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Euro-Krise: "Sympathie für den deutsche Steuerzahler"

Der britische Europaminister David Lidington ist am Montan in Berlin zu Gast. Ursprünglich hatte Premier David Cameron für Lidingtons Posten einen europaskeptischeren Politiker vorgesehen.

Wer den britischen Europaminister David Lidington in seiner Londoner Amtsstube besucht, erhält als erstes eine Broschüre mit dem Titel „Wachstum jetzt“ in die Hand gedrückt. Wachstum ist seine Priorität, und er wird das in alle EU-Sprachen übersetzte Heft im Gepäck haben, wenn er am heutigen Montag mit dem Europakomitee des britischen Kabinetts zur ersten gemeinsamen Sitzung mit deutschen Amtskollegen auf Staatssekretär-Ebene nach Berlin reist. „Einen Versuch“ nennt Lidington das Treffen.

Mag die Euro-Krise für Gereiztheit in den Beziehungen sorgen, wenn es um den Binnenmarkt, Regulierung, Bürokratieabbau, Mittelstand und Welthandel geht, senden Berlin und London eher auf der gleichen Wellenlänge. „Die Gipfelbeschlüsse des Europäischen Rats vom Oktober hätten in London geschrieben sein können“, freut sich Lidington. „Wenn wir wollen, dass unsere Kinder denselben Lebensstandard und eine ähnliche soziale Absicherung haben wie wir, muss Europa sehr viel schneller sehr viel besser werden, seine Waren und Dienstleistungen auf dem globalen Markt anzubieten.“

Dagegen haben die Euro-Krise und Differenzen über die zukünftige Gestaltung Europas die Länder auf Konfrontationskurs gesetzt. Berlins Muskelstrategie zur Disziplinierung der Schuldenländer wird in britischen Zeitungen mit einem „vierten Reich“ in Verbindung gebracht. „Times“-Autor Anatole Kaletsky schrieb gerade, Deutschland habe „der Euro-Zone den Krieg erklärt“.

Ursprünglich hatte Premier David Cameron für Lidingtons Posten einen europaskeptischeren Politiker vorgesehen. Lidington kam zum Zuge, weil er in der Regierungskoalition zwischen den skeptischen Tories und den europafreundlichen Liberaldemokraten ausgleichen kann. „Es gibt in Großbritannien beträchtliche Sympathie für Deutschlands Lage und den enormen politischen Druck auf die deutsche Führung“, sagt er. „Wenn ich deutscher Steuerzahler wäre, wäre ich auch wütend über einige der Sachen, die in den letzten zwei Jahren herausgekommen sind.“

Aber Deutschland habe die Verantwortung, „in der Euro-Zone dringend wieder für Stabilität zu sorgen“. Die Krise schaffe weltweit Unsicherheit und habe auch auf die britische Wirtschaft negative Effekte. In Straßburg hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel deutsch-französische Vorschläge für Vertragsreformen angekündigt und unterstrichen, dass es „Richtung Fiskalunion“ gehe – wird London also an den Rand gedrängt? Lidington weicht der Frage aus: „Wir wissen ja nicht, was vorgeschlagen wird“. Aber was immer passiere, der gemeinsame Binnenmarkt der 27 EU-Mitglieder müsse bewahrt werden.

Wie europafeindlich sind die Briten jetzt? „Wir sind skeptisch gegen große Visionen, die nur unnötige Bürokratieebenen und teure Regeln schaffen. Wir wollen ein Europa, das Platz für Unterschiede hat. Jedes Land muss seinen eigenen Wählern Rechenschaft ablegen, und bei uns Briten mit unserer Geschichte ist das eben ein bisschen anders“, sagt der Minister. Also kein direkt gewählter Präsident für Europa, wie ihn Finanzminister Wolfgang Schäuble vorschlägt? Lidington lacht laut. „Es gibt kein europäisches Wahlvolk, das eine solche Position mit Sinn füllen würde.“

Matthias Thibaut

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