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© dpa

HRE-Skandal: Die Verschleier-Affäre

Vor der staattlichen Übernahme wurden die Höhe des Kreditbedarfs und die drohenden Verluste falsch eingeschätzt. Das Finanzministerium wusste aber vom hohen Kreditbedarf der HRE.

Berlin – Die Nachricht zur Rettung der Finanzwelt vor dem Untergang hätte kaum kürzer ausfallen können: „Eine Konsortialgruppe des deutschen Finanzsektors hat der Hypo Real Estate Holding eine kurz- und mittelfristige Kreditfazilität in ausreichender Höhe zur Verfügung gestellt.“ Mit diesen dürren Worten in einer „Ad-hoc-Mitteilung“ verkündete der Vorstand des Münchner Bankriesen HRE am 29. September vergangenen Jahres morgens um kurz vor eins nach vielen Stunden teils dramatischer Verhandlungen, dass die drohende Pleite des Geldkonzerns vermeintlich abgewendet war. Das klang gut und sorgte rechtzeitig vor dem Börsenstart in Tokio dafür, eine weitere Panik der Marktakteure und damit den völligen Zusammenbruch des globalen Finanzsystems zu verhindern.

Doch die Meldung hatte ein Problem: Sie war falsch. Nicht nur, dass „der Finanzsektor“ mit 15 Milliarden Euro lediglich den kleineren Teil der ausgehandelten Kreditsumme von 35 Milliarden Euro bereitstellen wollte, während die Bundesbank – ausgestattet mit einer Bundesgarantie – den Rest beisteuern sollte. Zudem waren die geplanten Kredite keineswegs „ausreichend“. Schon vier Tage später wurde klar, dass allein bis zum Ende des Jahres 2008 rund 50 Milliarden Euro gebraucht wurden und in den folgenden drei Monaten noch einmal so viel. Am Ende musste der Bund mit mehr als 90 Milliarden Euro für die HRE bürgen und die Bank in Staatshand überführen, um auszuschließen, dass die Garantien womöglich tatsächlich bezahlt werden müssen – genau das, was Finanzminister Peer Steinbrück eigentlich unbedingt hatte verhindern wollen.

So aber kam die für den Steuerzahler denkbar teuerste Lösung heraus. Allein im ersten Halbjahr verlor die Bank mehr als eine Milliarde Euro und jeden Tag werden es an die fünf Millionen mehr, so dass der Bund auf Kosten der Steuerzahler neben den bisher schon gezahlten drei Milliarden Euro Kapitalhilfe nach Ankündigung des neuen Vorstandschefs Axel Wieandt noch einige Milliarden mehr investieren muss, bevor die Bank irgendwann wieder Gewinne macht. Währenddessen müssen die Gläubiger der HRE, allen voran die Hypovereinsbank (Unicredit), die Bayern LB, die HUK-Versicherung, die Allianz und die Deutsche Bank keinen Cent zur Sanierung beisteuern, obwohl sie den HRE-Hasardeuren gemeinsam 20 Milliarden Euro ohne Sicherheit geliehen hatten.

Im Gegenteil: Über die zum großen Teil mit Staatsgarantien abgesicherten Kredite, die sie der HRE gewährten, erzielen sie bis Ende 2009 an die 300 Millionen Euro Zinsgewinne mit der neuen Staatsbank, bestätigte ein HRE-Insider dem Tagesspiegel. Allein der Deutschen Bank bringt dies nach Aussage ihres Top-Managers Josef Ackermann 100 Millionen Euro ein, und das ohne jedes Risiko bei minimalem Kapitaleinsatz.

Um so dringender stellt sich die Frage, wer für die Fehleinschätzung über die Höhe des Kreditbedarfs und der drohenden Verluste verantwortlich war. Die Antwort ist nicht nur politisch brisant, sondern auch strafrechtlich bedeutsam. Denn die falsche Darstellung der Vermögensverhältnisse eines börsennotierten Unternehmens ist nach Aktienrecht strafbar und die Aktionäre der HRE wurden zweifellos zunächst in die Irre geführt. So jedenfalls sieht es der zuständige Münchner Ermittlungsrichter Andreas Forstner. Die HRE-Manager seien „sich bewusst“ gewesen, „dass keineswegs eine Kreditfazilität in ausreichender Höhe zur Verfügung gestellt worden war, sondern ein weit höherer Absicherungsbedarf bestand“, als sie im September ihre Ad-hoc-Mitteilung versandten, schrieb Forstner bereits im vergangenen Dezember in den Beschluss zur Durchsuchung der HRE-Geschäftsräume. Auch Minister Steinbrück klagte, die Regierung sei vom HRE-Vorstand „getäuscht“ worden.

