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otDie Macher der Ifa. Das Foto aus dem Jahr 2013 zeigt den damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden der Messe Berlin, Hans-Joachim Kamp (links) mit dem Vorsitzenden der Geschäftsführung, Christian Göke. Der langjährige Philips-Manager Kamp führte bis 2020 auch den Aufsichtsrat der gfu, dem Rechteinhaber der Ifa.

© picture alliance / dpa/Rainer Jensen

Ex-Aufsichtsrat der Messe Berlin im Interview: „Die Untätigkeit des Senats ist nicht nachvollziehbar“

Hans-Joachim Kamp, ehemals Aufsichtsratschef der Messe Berlin, über die dortige Führungskrise und die Zukunft der Funkausstellung Ifa.

Herr Kamp, ist die Funkausstellung Ifa an einem anderen Ort als Berlin vorstellbar?

Es ist alles vorstellbar, aber das wäre extrem schade. Die aktuelle Situation ist misslich, weil es keine vertragliche Klarheit gibt über die künftige Ausgestaltung der Ifa.

Für dieses und das nächste Jahr ist die Vertragslage klar: Die Messe Berlin veranstaltet die Ifa im Auftrag des Ifa-Rechteinhabers, der gfu Consumer & Home Electronics GmbH.
Die Weichen für die Zukunft müssen jetzt gestellt werden. Corona hat die Welt verändert, auch das Messegeschäft. Dazu kommt die Digitalisierung. Der Regierende Bürgermeister, die Wirtschaftssenatorin, der Geschäftsführer der Messe Berlin und der Vorstandsvorsitzende von Springer haben vor einigen Jahren über eine mögliche finanzielle Beteiligung gesprochen, um Messen digital über das ganze Jahr zu verlängern. Dafür muss man investieren. Das gilt auch für die Ifa, um deren Stellung als weltbeste Messe der Branche auszubauen.

Sie spielen an auf den angelsächsischen Clarion-Events-Konzern, der die Ifa künftig gemeinsam mit der gfu veranstalten will und darüber mit der Messe Berlin seit einem Jahr verhandelt.
Wenn ein internationaler Player wie Clarion bereit ist, Geld in Berlin zu investieren, dann sollte man das nicht verteufeln. Clarion hat die Modemesse Premium von Frankfurt nach Berlin zurückgeholt. Clarion gehört zu Blackstone, einem großen Aktionär von Samsung, dem größten Aussteller der Ifa. Das ist eine ideale Konstellation.

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Die Messe Berlin verlöre aber eine ihrer Leitmessen.
Anders als die anderen Leitmessen ist die Ifa keine Eigenveranstaltung der Messe Berlin, sondern gehört der gfu. Wenn dann ein Konflikt mit dem Rechteinhaber vom Zaun gebrochen wird, weil die Messe Berlin der gfu mit dem Hinweis auf die Pandemie Gelder vorenthält, dann ist das nicht zielführend und hängt womöglich damit zusammen, dass die Messe Berlin seit 2020 von einem Branchenfremden geführt wird.

Ein Branchenfremder kann frischen Wind bringen.
Messen sind Marketinginstrumente, die Geschäfte laufen von Mensch zu Mensch. Hier kommt es auf Branchen-know-how, Kontakte, Netzwerke und gute Beziehungen an. Es hätte längst eine Lösung gefunden werden müssen für die Ifa. Die Messe gehört für mich nach Berlin, der 100. Geburtstag der Ifa sollte in Berlin gefeiert werden.

Wollen das Clarion und die gfu?
Ja. Dafür müssen aber die Bedingungen stimmen. Es ist doch klar: Wer das Geld mitbringt, in diesem Fall Clarion, der ist in der stärkeren Position als derjenige, dem die Rechte an der Ifa nicht gehören.

Wenn Clarion/gfu die Bedingungen diktieren wollen und mit dem Abzug der Ifa aus Berlin drohen, klingt das nach Erpressung.
Ich kenne nicht die Details der Verhandlungen. Mir ist nur bekannt, dass es eine von beiden Seiten unterschriebene Absichtserklärung bereits im vergangenen Herbst gab mit Eckpunkten einer Verständigung. Die Ifa ist die größte und wichtigste jährliche Messe und hat eine herausragende Bedeutung für das Land Berlin – insbesondere für das Hotel- und Gaststättengewerbe und die Taxiunternehmen. Es handelt sich hierbei um mehrere 100 Millionen Euro, die der Berliner Wirtschaft zugeführt werden. Deshalb sollte man nicht leichtfertig über den Wegzug der Ifa schwadronieren.

