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Betriebsrat mit Macht. Bernd Osterloh gibt seit 2005 in Wolfsburg den Ton an.

© picture alliance/dpa

75 Jahre Mitbestimmung bei VW: Einmal in der Woche heiß duschen

Kurz nach dem Krieg wurde die Mitbestimmung bei Volkswagen eingeführt. Bis heute hat der VW-Betriebsrat mehr Rechte als jede andere Arbeitnehmervertretung.

Demokratie im Unternehmen, wie die Mitbestimmung gerne umschrieben wird, ist aufwändig. Ein gutes Dutzend Dolmetscher wird an diesem Freitag in einer Veranstaltungshalle auf dem Wolfsburger Werksgelände benötigt, damit sich die Mitglieder des Welt-Konzernbetriebsrats von Volkswagen in 13 Sprachen verständigen können. Aus besonderem Anlass hat sich ein Gast angekündigt, der sich in der Autostadt am Mittellandkanal gut auskennt. Gerhard Schröder, während seiner Amtszeit (1998 bis 2005) gerne als Autokanzler beklatscht wie beschimpft, gratuliert zum 75. Geburtstag der Mitbestimmung bei VW. Am 27. November 1945 hatte sich die erste Vertretung der Belegschaft konstituiert. Der Beginn einer einzigartigen Erfolgsgeschichte: Trotz oder wegen des großen Einflusses der Arbeitnehmervertreter entwickelte sich VW vom Käferhersteller aus der Provinz zum Weltmarktführer.

Lustreisen-Affäre kostete Köpfe

Bernd Osterloh ist der mächtigste Betriebsrat Deutschlands. Er hat eine handvoll Vorstandschefs erlebt in den vergangenen 20 Jahren; einige haben auch wegen Osterloh nicht lange überlebt. Der VW-Betriebsrat sieht sich als Sprachrohr einer Belegschaft, „die unternehmerische Entscheidungen aktiv beeinflusst und eigene innovative Lösungen vorantreibt“. Betriebsratsarbeit als Co-Management. Mit diversen Facetten.

Osterloh wurde 2005 Betriebsratsvorsitzender, als Klaus Volkert zurücktreten musste. Der hatte das Co-Management eigenwillig ausgelegt, weil er sich wohl für unantastbar hielt. Wegen Luxusreisen und Prostituierten auf Konzernkosten wurde die besondere Art der VW-Mitbestimmung damals für weite Teile der Bevölkerung interessant. Von einem „Geflecht aus Korruption und Verrat an den Idealen des Betriebsrats“ spricht der Betriebsrat heute im Rückblick. Volkert wurde wegen Untreue und Betriebsratsbegünstigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Strafen erhielten auch Personalvorstand Peter Hartz und der Skoda-Manager Helmuth Schuster.

Die Briten wollten ein demokratisches VW

Die spezielle Stellung der VW-Arbeitnehmervertretung erklärt sich aus der Historie. In den 1930er Jahren kam das Kapital zum Aufbau des neues Werks von der Deutschen Arbeitsfront, die nach der Zerschlagung der freien Gewerkschaften durch die Nazis gegründet worden war. Nach dem Krieg wurde die Fabrik zunächst unter britischer Regie betrieben. Die Briten entschieden sich gegen die Demontage und für den Betrieb in deutscher, staatlicher Hand. Das Ziel war ein „demokratisch kontrollierter Industriebetrieb“, in dem Arbeit und Kapital gleichberechtigt sein sollten. Dem Land Niedersachsen wurde die Treuhänderschaft für das Werk mit der Auflage übertragen, die Eigentumsrechte gemeinsam mit dem Bund auszuüben.

"Kooperative Konfliktvermeidung"

Die Aufbaujahre in Wolfsburg waren so hart wie überall im kaputten Land. Der Aufpasser der britischen Militärregierung erinnerte sich später an die ersten VW-Arbeiter. „Viele von ihnen besaßen nichts als ihre Kleider, zum Teil trugen sie noch die Soldaten-Uniformen. Diese Menschen arbeiteten extrem hart unter sehr schlechten Bedingungen, mit kaum etwas zu Essen und ohne angemessene Unterkünfte.“ Doch es ging aufwärts, der Betriebsrat erreichte erste Verbesserungen. „In den Waschräumen ist es jedem Arbeiter der jetzt etwa 8300 Mann starken Belegschaft möglich, einmal in der Woche heiß zu duschen“, heißt es in einere Vereinbarung aus 1947.

Vetorecht gegen Werksschließungen

In einer ersten Betriebsvereinbarung, ebenfalls aus dem Jahre 1947, wurden Rechte festgeschrieben, die bis heute gelten und von denen andere Betriebsräte nur träumen können: Der VW-Betriebsrat darf Verlagerungen oder gar die Stilllegung des Werkes verhindern. Dieses Vetorecht schreibt sich fort im VW Gesetz und in der Satzung der Volkswagen AG. Der Betriebsrat nennt das ein System der „kooperativen Konfliktvermeidung“. 1950 setzt der Betriebsrat eine betriebliche Altersvorsorge sowie eine Sterbegeldversicherung durch, 1957 kommt die 40-Stunden-Woche für Schichtarbeiter, in der Normalschicht sind es 42,5 Stunden. VW hat nun 32 000 Beschäftigte.

Merkel verteidigt das VW-Gesetz

1960 wird aus der GmbH eine AG. 60 Prozent des Kapitals werden als Volksaktien überwiegend an Kleinaktionäre abgegeben, je 20 Prozent halten der Bund und das Land Niedersachsen. Das VW Gesetz tritt in Kraft, mit dem der Einfluss der Politik auch in der Aktiengesellschaft gewährt bleibt. Als viele Jahre später die EU-Kommission das Gesetz aus ordnungspolitischen Gründen abschaffen will, verhindert das die damalige Bundesregierung: Angela Merkel wird von 20 000 Arbeitern gefeiert, als sie im Herbst 2008 in Wolfsburg den Besta

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nd des Gesetzes zusagt.

Der Bund hat da längst seine Anteile verkauft, doch die niedersächsischen Landesregierungen denken überhaupt nicht daran: VW ist weit und breit der größte Arbeitgeber, und Niedersachsen ist – neben den Familien Porsche und Piëch – bis heute der größte Anteilseigner. Wenn sich die Vertreter der Landesregierung und der Arbeitnehmerschaft im Aufsichtsrat einig sind, können sie die Geschäftspolitik und die Vorstandsbesetzung bestimmen. Das wird in diesen Tagen wieder deutlich, da es Spekulationen gibt über die Zukunft des Vorstandsvorsitzenden Herbert Diess. Womöglich hat er sich zu oft mit Osterloh angelegt.

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