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Rollender Sonnenkollektor. Der elektrische Sion von Sono Motors soll Anfang 2023 auf den Markt kommen und mit Hilfe von verbauten Solarzellen Strom für Extrakilometer selbst produzieren. Foto: Stefan Schütz/Sono Motors GmbH/dpa-tmn

© dpa-tmn

Elektroauto Sion: Sonnenenergie statt Pferdestärken

Sono Motors, einer der ungewöhnlichsten Wettbewerber der klassischen Autohersteller, setzt auf Solarkraft, Batterieelektrik - und Moos. Eine erste Probefahrt.

Die Wolken am Berliner Himmel können dem Sion wenig anhaben. Die in die Karosserie des schwarzen Elektroautos eingelassenen Solarmodule saugen die verbleibende Sonnenenergie auf. Sofort ist die Leistung der integrierten Photovoltaik-Anlage auf dem Display des Bordcomputers ablesbar. Ein rollender Sonnenkollektor, der die Batterie lädt: Bis zu 35 Kilometer kann das Auto des Herstellers Sono Motors mit reiner Sonnenenergie fahren - ohne Ladesäule und natürlich ohne Sprit.

Einer der ungewöhnlichsten Wettbewerber der klassischen Autobauer, präsentierte am Mittwoch in der Hauptstadt seinen zweiten elektrischen Prototypen, der schon nah am späteren Serienfahrzeug sein soll. Sono-Gründer und CEO Laurin Hahn spricht von einem SEV, einem Solar Electrive Vehicle. 

Kaufen kann man den Sion noch nicht. Erst 2023 startet die Produktion. Und wer die Geschichte des 2016 gegründeten Unternehmens zurückverfolgt, darf durchaus unsicher sein, ob die Start-up-Unternehmer ihren Zeitplan diesmal einhalten. Denn zwischenzeitlich ging den Gründern das Geld aus - und dann kam auch noch Corona.

Mitten in der Pandemie hat Sono Motors 2020 mit Mühe seine letzte Finanzierungsrunde gesichert, mit einer der größten Crowdfunding-Kampagnen Europas, wie man stolz vermerkt. 100 Millionen Euro hat das Unternehmen mit Sitz in München bei kleinen und größeren Investoren bis heute eingesammelt. Und gut 13.000 Interessierte haben im Schnitt 3000 Euro angezahlt, um ein Auto zu reservieren. Zusammen ergibt das eine Summe, die im Vergleich zu den Entwicklungsbudgets großer Autohersteller ein Witz ist. Aber Sono Motors meint es ernst und die Tüftler sind alles andere als konventionelle Autobauer.

Schon 2019 sollte das Auto auf den Markt kommen

„Wir sind jetzt solide finanziert“, sagt Laurin Hahn im Gespräch mit Tagesspiegel Background. Berichte über mögliche Börsenpläne bestätigt der 26-Jährige nicht. Klar ist aber, dass weiteres Kapital gesammelt werden muss, wenn die Produktion anläuft. Den Wettbewerb der etablierten Hersteller fürchtet Sono Motors gleichwohl nicht, trotz der Turbulenzen in der Vergangenheit. Schon 2019 sollte das Auto auf den Markt kommen. „Der Sion ist auch 2023 noch wettbewerbsfähig“, glaubt Hahn. Der Markt sei groß genug für einen Nischenanbieter. „Der Kuchen reicht für alle.“

Am Mittwoch hat Sono Motors eine News nach Berlin mitgebracht. Man bietet den künftigen Kunden mehr Batterieleistung zum gleichen Preis an. Der Sion werde nun eine 54 Kilowattstunden (kWh) starke Lithium-Eisenphosphat-Batterie bekommen. Die Batterie ist frei von Kobalt, Mangan und Nickel. Bisher sollte der Sion mit einem 35 kWh-Stunden-Akku ausgestattet werden. Am Kaufpreis von 25.500 Euro werde sich nichts ändern. Die neue, bidirektional ladbare Batterie erlaubt eine Reichweite von bis zu 305 Kilometern (WLTP) und eine maximale Ladeleistung von 75 kW. Die Kraft der Solarzellen liefert weitere bis zu 35 Kilometer Reichweite. In der Praxis dürfte es bescheidener zugehen.

Die Produktion übernimmt im schwedischen Trollhättan der chinesisch-schwedische Auftragsfertiger Nevs, ein Nachfolgeunternehmen von Saab. Sono Motors kauft knapp die Hälfte des Autos bei etablierten Komponentenlieferanten zusammen. Der Motor stammt von Vitesco, einer Continental-Tochter, die Elektronik von Bosch, die Batterie von Elring-Klinger. Das spare Zeit, Geld und Aufwand, sagt Technik-Chef Markus Volmer, der früher bei Daimler war. „Die Entwicklungsarbeit ist noch nicht ganz abgeschlossen, aber wir bereiten die Produzierbarkeit jetzt vor.“ Erste Signale, dass der Sion mit eigener Solaranlage in der Kunststoffkarosserie auch vom Kraftfahrt-Bundesamt grünes Licht bekommt, gebe es bereits.

Produktionsziel: 257.000 Fahrzeuge

Sono Motors will 43.000 Sion pro Jahr verkaufen, 257.000 während des gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs. Rechnerisch müsste dann am Ende des Jahrzehnts ein neues Modell bereit stehen. Das ist ein Hoffnungswert. Gegenwärtig versucht die Mannschaft, die schnell von 150 auf 230 Beschäftigte gewachsen ist, ein Auto an den Start zu bringen, das gegen fast alle Regeln des Marktes verstößt.

So gibt es den familientauglichen Sion nur in Schwarz und ohne individuelle Konfigurationen. Nur eine Extravaganz leisten sich die Designer im Innenraum: In das Armaturenbrett ist echtes Islandmoss als leuchtend grüner, natürlicher Belüftungsfilter eingelassen. Nach zwei Jahren, empfiehlt Laurin Hahn, solle man das Moos auswechseln - wie den Filter einer gewöhnlichen Klimaanlage.

Der reine Online-Vertrieb soll 15 Prozent Kosten sparen, auch mit dem Verkauf von CO2-Zertifikaten an andere Hersteller will Sono Motors später Geld verdienen - wie der große Wettbewerber Tesla. Repariert werden kann das Auto von den Nutzern selbst (Tutorials machen es möglich) und in einer noch nicht benannten großen Werkstatt-Kette.

Ganz neue Wege gehen die jungen Autobauer als Mobilitätsanbieter. Mit dem Smartphone können die Kunden anderen Menschen das Auto, Strom oder eine Mitfahrgelegenheit (im Carsharing oder Ridepooling) anbieten. Die Community, von der Laurin Hahn schwärmt, begleitet die Entwicklungsarbeit engagiert, wird aktiv mit eigenen Ideen einbezogen und bekam sogar einen Sitz im Firmenbeirat. Auf der Website sind viele Informationen zum Entwicklungsprozess verfügbar, die andere Autobauer streng vertraulich behandeln. Autoproduktion basisdemokratisch. 

„Wir sind unschlagbar“, sagt Hahn am Mittwoch. Große Töne für ein kleines Auto. Sie zeigen jedenfalls, dass Hahn und sein Mitgründer Jona Christians nach der finanziellen Achterbahnfahrt das Selbstbewusstsein nicht verloren haben. 

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