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Wirtschaft: Geb. 1917

Ursula Ackermann

Ursula Ackermann

Wenn der Künstler von der Bühne abtritt, klatschen die Menschen Beifall. Das hat sich so eingebürgert. Der Künstler fühlt sich per Akklamation unsterblich, und die Menschen freuen sich, einem Halbgott gehuldigt zu haben. Niemand weint, wenn der Künstler abtritt. Echte Trauertränen passen da nicht hin, bitteschön, auch wenn es das letzte Mal ist und die Bühne gar keine ist, sondern das Leben. Mit dem Magen sei da etwas nicht in Ordnung, hatte Ursula Ackermann den einen erzählt. Andere wollten etwas von einer Grippe vernommen haben, nichts Ernstes. 14 Tage später war sie tot. Magenkrebs.

Gefühle behält man für sich, sonst geraten sie außer Kontrolle. Von Außenstehenden kann man das dann auch erwarten. Es geht schließlich um etwas, das höher steht. Die Musik, um es konkret zu sagen, der Gesang, der klare, heitere Ton. Ohne die Musik ist alles nichts. In der Kieler Bucht wurde zerstreut, was von der Frau Ackermann übrig blieb. Nun ist alles weg, was mal ihr Körper war. Schön war sie früher, wie aus dem Ei gepellt, eine zweite Liz Taylor. Kleine feine Frau mit warmer Stimme. Koloratur-Sopran. Für Nahestehende: die Uschi.

„Hänschen“ war so ein Nahestehender. Der Hans Rosenthal. Mit dem ist sie in der „RIAS-Kaffeetafel“ aufgetreten. Hänschen soll ihr geraten haben, mehr die luftige Operette zu pflegen als die balladenschwere Oper. Berühmt wurden ihre „Hausfrauen-Lieder“, vorgetragen mit Schürze und Häubchen. Das Spätwerk widmete sie der märkischen Kartoffel. Sie trat auch im Osten auf, bei Heinz Quermann in der Schlager-Revue, im „Lindenhof Zwickau“ oder im „HO Kabarett zum Roland, Brandenburg“. Unmengen von Fotos hat sie davon behalten. Die Nahestehenden wissen jetzt gar nicht, was sie damit anfangen sollen. Alles hat sie aufgehoben: Programme, Noten, Bittschriften, Telegramme, Zusagen und viele freundlich formulierte Ablehnungen, Verträge, Grußkarten. Kartonladungen voll. Die Noten kann man noch gebrauchen, ein paar Bilder zur Erinnerung, Schallplatten, Kleider. Der Rest kann weg. Zurück in den Stoffkreislauf. Niemand soll diesen leblosen Dingen nachtrauern.

Auf ein paar der dünnen Pergament-Blättchen hat sie ihr Leben zusammengefasst, in blauer Matritzenfarbe. Es beginnt so: „In Halle a/S, in der es Hallenser, Halloren und Halunken gibt, verlebte ich meine Kindheit.“ Im Stadttheater versteckt sie sich während der Aufführungen hinter den Kulissen, tritt bald selbst an ihrer Schule auf und erliegt vollends der „Theatritis“. Offenbar verdreht sie nebenbei einigen Honoratioren aus Schule und Theater den Kopf, so dass sie zur Verwandtschaft nach Berlin geschickt wird. Brav lernt sie Stenografie und Schreibmaschine, arbeitet in den „Vereinigten Sauerstoff-Werken“, um nach Feierabend zu ihrem Gesangslehrer Paul von Bongardt zu eilen.

Was sie nicht schreibt: Im Krieg singt sie für die Truppe an der Front. 1941 bringt sie einen Sohn zur Welt und gibt ihn in Pflege. 17 Jahre später erfährt der Sohn davon, zieht zu ihr, aber man bleibt sich fremd. Dass sie einen Sohn hat und eine Enkeltochter, das wissen nur die Nahestehenden.

Nach dem Krieg beginnt ihre Bühnenlaufbahn im Rathaus Schöneberg, das damals als Theater diente. Sie spielt das „Blondchen“ mit langen Rapunzel-Zöpfen in der „Entführung aus dem Serail“. Es meldet sich der Rundfunk. Sogar das Fernsehen. Einmal lieh die Uschi der Romy ihre Stimme. Darauf war sie besonders stolz. „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“, hieß der Film. Romy Schneider war zu sehen, aber nicht immer zu hören. Wenn sie sang, sang eigentlich die Uschi. Nur ahnte der Zuschauer nichts davon. Er sollte nichts ahnen. Im Vorspann des Films war von der Romy zu lesen, aber nichts von der Uschi.

Die große Karriere blieb aus, aber Ursula Ackermann war auch mit der kleinen Karriere zufrieden. Zumal das mit der Karriere ja Ansichtssache ist. Ihre Nachbarin, Frau Grams, hält die Uschi für eine große Berühmtheit. Gerda Adler aus 4005 Meerbusch schrieb 1971, Ursula Ackermann sei ihr „Lieblingsstar“. „In der Hauptsache freut es mich, dass Sie, werte Frau Ackermann, ein Star sind, der von jeglichen Scandalen verschont geblieben ist.“ Alles eine Frage der Diskretion. Die Uschi war in persönlichen Dingen stumm wie ein Fisch. Von Männergeschichten hat sie ihren Freundinnen nichts erzählt. Zweimal war sie verheiratet – auch das wusste kaum jemand. Männer gab es einige, aber sie waren nicht so wichtig in Uschis Leben. Das Singen war wichtig. Die Bühne überlebenswichtig.

Fast 30 Jahre lang leitete sie den Neuköllner Seniorenchor, einmal waren sie sogar in Spanien. „Sie war ganz schön streng zu uns“, sagt Tamara Riemasch, ihre Erste Stimme. Text ablesen, falsch singen oder bei den Proben dazwischenquatschen gab es nicht. Ursula Ackermann forderte Qualität und blieb auf Distanz. Zu sich nach Hause lud sie niemals ein. Und das Du gewährte sie nur in Ausnahmen. Dennoch: „Sie war von Liebe durchwebt“, sagt ein Kollege. „Man hörte nie ein böses Wort von ihr.“ Mehr fällt ihm zu Uschi nicht ein.

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