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Flugausfälle häufen sich: Bei kurzfristigen Absagen können Kunden nicht nur den Ticketpreis zurück verlangen, sondern auch eine Entschädigung.

© dpa/Frederico Gambarini

Flugchaos im Sommer: Bekommen Passagiere künftig ihr Geld automatisch?

Viele Airlines zahlen Ticketpreis und Entschädigung nur zögerlich. Davon profitieren Inkassoportale und Anwälte. Die Politik will das ändern.

Ein Fall von vielen: Easyjet sagt den gebuchten und bezahlten Flug von Amsterdam nach Berlin acht Tage vor der geplanten Reise ab. Die rund 60 Euro für das Ticket sind wenige Tage später auf dem Konto der Passagiere. Doch die Entschädigung von 250 Euro, die die Airline darüber hinaus zahlen müsste, lässt auf sich warten.

Bundesverbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne) ärgert sich über solche Fälle. „Aufgrund des Chaos an den Flughäfen und vieler gestrichener Flüge beginnt für viele Verbraucher:innen der Urlaub derzeit mit Ärger und Frust“, sagte die Ministerin dem Tagesspiegel. Die Lufthansa streicht in den Sommermonaten über 3000 Flüge, bei Eurowings sind es Hunderte Verbindungen, Easyjet sagt allein am BER über 1000 Flüge ab. Fluggäste werden kalt erwischt. Einige erfahren erst am Airport von ihrem Pech.

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Das können Betroffene verlangen

Die Rechtslage ist klar. Die Fluggesellschaften sind verpflichtet, Verbrauchern den Flugpreis der stornierten Flüge innerhalb von sieben Tagen zu erstatten. Wenn der Flug 14 Tage vor Abflug oder noch kurzfristiger abgesagt wird, haben die Kunden außerdem einen Anspruch auf eine Entschädigung. „Ich erwarte, dass die Fluggesellschaften ihren Verpflichtungen direkt nachkommen“, betont Lemke. „Ich gehe davon aus, dass das Luftfahrt-Bundesamt hier sehr genau hinschauen wird.“

Verbraucherministerin Steffi Lemke will Verbrauchern helfen. Das Ministerium will sich in Brüssel für eine Verbesserung der Fluggastrechte einsetzen.
Verbraucherministerin Steffi Lemke will Verbrauchern helfen. Das Ministerium will sich in Brüssel für eine Verbesserung der Fluggastrechte einsetzen.

© dpa/Britta Pedersen

In der Corona-Pandemie hatte die Behörde gegen etliche Fluggesellschaften Bußgelder verhängt, weil diese auch nach Monaten ihre Kunden nicht ausbezahlt hatten. Doch zu ihrem Geld kommen die Verbraucher dadurch nicht. Die Behörde ist nicht dazu da, Ansprüche der Passagiere durchzusetzen. Das tun andere: Die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) unterstützt Passagiere kostenlos, das Verfahren kann sich aber einige Monate hinziehen, wenn die Airlines mauern. Internetportale und Anwälte sind oft schneller, lassen sich die Unterstützung aber bezahlen. Die Inkassodienste verlangen ein Drittel oder mehr der Erstattungssumme als Provision.

Soll man die Entschädigung künftig automatisch bekommen?

Im Bundesverbraucherschutzministerium will man diese Verhältnisse nicht länger hinnehmen. Dort will man, dass die Fluggesellschaften Erstattungen und Entschädigungen künftig automatisiert auszahlen. Unterstützung kommt von den Grünen. „Es kann nicht sein, dass die Verbraucher einen Anwalt oder ein provisionsbasiertes Internetportal einschalten müssen, um ihre Rechte durchzusetzen“, sagte der tourismuspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Stefan Schmidt, dem Tagesspiegel. „Die Fluggäste müssen automatisiert entschädigt werden.“

Mehr als 3000 Flüge werden gestrichen: Lufthansa-Chef Carsten Spohr rechnet erst im Winter wieder mit einer Erholung.
Mehr als 3000 Flüge werden gestrichen: Lufthansa-Chef Carsten Spohr rechnet erst im Winter wieder mit einer Erholung.

© imago images/Arnulf Hettrich

Ganz neu ist diese Idee nicht. Auf eine solche Regelung hatten sich die Koalitionsparteien bereits im Koalitionsvertrag geeinigt. „Entschädigungs- und Ausgleichszahlungen sollen bei allen Verkehrsträgern automatisiert werden“, heißt es dort. Praktisch bedeutet das: Kunden bekommen das Geld entweder automatisch oder mit wenig Aufwand.

Doch während auch die SPD an dem Vorhaben festhält, rudert die FDP zurück. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Oliver Luksic, plädierte kürzlich im „Handelsblatt“ für eine freiwillige Lösung. Eine Verpflichtung der Fluggesellschaften durch eine nationale Regelung wäre angesichts der detaillierten Regelungen in der europäischen Fluggastrechteverordnung „wenig hilfreich“, sagte der Liberale der Zeitung. Verbraucherministerin Lemke sieht das anders. Sie will sich auf EU-Ebene für eine Verbesserung der Fahrgastrechte einsetzen, das schließt auch die Frage der automatisierten Entschädigung ein. Tourismusexperte Schmidt appelliert an die FDP einzulenken. „Ich erwarte, dass das Verfahren für die automatisierten Entschädigungszahlungen noch in diesem Jahr startet“, betont der Grünen-Politiker. Im FDP-geführten Bundesjustizministerium will man sich derzeit nicht äußern.

