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Wirtschaft: Eichels Notnagel: Höhere Mehrwertsteuer

SPD bestreitet Pläne, FDP erwartet Erhöhung 2003, Wirtschaftsforscher warnen vor den Folgen für die Konjunktur

Berlin (msh/fo). Neue Steuerausfälle in Milliardenhöhe haben eine Diskussion um die Erhöhung der Mehrwertsteuer entfacht. FDP und CDU rechnen fest damit, dass die rotgrüne Koalition spätestens im Frühjahr einen Aufschlag plant. Die SPD wehrt sich vehement gegen Spekulationen. Führende Wirtschaftsforscher warnen vor einer höheren Mehrwertsteuer. Das würge die Konjunktur endgültig ab.

Bund, Länder und Gemeinden müssen in den Jahren 2002 und 2003 mit etwa 32 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen rechnen als bislang angenommen. Das bestätigten vom Tagesspiegel befragte Wirtschaftsforscher im Vorfeld der Beratungen zur Steuerschätzung am Dienstag und Mittwoch in Dessau. „Das Defizit ist höher, als von der Regierung zugegeben“, sagte Rüdiger Parsche, Finanzexperte des Münchener Ifo-Instituts. Parsche gehört dem Arbeitskreis Steuerschätzung an, der seine Prognose am Mittwoch offiziell vorlegen will. Dem Gremium gehören Vertreter des Finanzministeriums Experten der Wirtschaftsforschungsinstitute, der Länder und Gemeinden, der Bundesbank und des Statistischen Bundesamtes an.

Auch Winfried Fuest, Konjunkturexperte des Unternehmer-nahen Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, hält die Steuerausfälle wegen der schwachen Wirtschaftslage für realistisch. Die wirtschaftswissenschaftlichen Institute hatten in ihrem Herbstgutachten für das kommende Jahr nur noch ein Wachstum von 1,4 Prozent prognostiziert. Der Sachverständigenrat der „fünf Weisen“ rechnen wohl nur mit einem Wachstum von rund einem Prozent. „Die bisher beschlossenen Maßnahmen der Regierung reichen nicht aus, um die Lücken im Haushalt zu schließen“, sagte Fuest dem Tagesspiegel.

Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, um die Staatseinnahmen zu erhöhen und damit zusätzliche Einnahmelücken zu schließen, lehnen die Konjunkturexperten unisono ab. „Das wäre Gift für die Konjunktur“, sagt Joachim Scheide, Wirtschaftsforscher am Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer führe zu steigenden Preisen, weil Hersteller und Händler die höheren Kosten auf den Endverbraucher abwälzen wollen. „Und das bremst den Konsum“, erläutert Scheide.

Auch nach Ansicht von Ifo-Experte Parsche wird eine Mehrwertsteuererhöhung die Konsumflaute in Deutschland weiter verschärfen: „In dieser negativen Stimmungslage wirkt eine Steuererhöhung psychologisch verheerend.“ Das Argument, Deutschland müsse seine Mehrwertsteuersätze im europäischen Vergleich anpassen, ziehe nicht. Dazu gebe es keine Vereinbarungen in der Europäischen Union. Deutschland zählt neben Spanien und Luxemburg zu den Ländern mit den niedrigsten Mehrwertsteuersätzen in der Gemeinschaft. Spitzenreiter sind derzeit Schweden und Dänemark mit 25 Prozent.

Die vom Tagesspiegel befragten Wirtschaftsforscher fordern von der Regierung einen konsequenten Sparkurs, statt die Staatseinnahmen nur über höhere Steuern und Abgaben zu steigern. Die Experten fordern, Subventionen zu kürzen, bei den anstehenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst Härte zu zeigen oder Transferleistungen wie die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu kürzen. „Wir kommen um einige harte Sparmaßnahmen nicht herum“, sagt IW-Experte Fuest. Doch die Ratschläge der Wirtschaftsforscher kommen bei der Regierung nicht an. Fuest: „Die Regierung ist beratungsresistent.“ Die privaten deutschen Banken lehnen Steuererhöhungen nicht prinzipiell ab. „Wir sagen zu Steuererhöhungen nicht generell nein, aber wenn schon Anhebungen, dann richtig“, sagte Rolf Breuer, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Banken (BdB) am Montag in Frankfurt. Wenn es klare Vorstellungen darüber gebe, was mit dem Geld gemacht werden solle, dann „würde ich für eine Mehrwertsteuererhöhung plädieren". Nach Ansicht von Breuer wird es in der laufenden Legislaturperiode ohnehin eine Mehrwertsteueranhebung geben.

Davon geht auch FDP-Chef Guido Westerwelle aus. Bis zu den Landtagswahlen am 2. Februar in Hessen und Niedersachsen wird die Bundesregierung nach seiner Einschätzung weitere Pläne zu Steuererhöhungen leugnen. Gleich nach dem Wahltag werde Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) dann aber eine Erhöhung verkünden und dies mit einer angeblich notwendigen europäischen Harmonisierung der Mehrwertsteuer begründen. SPD-Generalsekretär Olaf Scholz schloss am Montag solche Pläne aus und versicherte, die rot-grüne Koalition setze weiter auf Haushaltskonsolidierung. Sie wolle auch die Nettokreditaufnahme nicht weiter erhöhen.

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