Martin Ecknig, viele Jahre im Immobilienmanagement von Siemens tätig, führt die landeseigene Messe Berlin seit 2021.

© Messe Berlin GmbH

Diese Drohung kommt doch von der gfu.
Ich meine den Hauptgeschäftsführer der IHK, der vom Land Berlin in den Aufsichtsrat der Messe Berlin berufen wurde und der meint, Berlin brauche keine Ifa, weil die Hallen schnell mit anderen Veranstaltungen gefüllt werden könnten. Das ist eine geschäftsschädigende Aussage, die in der Industrie durchaus wahrgenommen wird. Was sollen denn die Aussteller von einer Messegesellschaft halten, in deren Aufsichtsrat derart fahrlässig über die Ifa gesprochen wird?

Was wird das für eine Ifa, die vom 2. bis 6. September zum ersten Mal seit 2019 wieder im gewohnten Format stattfindet?
Die Ifa hat eine ganz besondere Konstellation, indem sie alle Branchen der Home Electronics in einer Messe vereint. Dazu gehören Unterhaltungselektronik, Hausgeräte und die Telekommunikation. Trotz der Vielfalt ist die Ifa ein sehr homogenes Gebilde. Sie findet zum besten Zeitpunkt des Jahres statt, vor den Wochen mit dem größten Umsatz. Der Handel kommt mit Begeisterung nach Berlin und hat hier die Möglichkeit, die Produkte zu sehen, zu vergleichen und mit den Entscheidungsträgern der Industrie Gespräche zu führen. Die Ifa findet am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt mit den richtigen Teilnehmern statt. Auch 2022.

Aber es fehlen viele Asiaten wegen Corona. Ist die Auslastung von rund 80 Prozent im Vergleich zu 2019 ein Erfolg?
Viele hundert kleinere Aussteller sind in diesem Jahr aufgrund der Coronasituation in China nicht vertreten, dazu kommen einige große auch aus Europa wie die Telekom oder Philips. Hier muss man bis zu letzten Minute in Kontakt bleiben, mit den Ausstellern Konzepte entwickeln und ihnen die Teilnahme schmackhaft machen: Nur wenn sie für das Unternehmen einen Mehrwert bringt, macht eine Beteiligung an einer Messe Sinn. Im Falle der Ifa ist es schädlich, dass die Leute, die viele Jahre für die IFA zuständig waren und neben sehr viel Erfahrung über gute Netzwerke verfügen, von der GeschäftsfFührung der Messe Berlin abberufen wurden.

Das hängt wiederum zusammen mit dem früheren Messechef Christian Göke, der sich auf der Seite von Clarion exponierte und damit gegen seinen langjährigen Arbeitgeber stellte.
Der Gesellschafter der Messe Berlin GmbH, das Land Berlin, war aufgeschlossen gegenüber neuen Partnern und Investoren, wie seinerzeit die Gespräche mit Springer gezeigt haben. Man muss doch fragen, wer hat die erforderlichen Kontakte? Und das war im Falle Clarion Christian Göke. Die Modemesse ist doch auch wegen Clarion nach Berlin gekommen, warum sollte man jetzt Clarion und das Engagement von Göke verteufeln?

Das Land Berlin prüft Compliance-Vorwürfe, die mit dem Wirken des Messe-Aufsichtsratsvorsitzenden Wolf-Dieter Wolf zusammenhängen. Sie waren zehn Jahre im Aufsichtsrat der Messe Berlin und haben dem Gremium auch vorgestanden – was macht einen guten Aufsichtsratsvorsitzenden aus?
Er sollte eine Menge Erfahrung mitbringen aus verschiedenen Aufsichtsfunktionen. Das Entscheidende ist aber auch: Er muss hundertprozentig unantastbar sein.

Und da haben Sie Zweifel?
Als es 2013 um die Neubesetzung der Geschäftsführung ging, habe ich dem Aufsichtsrat zuerst fünf Personalberatungsunternehmen vorgeschlagen. Dann haben wir uns auf eine Firma geeinigt, die rund 100 Bewerbungen entgegengenommen und bewertet hat. Ich habe dann mit zehn Bewerberinnen und Bewerbern persönlich Gespräche geführt und dann ein Assessment Center mit den letzten vier Kandidaten durchführen lassen. Die Ergebnisse davon habe nicht ich dem Aufsichtsrat präsentiert, sondern die Personalberatung Odgers Berndtson: Christian Göke lag eindeutig vorne.

