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Wirtschaft: Erstmals seit Jahren deutlich höhere Löhne

Michael Fuchs schwant schon Böses. Mit den bislang angedeuteten Tarifforderungen für das kommende Jahr verabschiedeten sich die Gewerkschaften "von der wirtschaftlichen Realität", klagt der Präsident des Groß- und Außenhandels.

Michael Fuchs schwant schon Böses. Mit den bislang angedeuteten Tarifforderungen für das kommende Jahr verabschiedeten sich die Gewerkschaften "von der wirtschaftlichen Realität", klagt der Präsident des Groß- und Außenhandels. Ein Prozent mehr Lohn belasteten die Arbeitgeber mit gut 15 Milliarden Mark; damit wiederum ließen sich 170 000 zusätzliche Stellen finanzieren. Wenn die Zusammenhänge mal so einfach wären. Doch zweifelsfrei droht der deutschen Wirtschaft eine schwierige Lohnrunde - wenn im Bündnis für Arbeit nicht doch noch ein Tauschhandel stattfindet: Vorzeitiger Ruhestand gegen langfristig moderate Tarifpolitik. Und die Tarifrunde 2000 würde wie so viele vorausgegangene von der IG Metall bestimmt: Die mächtigste Gewerkschaft setzt eine ordentliche Lohn- und Gehaltserhöhung durch, alle anderen Branchen, inklusive öffentlicher Dienst, werden folgen. IG Metall-Chef Klaus Zwickel hat bereits eine Forderung von gut vier Prozent angekündigt. Am 11. Januar entscheidet der Vorstand der Gewerkschaft über die konkrete Prozent-Forderung. Ende Februar endet die Friedenspflicht, im März könnte die Mobilisierung für den Arbeitskampf beginnen. Schlechte Aussichten für Aufschwung und Arbeitsplätze.

Mitte Februar, nach 30-stündigen Verhandlungen, gab es unter dem Schlichter Hans-Jochen Vogel den berühmt-berüchtigten Spruch von Böblingen: Eine Tariflohnerhöhung von 3,2 Prozent für die Metallarbeitnehmer, ferner eine Einmalzahlung (ein Prozent des Jahresgehalts) und schließlich eine Pauschale für Januar und Februar von 350 Mark. Die IG Metall hatte sich wieder einmal durchgesetzt und die Orientierungsmarke für alle anderen Wirtschaftsbereiche geschaffen. Die Kontrahenten vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall wollten Teile des Einkommens, insbesondere die Höhe des Weihnachtsgeldes, an die Ertragslage der Unternehmen koppeln - keine Chance.

In einer Bilanz des Tarifjahres 1999 kommt das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung des DGB zu folgendem Ergebnis: "Erstmals seit Jahren konnten die Gewerkschaften in der Tarifrunde 1999 deutliche Reallohnsteigerungen durchsetzen." Die Abschlüsse lagen in den meisten Branchen bei rund drei Prozent und damit deutlich über der zu erwartenden Preissteigerungsrate von rund einem Prozent. Aus der diesjährigen Tariflandschaft ragt das Bankgewerbe heraus: Die Lohnverhandlungen für die rund 470 000 Beschäftigten scheiterten Ende März im Streit um die Sonnabendarbeit. Seitdem zahlen die Arbeitgeber freiwillig 3,1 Prozent mehr Gehalt - einen Tarifabschluß aber gibt es bis heute nicht.

Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) bewertet die diesjährigen Tarifabschlüsse insbesondere hinsichtlich der Wirkung auf die Lohnstückkosten. Lohnstückkosten spiegeln das Verhältnis von Arbeitskosten und Produktivität wider und sind damit die aussagekräftigste Größe für die Wettbewerbsfähigkeit. Nach den bescheidenen Tarifabschlüssen 1997/98 steigen laut IW in diesem Jahr die Arbeitskosten um rund drei Prozent; einen "allenfalls leichten Produktivitätsfortschritt unterstellt, werden die deutschen Lohnstückkosten 1999 vermutlich um etwa zwei Prozent oder noch stärker anziehen", schreibt das IW und befürchtet einen Rückfall in die Zeiten Anfang der 90er Jahre. Damals stiegen die hiesigen Lohnstückkosten um 15 Prozent, während sie im Ausland fast konstant blieben. In den Tarifjahren 1997/98 dagegen sanken die Lohnstückkosten dem IW zufolge um insgesamt sechs Prozent.

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall macht folgende Rechnung auf: 1997/98 seien im wichtigsten deutschen Wirtschaftsbereich 70 000 Personen zusätzlich eingestellt worden - ein Effekt der Lohnzurückhaltung. In der ersten Hälfte des jetzt endenden Jahres fielen dagegen 30 000 Arbeitsplätze - aufgrund der Lohnerhöhung und der "Konjunkturdelle". Gesamtmetall-Präsident Werner Stumpfe hat aus Angst vor "falschen Manövern, die zum Schiffbruch führen könnten", vor gut zwei Wochen "Positionslichter" für den kommenden Tarifstreit gesetzt: Er will eine "faire" Lohnerhöhung, mit der die Preissteigerung ausgeglichen wird; ein "Modell" über vorzeitigen Ruhestand und betriebliche Altersvorsorge und schließlich auch wieder ein "erfolgsorientiertes Weihnachtsgeld". Im letzten Punkt ist eine Lösung nicht in Sicht. Und die beiden ersten gehören zusammen: Hier hängt alles an der Vermittlerrolle der Politik im Rahmen des Bündnis für Arbeit. Scheitert das, gibt es eine reine Lohnrunde - zulasten und nicht zugunsten der Beschäftigung.

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