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Wirtschaft: Frühes Werben um Fachkräfte

Unternehmen setzen auf Schulpartnerschaften, um geeigneten Nachwuchs zu finden

Der „Zerspanungsmechaniker“ ist unter Schulabgängern ein unterschätzter Beruf. Die früher als „Dreher“ bekannten Industriebeschäftigten mussten in vielen Betrieben lange nur mit einem geringen Ansehen leben, weiß der Leiter der Siemens-Berufsbildungszentrums an der Nonnendammallee, Norbert Giesen. Heute jedoch sei das Drehen, Fräsen und Schleifen von Präzisionsbauteilen ein sehr verantwortungsvoller Job, bei dem es um Millionenwerte gehen könne, erklärte Giesen 15 Zehntklässlern bei deren Besuch in der Ausbildungsstätte am Montag. Siemens-Zerspanungsmechaniker seien zum Beispiel für 15 Meter lange und sechs Meter breite Gestänge verantwortlich, die in Gasturbinen zum Einsatz kommen, erzählte ein Azubi. Dann lernten die Schüler im Schnelldurchlauf noch weitere Industrieberufe kennen und schrieben an Computern eine Online-Bewerbung um eine Lehrstelle beim größten industriellen Arbeitgeber Berlins.

Ob Siemens sie zum Vorstellungsgespräch einlädt, werden die Schüler der Friedrich-Bergius-Schule in Friedenau, der Katholischen Schule Salvator in Reinickendorf und der Schule an der Haveldüne in Spandau in ungefähr vier Wochen erfahren. Die zur Werkstour geladene Gruppe war handverlesen: In Vorgesprächen hatten Lehrer und die Koordinatorin Eva Pammler vom Förderverein „Modul“ die Interessen und Fähigkeiten individuell ausgelotet. „Wir kooperieren seit 2006 mit Siemens und haben schon einige Azubis untergebracht“, sagt Pammler. Mitunter handele es sich um Schüler, die in Deutsch oder Mathematik schlecht seien, aber andere spezielle Talente erkennen ließen. Insgesamt arbeitet der Aus- und Weiterbildungsverein mit rund 40 Sekundarschulen und 15 Handwerksinnungen zusammen.

Bei Schulpartnerschaften geht es nicht allein um Sekundarschulen. Das zeigt die neueste Vereinbarung, die am heutigen Mittwoch im Beisein des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) im Gewerbegebiet Pankowpark unterzeichnet werden soll. Die Partner sind ein Trainingscenter des Energietechnikkonzerns ABB und das Max-Delbrück- Gymnasium in Niederschönhausen.

Bei der IHK und der Handwerkskammer Berlin läuft seit Jahren das Projekt „Partnerschaft Schule–Betrieb“, das zu mehr als 300 Kooperationen geführt hat. Angesichts des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels gilt dies als immer wichtiger. Außerdem ist das „Duale Lernen“ seit der Berliner Schulstrukturreform in den Rahmenlehrplänen der Sekundarschulen verankert.

„Gerade für kleinere Handwerksbetriebe ist das Engagement in der Schule ,um die Ecke‘ eine Herzensangelegenheit“, sagt die Bildungsexpertin der Handwerkskammer, Katharina Schumann. Praktika seien „eine Tradition und ein bewährtes Verfahren zur Nachwuchsgewinnung“. Das Spektrum reiche von Betriebsbesuchen über Vorträge der Unternehmer im Klassenzimmer bis zur Beteiligung der Firmen an Schulfesten und Berufsorientierungstagen. Allerdings unterzeichneten Maler, Elektriker, Bäcker oder Fleischermeister „nicht immer einen Vertrag“ und bevorzugten eine Partnerschaft per „Handschlag“; kleine Betriebe könnten nicht immer vorausplanen, ob sie sich der Betreuung von Schülerpraktikanten widmen können.

In Marienfelde veranstaltet das Unternehmensnetzwerk Motzener Straße, dem 55 Firmen angehören, jährlich einen Industrietag für Schüler. Dieser findet zeitgleich mit dem bundesweiten „Girls Day“ statt, der Mädchen für technische Berufe begeistern soll. Zudem gibt das Netzwerk eine Ausbildungsbroschüre heraus, die Praktikums- und Ausbildungsplätze der beteiligten Firmen auflistet und die Berufsbilder beschreibt. Lehrer und Unternehmer lernen sich beim „Stammtisch Schule trifft Wirtschaft“ kennen. „Seit drei Jahren ist augenfällig, dass die punktgenaue Vermittlung besser klappt“, sagt die Geschäftsstellenleiterin des Netzwerks, Gabriele Isenberg-Holm. „Lehrer sagen den Unternehmen: Dieser Schüler passt, für den lege ich die Hand ins Feuer.“

Betriebsbesuche mit einer ganzen Klasse „sind völliger Unsinn“, findet die Leiterin der Heinz-Brandt-Schule in Weißensee, Miriam Pech. Der Anteil desinteressierter Schüler sei viel zu hoch. Auch bei Besuchen von Firmenvertretern im Unterricht „schlafen zwei Drittel der Schüler“. Deshalb setzt die ehemalige Hauptschule auf eine „passgenaue“ Auswahl der Schüler – und gewann im März im Bundeswettbewerb „Starke Schule“. Häufig haben Schüler aber noch gar keine Vorstellung, welcher Beruf für sie infrage kommt, und orientieren sich eher an Trends. „Alle Jungs wollen Automechaniker werden und Mädchen gerne Mechatroniker“, sagt Pech. Dagegen suche ein Autohaus noch „händeringend“ Karosseriebauer. Wenig Interesse gebe es auch an der Ausbildung zum Metzger oder Fleischereifachverkäufer.

Dies will Fleischermeister Jörg Oppen, Chef eines 1779 gegründeten Familienbetriebs und Lehrlingswart der Fleischer-Innung, seit 2006 als Partner von Schulen ändern. „Bei einer Fleischerei rufen alle ,Ihh!‘“, klagt er. Für den Praktikumstag der Heinz-Brandt-Schule im Januar spendierte Oppen 120 Bockwürste, die er mit Neuntklässlern herstellte. Noch hatte der Fleischermeister „kein Erfolgserlebnis“, die Bewerber seien „sehr dünn gesät“ und zudem meistens ungeeignet. Trotzdem gibt er nicht auf und ist vom Sinn der Partnerschaften überzeugt.

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