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Wirtschaft: „Für die hohen Strompreise wird jeder Vorwand genutzt“

Umweltminister Gabriel hält die kostenlose Zuteilung der Emissions-Zertifikate für gerechtfertigt und will Kohlekraftwerke begünstigen

Herr Gabriel, haben Sie Angst vor den Managern der Stromwirtschaft?

Wie kommen Sie denn darauf? Ich verfolge beim Emissionshandel klare Ziele: minus 21 Prozent weniger Treibhausgase bis 2012 im Vergleich mit 1990, gute Rahmenbedingungen für Investitionen in neue Kraftwerke, Vereinfachung der Zuteilung.

Weil Sie den Stromkonzernen auch künftig die Zertifikate für den Ausstoß von Treibhausgasen kostenlos zuteilen wollen, obwohl die den Marktpreis der Lizenzen auf die Strompreise umlegen und damit jährlich sechs Milliarden Euro Zusatzgewinne auf Kosten der Verbraucher machen.

Ich möchte keinen Vorwand für eine neue Preisspirale liefern, wenn die Zertifikate beim Staat gekauft werden müssten und der Spekulation Tür und Tor geöffnet wären. Da ist es besser, dass wir ihnen die Menge der Zertifikate um 15 Prozent kürzen und dafür die übrige Industrie nur geringe Emissionsminderungen erbringen muss. Der Strompreis richtet sich ohnehin vor allem danach, was am Markt durchsetzbar ist. Da wird jeder Vorwand genutzt. Das lässt sich nur durch mehr Wettbewerb in Europa ändern.

Die Stromversorger haben angekündigt, dass sie wegen der Kürzung bei der Zuteilung die Preise erhöhen wollen, weil dadurch auch die Zertifikate teurer werden.

Das haben sie letztes Jahr auch gesagt. Als dann die Preise für CO2-Zertifikate fielen, musste plötzlich der trockene Sommer in Spanien und der dort steigende Stromimport zur Begründung herhalten. Wir erwarten, dass der CO2-Preis sinken wird, weil wir den Unternehmen erlauben, durch Projekte in Entwicklungsländern und in Osteuropa zusätzliche Zertifikate zu relativ geringen Kosten zu erwerben.

Wenn Sie einen Teil der Zertifikate versteigern würden, könnten Sie mit dem Erlös die Stromsteuer senken.

Wir dürften ohnehin nur höchstens zehn Prozent versteigern. Die Beträge, die wir dann für eine Senkung der Stromsteuer hereinbekämen, wären nicht sehr hoch. Außerdem zahlen Großverbraucher in der Industrie schon jetzt keine oder sehr wenig Stromsteuer.

Sie planen, dass nur zwölf von jährlich 495 Millionen CO2-Zertifikaten in der Reserve bleiben. Gleichzeitig wollen Sie für jedes neue Kraftwerk so viele Lizenzen ausgeben, wie es braucht. Wie soll das funktionieren, wenn die Stromwirtschaft die angekündigten 30 neuen Kraftwerke errichtet?

Wir gehen davon aus, dass ein Teil dieser neuen Anlagen erst nach 2012 ans Netz geht und die Reserve deshalb ausreichen wird, sie ist viermal größer als in der ersten Handelsperiode. Neue Kraftwerke brauchen auch nicht in jedem Fall Zertifikate aus der Reserve. Es können auch Zertifikate von alten stillgelegten Anlagen auf neue Kraftwerke übertragen werden.

Der Bund wird keine Zertifikate zukaufen müssen?

Nein, das lehnen wir ab.

Neue Steinkohlekraftwerke sollen weit mehr Zertifikate bekommen als Gaskraftwerke, obwohl letztere nur halb so viel Kohlendioxid produzieren. Führt das nicht den Sinn des Emissionshandels ad absurdum? Die abgasärmere Technologie soll doch begünstigt werden.

Gaskraftwerke werden derzeit kaum in der Grundlast, also rund um die Uhr, betrieben, da der Brennstoff Gas teurer als Kohle ist. Wenn wir außerdem aus der Kernenergie aussteigen wollen, dann können wir auf den Energieträger Kohle nicht verzichten. Wir dürfen sie über den Emissionshandel nicht so teuer machen, dass effiziente und damit sauberere Kohlekraftwerke nicht mehr gebaut werden.

Führt die großzügige Ausstattung der Industrie dazu, dass in Haushalten und beim Verkehr mehr CO2 gespart werden muss?

Ja, etwa sieben Millionen Tonnen jährlich. Aber mit dem Gebäudesanierungsprogramm und dem steigenden Einsatz von Biokraftstoffen ist das erreichb ar.

Sigmar Gabriel, 46, ist Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Das Gespräch mit dem SPD-Politiker führten Harald Schumann und Anselm Waldermann.

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