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Verbraucherschützer: Auf die Airlines können gewaltige Kosten zukommen

Das Flugchaos setzt die Politik unter Druck. Verbraucherschützer erwarten, dass auf die Airlines enorme Kosten zukommen. „Ich rechne mit einer massiven Zahl von Beschwerden, die Flugausfälle häufen sich ja“, sagte die Verkehrsexpertin des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV), Marion Jungbluth, dem Tagesspiegel. „Für die Airlines kann das richtig teuer werden.“ Eine Vorstellung könnten die Zahlen aus der Corona-Pandemie geben. So hat allein die Lufthansa-Gruppe 2020, als das Fliegen praktisch zum Erliegen kam, 3,9 Milliarden Euro an ihre Passagiere gezahlt, im vergangenen Jahr waren es 1,5 Milliarden Euro.

Chaos am Düsseldorfer Flughafen: Zum Ferienbeginn gab es lange Warteschlangen.
Chaos am Düsseldorfer Flughafen: Zum Ferienbeginn gab es lange Warteschlangen.

© dpa/David Young

Experten rechnen mit einer Beschwerdewelle

Freiwillig zahlen die Airlines selten. „Wir hören immer wieder, dass die Kommunikation mit den Airlines schwierig ist oder diese die Entschädigung hinauszögern“, weiß Jungbluth. Auch sie möchte daher, dass es für Verbraucher leichter wird, ihre Ansprüche durchzusetzen: „Mit drei Clicks müsste man die Entschädigung beantragen können, und das Geld müsste dann schnell aufs Konto fließen.“

Das Chaos an den Flughäfen schlägt sich schon jetzt beim Internetportal Flightright nieder. „Die Zahlen gehen durch die Decke“, heißt es auf Anfrage. Mehrere Tausend Anfragen gehen täglich bei dem Inkassodienstleister ein. Im Vergleich zum Vorcoronajahr 2019 verzeichnet Flightright eine Verdoppelung. Es sei nicht mehr weit bis zu einer Neuauflage des Chaosjahrs 2018.

Wer Betroffenen weiterhilft

Mit einer Beschwerdewelle rechnet auch Sabine Cofalla, Geschäftsführerin der Schlichtungsstelle SÖP. „Ich schätze, wir werden einen ersten Höhepunkt in sechs bis acht Wochen erleben“, glaubt sie. Aber dann sei sicher nicht Schluss. „Die Flugausfälle werden ja voraussichtlich die gesamten Sommerferien betreffen“. Lufthansa-Konzernchef Carsten Spohr rechnet sogar bis zum Winter mit Einschränkungen.

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Fluggäste können sich an die SÖP wenden, um ihre Ansprüche durchzusetzen. Das Verfahren ist kostenlos, allerdings wird die SÖP erst tätig, wenn die Airline den Anspruch abgelehnt oder sich zwei Monate nicht gerührt hat. Schneller kommt man an sein Geld, wenn man einen Anwalt oder ein Internetportal einschaltet. Marktführer Flightright berechnet für eine Ticketerstattung eine Provision von 14 bis 28 Prozent plus Mehrwertsteuer, bei einer Entschädigung sind es in der Regel 20 bis 30 Prozent zuzüglich Mehrwertsteuer. Falls ein externer Anwalt eingeschaltet wird, kommen weitere 14 Prozent hinzu.

Welche Airlines zahlen und welche nicht

Ob und wie schnell die Airlines zahlen, ist nach Einschätzung von Flightright sehr unterschiedlich. Easyjet und Ryanair seien vergleichsweise kundenfreundlich, auch Eurowings zahle die Tickets relativ zeitnah. Dagegen würden Iberia, Vueling, Turkish Airlines und British Airways die Dinge eher verschleppen.

Was ist mit der Lufthansa?

Besonders heftige Kritik übt Oskar de Felice, Leiter der Flightright-Rechtsabteilung an der Lufthansa. „Berechtige Ausgleichszahlungen werden mit allen möglichen vorgeschobenen Argumenten abgewehrt und an den Hotlines muss man stundenlang auf ein Gespräch warten“, berichtet de Felice. Die Lufthansa sei eine vehemente Zahlungsverweigerin, in der überwiegenden Zahl der Fälle müsse man klagen, heißt es bei Flightright. Der Konzern weist das zurück. Bei den noch offenen Ticketerstattungen gebe es aktuell keinen Rückstau, betonte ein Sprecher auf Anfrage. Erstattungen würden in der Regel innerhalb der gesetzlichen Frist bearbeitet.

Was gegen das Flugchaos helfen könnte

Verbraucherschützerin Jungbluth möchte, dass Passagiere künftig nicht mehr in Vorleistung gehen müssen. „Der volle Flugpreis sollte nicht bei Buchung fällig werden, sondern erst kurz vor dem Check-In“. Vor allem aber sieht sie die Politik in der Pflicht, das Flugchaos zu beenden. Jungbluth fordert einen Fluggipfel, um alle Beteiligten an einen Tisch zu holen.

Und sie hat einige Lösungsideen im Gepäck: Eine automatisierte Sicherheitskontrolle wie sie am Flughafen Köln/Bonn erprobt worden ist, würde die Wartezeiten verkürzen. Zudem sollten Größe und Gewicht des Handgepäcks bei allen Airlines vereinheitlicht werden. Und im Flugpreis sollte ein Aufgabegepäckstück enthalten sein, schlägt sie vor. Damit würde das „unwürdige Handgepäckgerangel“ bei der Sicherheitskontrolle wegfallen.

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