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Wirtschaft: Ein Jahr verhandelt – für eine Stunde mehr Arbeit

Mit dem Tarifkompromiss der Baubranche sind weder Gewerkschaft noch Arbeitgeber zufrieden / Verbände prüfen nun eine Klage

Berlin - Der Tarifkompromiss im Bauhauptgewerbe steht auf einem brüchigen Fundament. Die ostdeutschen Arbeitgeber lehnten am Dienstag das Ergebnis ab und wollen gerichtlich dagegen vorgehen. Und ob Teile der West-Arbeitgeber zustimmen, ist ebenfalls fraglich. Auf der Gewerkschaftsseite war hier und da Entsetzen zu hören, nachdem ein Jahr verhandelt worden war. „Unter dem Strich ist dieser Abschluss eine Katastrophe“, sagte ein Gewerkschafter, der nicht namentlich genannt werden möchte, dem Tagesspiegel. Für die rund 740000 Bauarbeiter, davon etwa 180000 in Ostdeutschland, einigten sich die Tarifparteien auf folgende Punkte: Die Arbeitszeit wird Anfang kommenden Jahres von 39 auf 40 Stunden verlängert, ohne Lohnausgleich. Dadurch sinken die Lohnkosten um 2,5 Prozent. Zusammen mit anderen Punkten ergibt sich für die Arbeitgeber eine Kostenentlastung um drei Prozent.

Was das Finanzielle anbelangt, müssen sich die Bauleute auf sinkende Reallöhne einstellen. Die Arbeiter im Westen erhalten von September bis März 2006 jeden Monat zusätzlich 30 Euro, zum 1. April steigen die Löhne im Westen um ein Prozent. Die ostdeutschen Bauleute bekommen nicht mehr Geld.

Der Tarifvertrag über Mindestlöhne wird bis zum 31. August 2008 festgeschrieben. Von September an beträgt der Mindestlohn für ungelernte Arbeitskräfte 8,80 Euro (Osten) und 10,20 Euro (Westen). Facharbeitern muss künftig mindestens 10,01 Euro (Osten) beziehungsweise 12,30 Euro (Westen) gezahlt werden. Die Tarifparteien wollten unbedingt vor Neuwahlen und dem möglichen Regierungswechsel die Mindestlohnregelung verlängern. „Es gab ein enges politisches Zeitfenster“, sagte der Sprecher der IG Bau, Michael Knoche. Mit der Verlängerung der Mindestlohnregelung, die von der Bundesregierung bestätigt werden muss, und einer Modifizierung der früheren Schlechtwetterregelung habe die Gewerkschaft „zwei wichtige Instrument, um das Ziel der Beschäftigungssicherung zu erreichen“, sagte Knoche dem Tagesspiegel.

Die Arbeitgeber sind mit der Regelung alles andere als zufrieden. „Wir können damit nicht leben“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Fachgemeinschaft Bau Berlin-Brandenburg, Wolf Burkhard Wenkel, dem Tagesspiegel. „Wir wissen, dass in der Region wegen der hohen Schwarzarbeit schon jetzt faktisch kein Mindestlohn bezahlt wird. Also macht es keinen Sinn, ihn bis ins Jahr 2008 festzuschreiben.“ Wenkel plädierte für einen einheitlichen Mindestlohn von sieben bis acht Euro in allen ostdeutschen Bundesländern – und zwar einschließlich West-Berlin. „Der Unterschied zwischen Ostdeutschland und West-Berlin muss aufgehoben werden“, sagte er. West-Berlin müsse wie Ostdeutschland behandelt werden. Andernfalls könnten West-Berliner Baufirmen der Konkurrenz nicht mehr standhalten.

Wenkel kündigte an, gegen den Tarifkompromiss gerichtlich vorzugehen. Die Fachgemeinschaft Bau und der Zweckverbund Ostdeutscher Bauverbände, dessen Geschäftsführer Wenkel ebenfalls ist, würden dies prüfen. Das wollen auch einige westdeutsche Landesverbände des Zentralverbandes deutsches Baugewerbe (ZDB) tun. Verbandssprecherin Ilona Klein rechnet damit, dass Ende Juli klar ist, ob der Tarifabschluss tatsächlich flächendeckend angewendet wird.

Um eine stärker leistungsorientierte Entlohnung zu ermöglichen, verständigten sich die Tarifparteien auf eine „Bonus-und-Malus-Regelung“. Für bestimmte Tätigkeiten gibt es Zielwerte in Stunden. Wenn der Zielwert unterschritten wird, werden die eingesparten Stunden dem Arbeitnehmer auf einem Zeitkonto gutgeschrieben. Braucht der Arbeitnehmer mehr Zeit als vorgegeben, wird ihm die Mehrarbeit nur zum Teil bezahlt.

Reinhard Bispinck, Tarifexperte bei der gewerkschaftseigenen Hans-BöcklerStiftung, kritisierte den Tarifabschluss als „ökonomisch unsinnig“. Die Kostensenkung für die Betriebe werde wirkungslos bleiben, „wenn die Konjunktur nicht anspringt und die öffentliche Hand nicht investiert“. Vielmehr drohe den Baubetrieben die Gefahr, dass Bauherren in Kenntnis des Tarifabschlusses nunmehr günstigere Angebote verlangen könnten. Für die Arbeitnehmer sei immerhin die neue Regelung für das Schlechtwettergeld von Vorteil, weil sie die Winterkündigungen erschwere und so die Bauarbeiter vor Hartz IV schütze.

Die Regelung des Winterausfallgelds soll so organisiert werden, dass sie nicht nur bei witterungsbedingten Arbeitsausfällen greift, sondern auch bei schlechter Auftragslage. Dadurch soll verhindert werden, dass arbeitslose Bauarbeiter im Winter nur noch das niedrigere Arbeitslosengeld II erhalten.

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