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GDL-Streik: Wirtschaft fürchtet Lokführer

Die am Mittwochabend angelaufenen Streiks der Lokführer könnten Millionenschäden verursachen. Und die Gewerkschaft droht mit weiteren Ausständen.

Berlin - Der bislang umfangreichste Streik der Lokführergewerkschaft GDL in der Nacht zum heutigen Donnerstag schürt in der Wirtschaft Angst vor massiven Schäden durch den Konflikt. Falle die Eisenbahn als Lieferant länger aus, sei mit Schäden von hunderten Millionen Euro zu rechnen, sagte Anton Börner, Präsident des Außenhandelsverbands BGA, am Mittwoch in Berlin. „Dann können wir alle Wachstumsprognosen vergessen.“ Die Unternehmen versuchen derweil, sich gegen weitere Streiks zu wappnen, indem sie ihre Lager aufstocken.

Einen eintägigen Streik könnten die Unternehmen noch ohne große Einbußen verkraften, befand Börner. „Ab dem dritten Tag gibt es bereits Engpässe in der Autoindustrie.“ Dauere der Ausstand fünf Arbeitstage, koste jeder Tag 100 Millionen Euro, ab zwei Wochen sei mit 200 Millionen Euro pro Tag zu rechnen. „Zuverlässigkeit ist eines der Leistungsmerkmale der deutschen Wirtschaft. Wenn mittelfristig häufiger gestreikt wird, wird das unsere Exportchancen drastisch nach unten fahren.“

Der Tarifkonflikt trifft die Wirtschaft mitten in einer der stärksten Wachstumsphasen seit Jahren. Mehr als ein Sechstel des Güteraufkommens transportieren die Deutsche Bahn und ihre Konkurrenten. Allein der Staatskonzern, der drei Viertel des Frachtmarktes beherrscht, schickt pro Tag 5000 Güterzüge auf die Reise – das entspricht 100 000 Lkw-Fahrten. Hinzu kommt, dass die Produktions- und Lieferketten der Wirtschaft immer enger getaktet und anfälliger für Störungen sind.

Am Montag hatten sich mehr als 90 Prozent der in der Gewerkschaft GDL organisierten Lokführer in einer Urabstimmung für eine Ausweitung des Arbeitskampfes ausgesprochen. Seither habe sich auf Seiten der Arbeitgeber nichts bewegt, beklagte GDL-Chef Claus Weselsky. „Dies zwingt uns zu erweiterten Arbeitskampfmaßnahmen.“ Neben dem Güterverkehr wolle man bis um zehn Uhr an diesem Donnerstagmorgen auch den Personenverkehr bestreiken. Dies sei „ein deutliches Signal an die Arbeitgeber, endlich ein verhandlungsfähiges Angebot vorzulegen“ .

Die Lokführer verlangen höhere Löhne sowie einheitliche Tarifbedingungen bei der Deutschen Bahn und ihren privaten Konkurrenten, im Fernverkehr ebenso wie in Regional- und Güterzügen. Im Regionalverkehr gibt es bereits einen Branchentarifvertrag zwischen den Arbeitgebern und der Gewerkschaft EVG. Der GDL geht er aber nicht weit genug. Als Triebfahrzeugführer, wie der Beruf bei der Eisenbahn genannt wird, arbeiten deutschlandweit 26 000 Menschen. Erschwert wird der Konflikt dadurch, dass die sechs großen Privatbahnen im Regionalverkehr die Verhandlungen mit der GDL über branchenweite Lokführer-Regeln abgebrochen haben und nur noch über Haustarifverträge reden wollen.  

„Der Arbeitskampf der GDL nimmt immer absurdere Züge an“, erklärte die Deutsche Bahn. Personalvorstand Ulrich Weber sagte, es sei unverständlich und verantwortungslos, dass die Lokführer Druck auf die Privaten ausüben wollten, aber die Bahn bestreikten. „Das versteht kein Mensch mehr.“ Die GDL solle „unverzüglich“ an den Verhandlungstisch zurückkehren. Aber nicht einmal über den Diskussionsstand sind sich Bahn und GDL einig. Die Gewerkschaft moniert, der Konzern habe Lohnkürzungen ins Spiel gebracht. Die Bahn widerspricht. Schriftlich belegen wollte die GDL ihre Behauptung auf Anfrage des Tagesspiegels nicht.

Schon 2007 gab es einen längeren GDL-Streik – er dauerte 42 Stunden. In Ostdeutschland war der Güterverkehr zum Stillstand gekommen, in Westdeutschland nur noch jeder dritte Güterzug gefahren. Größere Produktionsausfälle gab es aber nicht.

Besonders die Autohersteller, die Chemieindustrie, die Stahl- und die Energiewirtschaft sind auf die Bahn angewiesen. Pro Tag bedienen allein 200 Züge die Autowerke mit Vorprodukten, jeder zweite Neuwagen wird per Bahn abtransportiert. Die Branche ist auf pünktliche Lieferungen angewiesen, die Lager sind klein. Beim Konflikt 2007 fielen in einem Audi-Werk in Brüssel einige Schichten aus, der Konzern erwog Kurzarbeit.

Porsche hat aus Angst vor Produktionsstopps mit der Bahn einen vorrangigen Transport seiner Güter bei drohenden Engpässen vereinbart. So sei der Nachschub etwa für das Werk Leipzig gesichert, hieß es. Daimler erklärte, man werde eine Verlagerung der Transporte auf die Straße prüfen. Allerdings sieht die Logistikbranche hier nur begrenzte Möglichkeiten. „Angesichts des Aufschwungs haben wir derzeit nicht mehr ausreichend Kapazitäten frei“, sagte ein Sprecher des Speditions- und Logistikverbands. In der Krise seien 2000 Mittelständler pleitegegangen, nun fehle deren Frachtraum.

Die Bahn versicherte, sie werde Hochöfen und Kraftwerke vorrangig versorgen. Die Versorgung mit Brennstoff dürfte ein mehrstündiger Arbeitskampf allerdings kaum gefährden, die Vorräte sind umfangreich. Bei längeren Streiks bestünden aber „erhebliche Probleme“, befand die Wirtschaftsvereinigung Stahl. Das gilt auch für die Chemieindustrie, sie transportiert acht Prozent ihrer Rohstoffe und Zwischenprodukte, also gut 30 Millionen Tonnen, mit der Eisenbahn. Der Chemiekonzern BASF teilte mit, man habe die Lager aufgestockt und Lieferungen an Kunden vorgezogen. Für Chemie-Großanlagen wären Lieferunterbrechungen besonders schwierig – schlimmstenfalls gingen Produktionsanlagen kaputt, die Tag und Nacht mit Rohstoffen versorgt werden müssen, sagte ein Branchenkenner.  

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