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Im Osten Georgiens ging es seit dem Ende der Sowjetunion wirtschaftlich stetig bergab.

© IFoto:GZ/Thomas Imo

Georgien: Gegen den Wind

Die Erosion setzt Georgiens Bauern zu. Deutsche Landwirte beraten sie – nun werden die Ernten besser. Auch in anderen Bereichen gilt Deutschland als Modell für Reformen.

Der Wind weht scharf an diesem Nachmittag in Dedoplistskaro. Der Ort liegt im Osten Georgiens, der Kornkammer des Landes, die aber mehr und mehr zu einer öden Steppe verkommt. Der Wind, der hier an den südlichen Hängen des Kaukasus immer wieder über die kargen Böden hinwegfegt, wirbelt die Erde auf und das Saatgut gleich mit. Die Folge: Die Böden erodieren und werfen immer weniger Erträge ab.

Viele Landwirte, die nach der Auflösung der großen Kolchosen vor rund 20 Jahren als Kleinbauern neu angefangen hatten, mussten aufgeben. Auch Wano Natroschwili hat dieses Tal durchlebt. „Vor zwei Jahren wollte ich aufhören, doch jetzt kaufe ich sogar noch Land hinzu“, sagt der 55-Jährige. Der rundliche, weißhaarige Mann, der in seiner Lederjacke und dem gestreiften Hemd eher wie ein Berliner Taxifahrer als ein georgischer Bauer aussieht, gehört einer Genossenschaft an, die mit deutscher Hilfe die Landwirtschaft in der Region wieder auf die Beine bringen will. Auch in anderen Bereichen ist deutsche Expertise in Georgien gefragt. Ketevan Bochorischwili, stellvertretende Wirtschaftsministerin, spricht sogar vom „Modell Deutschland“ bei der Entwicklung ihres Landes.

Dabei geht es nicht nur um Wirtschaftsreformen oder neue Gesetze, sondern auch um ganz praktische Dienstleistungen für die Bürger, die in Deutschland selbstverständlich sind. Bürgerbüros zum Beispiel. „Für Georgier ist das eine Revolution“, sagt Petra Stremplat von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die im Auftrag des deutschen Entwicklungsministeriums in Georgien tätig ist. Schließlich waren vor georgischen Rathäusern früher oft Milizen postiert, die normale Bürger gar nicht erst hineinließen. Einmal pro Woche hielt der Bürgermeister eine Sprechstunde ab. Ob man vorgelassen wurde, war unsicher – und Unterstützung reine Willkür. Heute können die Georgier in vielen Gemeinden Anträge im Bürgerbüro einreichen und erfahren direkt, wann sie eine Antwort erhalten. Allerdings müssen sie ihr Anliegen noch immer in Form eines Bittbriefs formulieren. Vorgedruckte Formulare gibt es nicht.

In Dedoplistskaro begannen die Bauern auf Anraten deutscher Experten zunächst mit der Wiederaufforstung der Gegend, denn wo früher sogenannte Windschutzstreifen aus Bäumen und Sträuchern die Äcker abschirmten, fressen heute Ziegen die letzten Grashalme ab. Bäume und Sträucher sind lange schon abgeholzt und als Brenn- und Kochholz verfeuert – weil die Armut irgendwann stärker war als die Vernunft. GIZ-Berater Frank Flasche hat außerdem Bauern aus seiner hessischen Heimat als Landwirtschaftsberater nach Georgien geholt. „Die haben ebenfalls sehr leichte Böden und können ganz konkret erklären, wie sie die Sämaschine einstellen oder mit welchem Pflug sie die besten Erfahrungen gemacht haben“, sagt er.

Beratung auf Augenhöhe lautet das Rezept, und es scheint zu funktionieren. Bauern wie Wano Natroschwili konnten ihre Erträge von rund 2,5 Tonnen Weizen oder Gerste pro Hektar auf sechs Tonnen steigern. Langfristig könnte Georgien damit wieder unabhängiger von Lebensmittelimporten werden. Früher exportierte das Land nicht nur Weizen, sondern auch Wein und Gemüse, heute werden 80 Prozent der Lebensmittel importiert. Schuld daran sind nicht nur die schlechten Produktionsbedingungen, sondern auch umstrittene politische Entscheidungen. Präsident Michail Saakaschwili, einst Held der georgischen Rosenrevolution, brachte das Land quasi mit der Brechstange auf Marktwirtschaftskurs. Unbestritten sind dabei seine Erfolge im Kampf gegen die Korruption in Behörden oder beim Aufbau der Infrastruktur. Dass Saakaschwili beim Beitritt seines Landes zur Welthandelsorganisation darauf verzichtete, Schlüsselbereiche wie die Landwirtschaft zeitweise gegen Billigimporte zu schützen, halten viele heute aber für einen Fehler. Und auch die wirtschaftlichen Folgen des Krieges vor fünf Jahren gegen Russland, bis dahin Großabnehmer für georgischen Wein und andere Produkte, werden dem Präsidenten angelastet.

Seit der Milliardär Bidsina Iwanischwili das Saakaschwili-Lager bei der Parlamentswahl 2012 besiegte und Premierminister wurde, wird gegengesteuert. Der neue Regierungschef will die Beziehungen zu Russland verbessern und Saakaschwilis Reformen sozial abfedern. „Die Regierung Saakaschwili hat die Liberalisierung stark vorangetrieben, um Investoren zu befriedigen“, erklärt die neue Justizministerin Tea Tsulukiani. Das sei zu weit gegangen. Sie will nun vor allem das Arbeitsrecht so re-reformieren, dass der Kündigungsschutz und andere Arbeitnehmerrechte wieder gestärkt werden.

Die mit 38 Jahren sehr junge Karrierejuristin, die bis 2010 Richterin am Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg war, ist eines der Aushängeschilder der neuen Regierung Iwanischwili. Und der ist die deutsche Expertise nach wie vor willkommen. „Wir wollen uns verbessern, und dabei können Sie uns helfen“, sagt die Justizministerin. Konkret nennt sie die Reform der Verfassung und das Privatrecht.

Der Beratungsbedarf geht dabei bis in die praktische Prozessführung. „Deutsche Richter gehen viel mehr auf die Prozessbeteiligten ein, belehren auch schon mal, wenn sie merken, dass Anträge nicht zielführend sind“, erklärt Tamar Chikhladze. Die 35-Jährige ist seit sieben Jahren Richterin am Tifliser Stadtgericht und hat sich nach eigenen Aussagen einiges von deutschen Kollegen abgeschaut, die sie in gemeinsamen Seminaren kennengelernt hat. „Die haben gesagt: Kommen Sie doch von Ihrem Podest herunter und sprechen Sie mit den Parteien.“ Heute sieht sie sich eher als Moderatorin, die auch Vergleiche anregt. „Denn dann verlassen am Ende alle zufrieden den Gerichtssaal.“ Einfach sei das aber nicht, räumt Tamar Chikhladze ein: „In Georgien gibt es keine Kompromisskultur, daran müssen wir jeden Tag arbeiten.“

Das merkt man auch in der Politik. Kürzlich soll der Premierminister den Strom für den Präsidentenpalast, einer Mischung aus Reichstag und Weißem Haus, gekappt haben. Der Grund: Sein dortiger Widersacher ließ für seinen Geschmack das Licht in der Kuppel zu lange brennen.

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