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Schwimmbagger holen Sand und Kies aus der Erde.

© imago/Westend61

Ein knapp werdender Rohstoff: Wo der Sand für Berlins Neubauten herkommt

Nur Wasser verbraucht die Menschheit noch mehr als Sand. Die feinen Körner sind ein begehrter Rohstoff, der nun knapp wird. Das spürt man auch in Brandenburg.

Von Carla Neuhaus

Es könnte idyllisch sein in Mühlberg, im südlichen Brandenburg. Um das kleine Elbstädtchen mit seiner historischen Kirche und dem restaurierten Rathaus herum gruppieren sich mehrere Dörfer. Dazwischen erstrecken sich Felder, auf denen Kühe weiden, Weizen und Raps wachsen. Verlässt man Mühlberg, dann liegt ein Brummen in der Luft, ab und zu hört man lautes Poltern. Folgt man den Geräuschen über einen Feldweg, steht man bald an einer Erdkante, mehrere Meter geht es in die Tiefe. Unten hat sich ein See gebildet, auf dem ein Schwimmbagger immer wieder seine Greifarme ins Wasser fahren lässt. Tonnenweise holt hier die Maschine Sand und Kies aus dem Boden. Und das rund um die Uhr.

Gleich zwei Abbau-Unternehmen sind in Mühlberg aktiv. Jeden Tag verlassen mehrere Züge beladen mit Sand und Kies den Ort. Mit dem Auto wartet man schon mal ein paar Minuten vor dem Bahnübergang, bis eine Lok mit mehr als 40 Anhängern vorbeigefahren ist. Was sie hier in Massen abtransportieren, ist ein begehrter Rohstoff. Denn aus Sand und Kies wird Beton hergestellt, von dem Deutschland immer mehr benötigt.

Auch der BER ist auf Kies aus Mühlberg gebaut

Der Bauboom, die steigende Nachfrage nach Wohnraum – all das ist ohne Orte wie Mühlberg nicht zu bewältigen. Der Kies, der sich hier wegen der Eiszeit nahe der Elbe abgelagert hat, ist besonders gut für hochwertigen Beton geeignet. Mit dem Mühlberger Kies haben sie in Hamburg die Elbphilharmonie gebaut und in Berlin den Großflughafen BER. Auch im Berliner Stadtschloss und der Stadtautobahn stecken Sand und Kies aus dieser Region.

Lange galt Sand als unterschätzter Rohstoff. Nichts, meint man, ist so reichlich vorhanden. Doch Sand ist nicht gleich Sand. Feine Wüstenkörner etwa eignen sich nicht für den Bau. Sie sind viel zu klein und glatt geschliffen, als dass sie Beton den nötigen Halt geben würden. Deshalb müssen selbst Wüstenstaaten Sand importieren. Städte wie Dubai und Abu Dhabi sind für ihre Großbauprojekte auf Sand aus Indonesien und Australien angewiesen. Entsprechend begehrt sind die Körner. 40 bis 50 Milliarden Tonnen Sand und Kies werden weltweit jedes Jahr abgebaut und verbaut. Damit gibt es mit Ausnahme von Wasser keinen anderen Rohstoff, der so gefragt ist wie Sand.

Bau und Glasindustrie sind auf Sand angewiesen

Hauptabnehmer ist die Bauindustrie, die für jede Tonne Beton mehrere Tonnen Sand benötigt. In einem Einfamilienhaus zum Beispiel sind 200 Tonnen Sand verbaut, für einen Kilometer Autobahn braucht man 30000 Tonnen. Und auch andere Wirtschaftszweige kommen ohne den Rohstoff nicht aus. Glas zum Beispiel besteht zu 75 Prozent aus Sand. Auch bei der Produktion von Computerchips oder Solarzellen kommt er zum Einsatz. Man braucht Sand, um Farben und Klebstoffe herzustellen, Zahnpasta und Kosmetik. In den USA ist vor allem der Quarzsand für das Fracking gefragt: Um Gas und Öl aus tiefen Gesteinsschichten zu lösen, wird dort mit hohem Druck eine Mischung aus Wasser, Sand und Chemikalien ins Bohrloch geschossen.

