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Wenn der Hunger kommt. Eine „Lizenz zur Verschmutzung“ von Futter sehen die Grünen in den neuen EU-Vorschriften.

© ddp

Gentechnik: Futtermittel: Ein kleines bisschen Verschmutzung

Bislang war Europa bei Grenzwerten sehr penibel. Wie EU-Kommission, Bauern und Futterindustrie das Verbot von Gen-Soja nun aufweichen.

Es geht um Gentechnik, und es geht um Futtermittel – zwei Reizwörter, die den deutschen Verbraucher gerade in diesem Jahr aufhorchen lassen. Und nun auch noch in Kombination: Denn die Europäische Kommission hat jüngst das Verbot von in der EU nicht zugelassenen genetisch veränderten Organismen (GVO) in Futtermitteln aufgeweicht. Wenn auch nur marginal: Künftig dürfen Spuren der bisher verbotenen Substanzen bis zu einem Grenzwert von 0,1 Prozent im Sojafutter enthalten sein. Allerdings nur, wenn dafür in der EU bereits seit mindestens drei Monaten ein Zulassungsverfahren läuft und das Futtermittel in einem Drittstaat genehmigt ist.

EU-Kommission, Deutscher Bauernverband und die Futtermittelwirtschaft wollen damit Engpässe in der Futtermittelversorgung Europas verhindern. Umweltverbände zweifeln aber die Argumente an, die Grünen im Europäischen Parlament sehen den Vorstoß als Lizenz zur Verschmutzung.

Bislang galt in der EU die sogenannte Nulltoleranzgrenze: Ein Schiff, das Soja oder Mais aus Übersee anliefert und auch nur geringste Spuren von nicht zugelassenen Genpflanzen an Bord hat, darf nicht gelöscht werden – und muss die Rückreise antreten. Für die Industrie eine zu harte Regelung: „Eine hundertprozentige Trennung der internationalen Warenströme ist nicht möglich“, sagt Claudia Döring vom Deutschen Raiffeisenverband. Die Schiffe würden zwar nach jeder Ladung gesäubert. „Es ist aber illusorisch zu glauben, ein Frachtschiff bis auf das letzte Korn reinigen zu können.“

Für Martin Häusling, Mitglied des Agrarausschusses und Koordinator der Grünen im EU-Parlament, ist der Beschluss ein Skandal: „Es ist fatal, wenn wir die Lizenz zur Verschmutzung vor vorneherein ausstellen. Nach dem Motto: Ein bisschen Verschmutzung darf sein.“ Der neue Grenzwert sei ein Freifahrtschein für jene, die Gentechnik gegen den Wunsch der Bürger einführen wollen.

Ähnlich sieht es Heike Moldenhauer vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): „Das ist ein Futtermittel-Verunreinigungs-Vorschlag. Es ist skandalös, dass bei einem Grenzwert von 0,1 Prozent Pflanzen auf den europäischen Markt gelangen können, die noch nicht sicherheitsüberwacht, noch nicht geprüft, noch nicht zugelassen sind.“

Zudem sei der Beschluss rechtlich nicht haltbar. Der BUND habe ein Gutachten in Auftrag gegeben, demzufolge Brüssel eine Gesetzeslücke ausnutze. Schon seit drei Jahren würden Bauernverbände und Futtermittelhersteller eine Aufhebung der Nullgrenze fordern. Unbegründet, glaubt Moldenhauer: „Im Jahr 2010 gab es nicht einen Eintrag über Futtermittelverunreinigungen durch nicht zugelassene GVO, auch 2011 noch nicht.“

Aber aus dem Jahr 2009: Mais aus den USA enthielt laut Döring vom Raiffeisenverband Spuren von nicht zugelassenen Sojapflanzen. Vorübergehend wurde der gesamte Sojaimport aus den Staaten gestoppt – ein Schaden von bis zu 400 Millionen Euro. Auch sonst verursachte die bisher geltende Regelung der EU erhebliche Kosten für die Futtermittelwirtschaft. „Wir müssen Sicherheitssysteme einführen und Maßnahmen einleiten, um das Risiko einer Vermischung mit nicht zugelassenen GVO zu minimieren“, sagt Döring.

Verzichten kann die EU auf die Sojaimporte aus Ländern wie Brasilien, Argentinien und den USA nicht. 30 Prozent der Futtermittel muss die EU einführen. Beim Sojafuttermittel sind es etwa 40 Millionen Tonnen pro Jahr. „Davon sind 90 Prozent gentechnisch verändert“, sagt Futtermittel-Expertin Döring. „Die Nachfrage nach konventionellen Sojafuttermitteln durch deutsche Landwirte liegt seit Jahren stabil bei etwa zehn Prozent.“ Allerdings sind die 90 Prozent der gentechnisch veränderten Pflanzen auch offiziell in der EU zugelassen, kontrolliert und zertifiziert.

Doch auch diese Futtermittel sieht der BUND kritisch. „Selbst bei den bislang zugelassenen Organismen ist nichts über Langzeitwirkungen, allergische und chronische Wirkungen bekannt. Gentechnik ist noch immer eine Risikotechnologie, die viel zu schlecht kontrolliert wird“, sagt die Expertin Moldenhauer.

Doch kontrolliert wird, gerade wenn neue Gen-Organismen auf den europäischen Markt strömen. Bis zu zwei Jahre könne es dauern, bis ein neues GVO-Futtermittel zugelassen wird, sagt Verena Telaar vom Deutschen Bauernverband. Das sei zu lange. Die Exportländer würden schon in Teilen die neuen GVO-Pflanzen anbauen, während sie in Europa noch verboten sind. „Wir haben in der EU ein Eiweißfutterdefizit und brauchen die neue Regelung, um die Versorgung mit Futtermitteln sicherzustellen und Lieferengpässe auszuschließen“, sagt Telaar.

„Panikmache hoch drei“ findet das Grünen-Politiker Häusling. „Es wird keine Versorgungsprobleme geben.“ Er appellierte in den vergangenen Wochen immer wieder an die EU-Staaten, gegen den Entwurf zu stimmen. Vergeblich. „Die Lobbyinteressen der Futtermittelindustrie haben sich durchgesetzt“, sagt Häusling.

Die Bundesregierung wehrt sich gegen die Vorwürfe: „Generell bleibt die Nulltoleranzgrenze bei Futtermitteln, Saatgut und bei Lebensmitteln bestehen“, sagt ein Sprecher von Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU). „Die Änderung betrifft nur einen eng definierten Bereich von Futtermitteln.“ Auch Deutschland stimmte dem Beschluss zu, wie auch 19 andere Staaten. Sieben lehnten ab, Luxemburg enthielt sich. „Wir wollen damit die Nulltoleranz praktikabler machen“, heißt es aus dem Aigner-Ministerium. Dabei sei der Schutz von Mensch und Umwelt weiterhin oberstes Ziel – so stehe es im Koalitionsvertrag.

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