrerinnen im Alter von durchschnittlich 50 Jahren dabei hilft, sich schnell im Konzern zurechtzufinden und zu verdrahten.

„Diese Gruppe fachlich Hochqualifizierter ist von der deutschen Wirtschaft vernachlässigt worden“, sagt Rainier van Roessel. HB

Claudia Obmann

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