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Ethikregeln in Unternehmen: Weißes Rauschen

Alle Dax-Konzerne haben Ethikregeln, aber ob die Überwachung funktioniert, bleibt undurchsichtig.

Berlin - Sie sind schockiert und alarmiert. Korruptions- oder Spitzelskandale wie bei Siemens oder der Telekom will niemand riskieren. Die Fälle haben deutsche Vorstände aufgeschreckt. Die Frage, was sie tun, um Ähnliches zu verhindern, beantworten die Unternehmen mit dem Verweis auf Ethikstandards und Verhaltensregeln. In der Praxis spielen die Regularien allerdings häufig eine diffuse Rolle, wie eine Umfrage des Tagesspiegels unter allen 30 im Dax notierten Unternehmen ergab.

Über die finanzielle Ausstattung ihrer Compliance-Abteilungen, die über die Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften wachen sollen, gibt kein Dax-Konzern Auskunft – in einigen Fällen existiert eine eigene Abteilung gar nicht. Hier sind die interne Revision oder die Rechtsabteilung zuständig. Eingerichtet wurden die Compliance-Organisationen mit Ethikkodizes, Mitarbeiterschulung, Hotlines und zuständigen Managern meist erst in den vergangenen fünf Jahren. Personell sind die Abteilungen in vielen Konzernen zudem dünn besetzt. Die Zahl der verantwortlichen Mitarbeiter schwankt zwischen einer Handvoll und mehreren hundert.

Dessen ungeachtet wiegen sich die Befragten in Sicherheit: „Die Einhaltung von Recht und Gesetz war immer schon im Unternehmen selbstverständlich.“ So oder so ähnlich heißt es in zahlreichen Mitteilungen. „Da gibt es viel Naivität“, sagt Klaus-Peter Gushurst, Partner bei der Unternehmensberatung Booz & Company. „Die meisten deutschen Unternehmen sind weit davon entfernt, eine funktionierende Compliance-Abteilung zu haben.“ Im Lichte der jüngsten Skandale werden die Defizite erkannt. Viele Manager schauten mit Erschrecken auf die jetzt bekannt gewordenen Fälle von massiven Verstößen gegen Compliance-Regeln, beobachtet Gushurst.

Der moralische Druck auf die Unternehmen wächst. „Ich bin überzeugt, dass Unternehmen, die sich einen Ethikkodex geben, erfolgreicher und glaubwürdiger sind“, sagte Ulf Posé, Präsident des Ethikverbands der deutschen Wirtschaft, dem Tagesspiegel. Gesetzliche Regelungen hält er für falsch. „Wenn Anstand und Moral in die Hände von Gesetzgebern gelangen, dann ist es mit Anstand und Moral vorbei.“

Freiwillige Vorsorge zahlt sich aus, gerade für Unternehmen, die mit besonders sensiblen Kundendaten umgehen. So haben zum Beispiel die Deutsche Börse und die Commerzbank schon 1995 und die Allianz ein Jahr später eigene Compliance-Systeme installiert. Die Telekom war erst 2005 so weit, Siemens musste 2007 seine Überwachungs-Organisation aus gegebenem Anlass neu aufstellen.

Für Commerzbank-Sprecher Peter Pietsch gehört eine starke Compliance- Abteilung zur Außendarstellung des Unternehmens. „Das ist eine Möglichkeit der Reputationsverbesserung.“ Das sehen offenbar nicht alle Banken so. Die Deutsche Bank zum Beispiel lehnte eine Auskunft zum Thema Compliance gegenüber dem Tagesspiegel ab.

Dabei dürfte für alle international operierenden Dax-Konzerne das Thema an Bedeutung gewinnen. „Alle Unternehmen, die in den USA tätig sind, dort einen Vertrieb oder eine Produktion haben, müssen sich nicht nur bestimmten Verhaltensregeln unterwerfen, sondern auch eine entsprechende Organisation aufbauen“, sagt Berater Gushurst. Deutsche Konzerne, die auch an der US-Börse notiert sind, unterwerfen sich zudem den strengen Regularien der Börsenaufsicht. Die Globalisierung erschwert dabei mitunter in den Konzernzentralen den Überblick. So taten sich etliche Dax-Unternehmen schwer, präzise Angaben über ihre weltweit für Compliance verantwortlichen Mitarbeiter zu machen.

Die Angst vor den Schockwellen, die ein Korruptionsskandal in der Öffentlichkeit auslösen kann, macht die Firmen einsilbig. „Immer wieder höre ich Leute sagen, das Thema sei kompliziert“, sagt Benjamin W. Heineman, 18 Jahre lang Chefjurist des US-Konzerns General Electric. „Ich denke es ist ganz einfach: Wenn ein Land in Korruption versinkt, dann macht man dort keine Geschäfte.“ Die Antwort auf Korruption müsse immer nein sein, „auch wenn man dadurch Geschäft verliert“. Der Harvard-Dozent und Mentor von Peter Solmssen, Compliance-Vorstand bei Siemens, plädiert für Integrität – vorgelebt auf der Chefetage. Gesetzestreue, globale ethische Standards und die Verpflichtung aller Mitarbeiter auf Werte wie Ehrlichkeit, Offenheit und Vertrauenswürdigkeit. „Diese Kultur wird durch den Führungsstil geschaffen“, sagt Heineman. „Die Ziele müssen nicht nur formuliert, sondern von Vorstandschef und Topmanagern tief in die Geschäftsprozesse integriert werden.“

Ob und wie das in der Praxis geschieht, ist für die Öffentlichkeit indes schwer nachvollziehbar. So erschöpft sich die Information eines Dax-Konzerns über die Ausstattung der Compliance-Abteilung in dem Satz: „Die Abteilung verfügt über ausreichende Ressourcen, um die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen und für eine gruppenweite Umsetzung der Regelungen zu sorgen.“ Andere sprechen von „zentralen Anliegen“, „nichts grundsätzlich Neuem“ oder „voller Unterstützung durch den Vorstand“. „Compliance muss trainiert werden. Hier haben deutsche Unternehmen großen Nachholbedarf“, sagt Berater Gushurst. Anti-Korruptions- Handbücher hält er für sinnvoll, auch wenn ausführliche Anleitungen über Erlaubtes und Verbotenes manchmal lächerlich erschienen. „Man darf die Mitarbeiter nicht im Regen stehen lassen.“

Dass Skandale zu Überregulierung führen können, zeigt das Beispiel USA. Mit dem Erlass des Sarbanes-Oxley-Acts im Jahr 2002, der die Unternehmensberichterstattung streng reglementiert, reagierte der Gesetzgeber auf die Bilanzskandale bei Konzernen wie Enron oder Worldcom. Eine Fülle von Vorschriften folgte.

Dies habe dazu geführt, dass US-Unternehmen streng darauf achteten, dass sich ihre Mitarbeiter genau an den Wortlaut dieser Regeln hielten – egal ob dies im konkreten Fall vernünftig sei, kritisiert Ethikverbandschef Posé. „Compliance will, dass Verhaltensregeln beachtet und nicht sklavisch befolgt werden“, sagt Posé. „Es geht darum, den Sinn zu befolgen.“

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