All das führt dazu, dass die feinen Körner zu einem seltenen Gut werden. „Wir verbrauchen mehr Sand, als wir verantwortungsbewusst abbauen können“, sagt Joyce Msuya, Direktorin beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP). Jüngsten Zahlen der UNEP zufolge hat sich die Nachfrage in den letzten 20 Jahren verdreifacht. Und sie steigt weiter – um fünf Prozent jährlich.

Auch deshalb hat sich bereits ein Schwarzmarkt für Sand entwickelt. So soll der Rohstoff in vielen Ländern Asiens und Afrikas illegal abgebaut werden. In Indien ist die Sand-Mafia angeblich so mächtig wie kaum eine andere kriminelle Organisation. In Marokko, schätzen die Vereinten Nationen, stammt bereits die Hälfte des verbauten Sands aus dem illegalen Handel. Gleich einen ganzen Strand haben Sanddiebe dort abgetragen und in eine Steinwüste verwandelt.

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Auch hierzulande wird der Sand knapp

So ernst wie dort ist die Situation in Deutschland nicht. Trotzdem werden auch hierzulande Sand und Kies knapp. Die Förderbetriebe können den Rohstoff gar nicht so schnell aus der Erde holen, wie die Bauwirtschaft Nachschub braucht. Das gilt vor allem für die Hauptstadtregion: In Berlin und Brandenburg sind die Preise für Beton nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes (ZDB) zuletzt um zehn Prozent gestiegen. Neben den höheren Energiepreisen liegt das auch daran, dass sich Kies und Sand verteuert haben, allein im letzten Jahr um vier Prozent. Eine Tonne Sand kostet bis zu 25 Euro.

In Deutschland gibt es eigentlich reichlich Sand und Kies. Nach Angaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe sind die Vorkommen „nahezu unendlich“. Das Problem ist nur: In vielen Fällen kommt man an den Sand und Kies nicht ran. Er liegt unter Wohn- und Gewerbegebieten, in Landschafts- oder Naturschutzzonen. Der Verband schätzt, dass zum Beispiel in Baden-Württemberg 85 Prozent der Sandvorkommen nicht erschlossen werden könnten. Dazu kommt, dass sich immer mehr Gemeinden gegen den Abbau wehren. „Es gibt kaum noch neue Genehmigungen“, sagt Ilona Klein vom ZDB.

Im Umkehrschluss heißt das allerdings: Dort, wo noch Bergwerksfelder ausgewiesen sind, wird umso mehr Sand und Kies abgebaut. Wie in Mühlberg. Dort haben sie den Rohstoff bereits in den siebziger Jahren aus dem Boden geholt – allerdings nicht in einem solchen Ausmaß wie heute. 2000 Hektar haben sich die beiden Abbaufirmen rund um Mühlberg gesichert. Das entspricht 20 Prozent des Stadtgebiets. „Wenn in kurzer Zeit so viel abgebaut wird, dann ist das Raubbau“, sagt Sigrid Käseberg. Sie lebt mit ihrer Familie seit Mitte der achtziger Jahre in der Gegend. „Wir sind nicht grundsätzlich gegen den Kiesabbau“, sagt sie. „Wir wollen nur nicht, dass hier unsere Landschaft komplett umgegraben wird.“

Sandabbau steht in Konkurrenz zur Landwirtschaft

Über die Jahre hat sie beobachtet, wie sich ihre Heimat wandelt. Sorgen macht sie sich ums Grundwasser, das vom Kies und Sand im Boden gespeichert wird. „Schon jetzt merken wir, dass unsere Dorfteiche austrocknen und die Feuerwehrbrunnen versiegen.“ Auch die Vogelwelt verändere sich. Früher hatte sie hier viele Lerchen, nun kreisen Möwen über den Baggerseen.

Dabei geht es Käseberg, deren Bürgerinitiative 70 Mitglieder zählt, nicht nur um die Natur. Der Sandabbau steht zunehmend auch in Konkurrenz zur Landwirtschaft, dem wichtigsten Wirtschaftszweig vor Ort. „Wir sind eine strukturschwache Region“, sagt sie. „Viele der Menschen hier arbeiten in der Landwirtschaft.“ Diese Jobs seien in Gefahr, wenn immer mehr Felder abgetragen würden. Zwar versprechen die Abbau-Unternehmen, einen Teil der Flächen zu rekultivieren. „Doch bis auf dem neuen Mutterboden wieder so viel wächst wie heute, vergehen 30 Jahre“, sagt Käseberg.

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