Wolf-Dieter Wolf bekam 2014 vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit den Verdienstorden des Landes Berlin. Am Dienstag trat er als Aufsichtsratsvorsitzender der Messe Berlin zurück.

© IMAGO/Eventpress

Odgers Berndtson war auch beteiligt bei der Auswahl des Göke-Nachfolgers Martin Ecknig.
Wenn ich dann aber höre, dass dem Aufsichtsrat nur ein Kandidat vom Personalausschuss des Aufsichtsrats unter der Führung von Wolf vorgeschlagen wurde, der nicht aus der Branche stammt und der nicht mit dem Profil von Odgers Berndtston übereinstimmt, dann habe ich sehr große Zweifel, ob dieser Prozess so transparent gelaufen ist, wie er hätte laufen müssen. Dazu kommen andere Vorwürfe, die Zweifel am Aufsichtsrat und vor allem dem Vorsitzenden aufkommen lassen.

Was meinen Sie?
Wenn Berateraufträge abgeschlossen werden vor Antritt des neuen Geschäftsführers, wenn Zehntausende von Euro an Coachinghonoraren für den neuen Geschäftsführer gezahlt werden, dann zeigt das doch, dass der Ausgewählte nicht mit dem Anforderungsprofil übereinstimmt. Wenn Tantiemen gezahlt werden, die nicht im Einklang stehen mit den Verträgen der Geschäftsführer und in einem Jahr gezahlt werden, in dem die Messe wegen Corona hohen Zuschüsse aus öffentlichen Kassen bekommt, dann muss man fragen, ob das mit den Beihilferichtlinien im Einklang steht. Wenn ich jetzt höre, dass vor der nächsten Aufsichtsratssitzung am 1. September drei Unternehmensberatungen gebeten werden, Angebote einzureichen, um ein Strategie zu entwickeln, die am 1. September vorgelegt werden soll, dann fehlt mir jedes Verständnis.

Ist es so ungewöhnlich, dass ein Messechef ein Mediencoaching bekommt?
Es gibt ein verabschiedetes Stellenprofil für den Vorsitzenden der Geschäftsführung der Messe Berlin und ich bin sicher, das Odgers Berndtston diverse Kandidaten (w/m) vorgeschlagen hat, die dieses Profil vollständig erfüllten und durch ihre Branchenkenntnisse vom ersten Arbeitstag in der Lage gewesen wären die Organisation zu begeistern und nach außen professionell zu vertreten. Bislang ist mir das noch nicht vorgekommen, dass für solch eine Position ein Mediencoaching erforderlich wäre. Und schon gar nicht von einem 72-Jährigen ehemaligen Journalisten für einen 55-jährigen Immobilienmanager. Dass jemand vor Antritt schon die Empfehlung bekommt, sich coachen zu lassen, ist ungewöhnlich und nicht nachvollziehbar. Die Interessenkonflikte, auch wegen der Aufsichtstätigkeit von Wolf-Dieter Wolf beim RBB, sind mehr als bedenklich. Herr Wolf hätte schon viel früher zurücktreten müssen.

Den Rücktritt hatte Wolf dem zuständigen Wirtschaftssenator angeblich bereits im April für den September angekündigt.
Die lange Untätigkeit des Landes Berlin ist für mich nicht nachvollziehbar. Auch nicht die Abberufung von zwei Aufsichtsräten, die als einzige mit kritischen Fragen gegenüber Wolf sich zu obigen Themenkomplex geäußert hatten. Stillos ist es, dass dann ein Mitarbeiter des Wirtschaftssenators sich telefonisch meldet ohne Gründe für die Abberufung zu nennen. Auch, um die Ifa für Berlin zu sichern, müsste die Politik endlich tätig werden.

Vielleicht hat sich die Ifa nach knapp 100 Jahren überlebt?
Die Elektronikbranche ist so innovativ wie kaum eine andere. Es kommen immer neue Geräte und Features auf den Markt, die unsere Leben bereichern und verändern und nachhaltiger machen. Dabei wird die Ifa auch künftig eine herausragende Rolle spielen. Hoffentlich von Berlin aus.

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