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Alterserscheinung.

© dpa

Euro-Krise: Die große Last der geheimen Schulden

Die Euro-Zone steht viel höher in der Kreide als angenommen. Eine aktuelle Studie belegt: Im Vergleich steht Italien ganz gut da.

Frankfurt am Main - Mit den Schuldenbergen verhält es sich oft wie mit den sprichwörtlichen Eisbergen. Während Politik und Finanzmärkte gebannt auf Haushaltsdefizite und die wachsenden Schulden der Euro-Krisenländer schauen, stellt sich das Problem in vielen Ländern noch viel gravierender dar – zumindest bei genauerem Hinschauen.

Tatsächlich haben die Akteure nur die Spitze des Eisbergs im Blick, der bekanntlich nur zum Teil aus dem Wasser ragt. Hauptgrund: Die aktuell registrierten Schuldenquoten betrachten nur die expliziten, in den vergangenen Jahrzehnten angehäuften Schulden. Dagegen gehen die künftigen Lasten etwa für Renten, Gesundheit, Pflege, Arbeitslosigkeit und Bildung nicht in die Berechnung ein. Die tatsächliche Schuldenquote im Euro-Raum lag gemessen am Sozialprodukt deshalb 2010 nicht nur bei 86, sondern bei 340 Prozent. Erstaunlich auch: So gesehen steht das Krisenland Italien vor den geringsten, aber der vermeintliche Musterknabe Luxemburg vor den größten Herausforderungen.

Das sind die zentralen Ergebnisse einer Studie des Forschungszentrums Generationenverträge der Uni Freiburg für die Stiftung Marktwirtschaft. Werde einem schon bei der Betrachtung der expliziten Schulden schwindelig, bekomme das Thema Schuldentragfähigkeit einen neuen Anstrich, wenn man auch die implizite Verschuldung vieler Euro-Staaten in die Überlegung mit einbeziehe, sagt Eugen Keller, Volkswirt beim Bankhaus Metzler mit Blick auf die Studie.

Eigentlich darf die Schuldenquote laut Maastricht-Kriterien für die Währungsunion nur bei 60 Prozent liegen. Aber schon da liegen fast alle Euro-Staaten drüber. „Im Hinblick auf die Zukunft sind die Kriterien blind“, sagt Professor Bernd Raffelhüschen, der Mitautor der Studie ist. „Künftige Schulden, die heute schon absehbar sind, weil staatliche Leistungsversprechen für die kommenden Jahre ohne eine ausreichende Finanzierungsbasis gemacht wurden, fallen durch ihr Prüfraster“.

Hintergrund für die Entwicklung der impliziten oder auch geheimen Staatsschulden ist der steigende Altersdurchschnitt in der Bevölkerung in der Euro- Zone durch den Rückgang der Geburtenrate und die zunehmende Lebenserwartung. Der Anteil der über 65-Jährigen werde sich bis 2060, so die Studie, auf etwa 53 Prozent verdoppeln. Das belastet die Rentenkassen und die Ausgaben für Gesundheit und Pflege. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Erwerbstätigen, was das Wachstum bremst und die Einnahmen der öffentlichen Haushalte mindert. Die Staaten müssen also neue Schulden machen.

Dabei erscheinen die Probleme in Deutschland der Studie zufolge fast noch überschaubar. Die geheime Staatsschuld treibt die Schuldenquote „nur“ von 83 auf 193 Prozent. Erstaunlich ist, dass Italien seine Schuldenquote nur von 119 auf 146 Prozent steigert. Grund sei zum einen der geringste Anstieg der Renten-, Gesundheits- und Pflegeausgaben, zum anderen der mit der sinkenden Schuldenquote verbundene Rückgang der Zinskosten. „Entsprechend ist in Italien langfristig mit einer positiven Entwicklung der öffentlichen Finanzen zu rechnen“.

Zweite erstaunliche Erkenntnis der Studie: Luxemburg wird in den nächsten Jahrzehnten zu einem Problemfall und steht künftig sogar noch schlechter da als Griechenland. Die zu erwartende massive Steigerung der Ausgaben für Renten, Gesundheit und Pflege treibt die Schuldenquote von 19 auf unvorstellbare 1116 Prozent. Griechenland kommt der Studie zufolge von 145 auf 1017, Irland von 92 auf gigantische 1497 Prozent. Unter den aktuellen Krisenstaaten sieht es für Portugal mit einem Anstieg von 93 auf 359 Prozent und für Spanien von 61 auf 549 Prozent fast schon gemäßigt aus.

Die Lasten der Finanz- und Wirtschaftskrise bezeichnen die Autoren der Studie vor dem Hintergrund ihrer Analyse „lediglich als Klacks“. Deutschland etwa müsste seine Staatsausgaben gemessen am BIP um jährlich vier Prozent senken, um vom Schuldenberg herunterzukommen. Gemessen am BIP des Jahres 2010 entspreche dies einer Einsparung von 99 Milliarden Euro. Italien müsste die Ausgaben nur um 2,4 Prozent drosseln, Irland dagegen um zehn, Luxemburg um zwölf und Griechenland um fast 18 Prozent. Der Studie zufolge steht den Euro-Staaten wegen der geheimen Staatsschulden die „wahre Herausforderung“ erst noch bevor. Rolf Obertreis

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