Doch so eindeutig war die Lage nicht. Zwar bezifferten die HRE-Manager ihren Kreditbedarf an jenem Wochenende tatsächlich nur auf 35 Milliarden Euro. Aber diese Summe beruhte auf zahlreichen Annahmen, etwa der, dass der sogenannte Repo-Markt, also die Kreditvergabe gegen die Verpfändung von Wertpapieren, weiter funktioniert. Doch nach der Lehmann-Pleite war das längst nicht mehr der Fall.

Gleichzeitig hätten der an den Verhandlungen beteiligte Staatssekretär Jörg Asmussen sowie die Chefs von Bundesbank und der Aufsichtsbehörde Bafin, Axel Weber und Jochen Sanio, durchaus wissen können, dass der Gesamtbedarf der HRE für neue Kredite weit höher lag. Denn schon eine Woche vorher, das belegen Akten der Bafin, erhielt die Münchner Niederlassung der Bundesbank eine präzise Aufstellung über den Refinanzierungsbedarf der HRE. Demnach musste diese bis Ende 2008 Darlehen in Höhe von insgesamt 104, 6 Milliarden Euro zurückzahlen und dafür neue Kredite auftreiben.

Diese Aufstellung ging per E-Mail sofort an die zuständigen Beamten der Bafin in Bonn bis hin zur Exekutivdirektorin für Bankenaufsicht, Sabine Lautenschläger. Von dort übermittelte Abteilungsleiterin Frauke Menke die Daten auch an das Bankenreferat des Finanzministeriums. Insofern „hätte es allen Grund gegeben, an der Darstellung des HRE–Managements zu zweifeln, dass 35 Milliarden Euro reichen würden“, meint Axel Troost, der Obmann der Linksfraktion im Untersuchungsausschuss des Bundestages zur HRE-Rettung. Doch die brisante Gesamtaufstellung hat die Vertreter des Staates am Verhandlungstisch offenbar nie erreicht. Bafin-Chef Sanio beharrt jedenfalls darauf, es hätte „keine Anhaltspunkte“ gegeben, „dass die Zahlen hätten falsch sein können“, wie seine Sprecherin erklärte.

Die Kritiker der HRE-Rettung im Untersuchungsausschuss wollen die Frage nun von der Münchner Staatsanwaltschaft klären lassen. Die Ermittlungen gegen den alten HRE-Vorstand wegen der irreführenden Ad-hoc-Mitteilung müssten auch auf Weber und Sanio ausgedehnt werden, fordert Troost. Auch sein FDP-Kollege Volker Wissing meint, die Staatsanwälte „müssen dies prüfen“. Zur Begründung führen die Abgeordneten an, dass Sanio und Weber den HRE-Managern an jenem Morgen selbst den Wortlaut der falschen Mitteilung von der Kredithilfe in „ausreichender Höhe“ vorgegeben haben, wie Sanio bei seiner Befragung im Ausschuss auch indirekt einräumte. Zudem tauchte die gleiche Formulierung anschließend auch in der gemeinsamen Pressemitteilung der Bafin und Bundesbank wieder auf. „Die Aktionäre und die Öffentlichkeit sind getäuscht worden, und das auf Anweisung der Herren Sanio und Weber“, meint Troost.

Ob letztlich auch Staatssekretär Asmussen und Minister Steinbrück dafür verantwortlich sind, soll deren Befragung im Ausschuss am Mittwoch und Donnerstag dieser Woche zeigen. Dabei werden sie vor allem erklären müssen, warum Asmussen ohne vorherige und unabhängige Prüfung der tatsächlichen Lage der HRE-Gruppe in eine Verhandlungsrunde ging, die letztlich zu Milliardenlasten für die Steuerzahler führte.

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