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Schön war die Zeit. Klaus Wowereit (rechts) beim Gillette-Werksbesuch 2006 mit dem damaligen Werksleiter Gero Wiese.

© picture-alliance/ dpa

Gilette-Werk in Berlin-Marienfelde: Belegschaft soll für weniger Geld länger arbeiten

Die Mitarbeiter des Gillette-Werks stehen unter Druck. Leisten sie nicht mehr Arbeit für weniger Lohn, droht die Verlagerung ins polnische Lodz. Man fühle sich erpresst.

Es ist bald wieder so weit. „Mit Gillette streichelzart durch die Weihnachtszeit!“, wirbt der Konsumgüterkonzern Procter & Gamble für Geschenksets, damit Mann oder Frau („Gillette Venus“) der „perfekte Auftritt an den Festtagen“ gelingt. Die Klingen beziehungsweise Rasierköpfe stammen aus dem Berliner Werk in Marienfelde: ein Traditionsbetrieb mit rund 1000 Mitarbeitern, für die Weihnachten in diesem Jahr nicht sehr fröhlich werden wird. Der US-Konzern hat das Renditeziel erhöht und macht Druck auf die Belegschaft: Die Berliner sollen für weniger Geld länger arbeiten. Andernfalls droht die Verlagerung von Produktionslinien ins Schwesterwerk im polnischen Lodz.

P & G, 1837 von den Herren Gamble und Procter in Ohio gegründet, ist mit gut 120.000 Mitarbeitern einer der größten Konsumgüterhersteller. Zu den Marken gehören Wella und Pampers, Wick und Oil of Olaz, Braun (Rasierapparate) und Duracell (Batterien). „Mit einer Nettoumsatzrendite von 14 Prozent arbeitete P & G im Fiskaljahr 2013/2014 (per 30.6.) außergewöhnlich profitabel“, hieß es kürzlich im Platow-Börsenbrief. Doch das reicht den Amerikanern nicht. Konzernchef Alan Lafley stellt rund 100 Marken zur Disposition und erwarte in zwei Jahren eine Nettoumsatzrendite von mindestens 16 Prozent. Zum Vergleich: Daimler erreicht gut die Hälfte, obwohl die Geschäfte derzeit prima laufen.

Vor knapp zehn Jahren hat P & G für 57 Milliarden Dollar Gillette übernommen. In Europa ist Berlin, technologisch ein Top-Standort, das Hauptwerk von Gillette. Seit Jahrzehnten wird am Standort produziert, früher einfache Klingen, inzwischen komplexe Rasierköpfe. Doch schon 2004, als ein Teil der Fertigung ins damals neue Werk nach Lodz verlagert wurde, begann der Stellenabbau. Aktuell läuft ein Abfindungsprogramm, mit dem bis 2017 die Belegschaft um 250 auf 750 Mitarbeiter reduziert werden soll: Geld gegen Aufgabe des Arbeitsplatzes. Doch damit nicht genug. Zwar komme das Werk heute schon auf eine Rendite von über 18 Prozent, wie es in Belegschaftskreisen heißt. Doch die Chefs in den USA wollen mehr. Und in Polen ist mehr drin.

Schrumpfung auf 500 Mitarbeiter droht

Rund ein Dutzend Millionen könnte der Konzern sparen, wenn er in Lodz statt in Berlin produzieren würde, so soll das Management den Arbeitnehmervertretern vorgerechnet haben. Diese Lücke werden die Berliner nicht schließen können, da sind sich alle einig. Doch vielleicht einen Teil der Lücke. Und wenn nicht, dann droht die weitere Schrumpfung des Standorts auf 500 Mitarbeiter nach 2017. Bis dahin sind betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen.

„In den nächsten zehn Jahren sollen 62 Millionen Euro gespart werden. Dadurch würden dann 280 Arbeitsplätze erhalten bleiben, sonst fallen die auch noch weg“, heißt es im Werk zu den Plänen. Dann hätte sich in ein paar Jahren die Belegschaft auf 500 halbiert. Das Unternehmen selbst will so konkret nicht werden. „Wir arbeiten natürlich daran, die Firma zukunftsfähig auszurichten“, sagt Gabi Haessig, Sprecherin von P & G in Deutschland. Derzeit werde noch „studiert“, anschließend „verhandelt“, sagt Haessig und lässt dann doch das Kalkül erkennen. Neue Investitionen stünden an und damit auch die Frage: „Wie investiert man richtig?“ Besser gesagt: Wo? In Berlin oder in Lodz. Immerhin: „Die Mitarbeiter sind in dem Prozess einbezogen.“

Das wird auch nicht anders gehen, denn die Mitarbeiter sollen ja die Millionen bringen. Die IG Metall hat inzwischen eine Tarifkommission im Werk gebildet und will sich ansonsten nicht weiter zu dem Fall äußern – der Poker beginnt erst. Fakt ist: In der Gillette-Zentrale in Boston hat man Respekt vor der durchaus kampfstarken Berliner Belegschaft. Deshalb lässt man sich das derzeit laufende Abfindungsprogramm auch einiges kosten, pro Beschäftigungsjahr gibt es bis zu 1,5 Monatsgehälter für den freiwilligen Ausstieg.

Es wird ganz gut gezahlt in Marienfelde, auch übertarifliche Zulagen. Und es gilt die von der IG Metall für den Westen der Republik durchgesetzte 35-Stunden-Woche. Hier setzt das Management an: Durch die Verlängerung der Arbeitszeit Richtung 39 Stunden und die Streichung übertariflicher Zulagen könnte der Abstand zu den polnischen Produktionskosten reduziert werden. „Wenn die IG Metall da mitmacht und bei einem so gesunden Unternehmen um die 35-Stunden-Woche verhandelt, dann kann das keiner verstehen“, heißt es im Werk dazu. Die Stimmung ist mies, man fühlt sich erpresst. Kommende Woche trifft sich die Berliner Gewerkschaftsführung erstmals mit der Werkleitung.

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