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Weitere Tropfen der Reihe "Diamant". Bisher stand kretischer Wein für billiges Massengesöff. Das will Zacharias Diamantakis ändern.

© Ingrid Müller

Griechenland: Kretischer Wein gegen die Wirtschaftskrise

Trauben der Hoffnung: Die griechische Wirtschaftskrise trifft auch die Winzer auf Kreta. Mit vollem Einsatz und Krisenwein versuchen sie die schweren Zeiten zu überstehen.

Hier soll das Weingut des Vizepräsidenten der kretischen Winzervereinigung liegen? Die Schotterpiste führt gut 20 Kilometer südlich von Heraklion in üppige Olivenhaine hinter dem Ort Kato Asites. Und dann – natürlich – teilt sich auch noch dieser Weg. Kein Hinweisschild. Doch die Zivilisation hinterlässt ihre Spuren: Rechts lang verlaufen Kabel - und ein paar Minuten später wird das Auge mit dem Blick auf üppige Reben an den terrassierten Steilhängen des weiten Tals am Fuße des Psiloritismassivs belohnt.

Wiege der europäischen Weinkultur

Kreta gilt als eine der ältesten Weinregionen. Griechenland mit Dionysos, dem Gott des Weines, als Wiege der europäischen Weinkultur, auch wenn die meisten Touristen mit dem Krisenland vor allem billigen Wein verbinden - nicht zuletzt weil dort jahrelang mehr Menge als Qualität zu zählen schien. Ein völlig falsches Image, finden die Kreter. Rund 20 Prozent des griechischen Weins stammen von der größten Insel des Landes, insgesamt produzierten die zehn griechischen Weinregionen vergangenes Jahr 2,9 Millionen Hektoliter. Den Großteil davon trinken die Griechen selbst, nur 35 Prozent werden exportiert. Die Kreter wollen nicht warten, bis die Welt merkt, was sie zu bieten haben. Deshalb haben sich 23 kretische Winzer, von der Großkellerei bis zur Kooperative im Jahr 2008 zusammengetan, um ihrem Wein unter dem Label "Wines of Crete" endlich einen guten Ruf zu verschaffen, auch international. Die Diamantakis Winery ist kaum älter und eine der Kleinsten, aber der studierte Önologe und Mitinhaber Zacharias Diamantakis ist ein cleverer Genussmensch und so etwas wie die Verkörperung der Insel.

Alle in der Familie müssen mit anpacken

Boots an den Füßen, Sonnenbrille auf der Nase, lacht Zacharias Diamantakis beim Gang durch seine Reben. Mit einer Hand verteidigt er seine Papiere gegen den Wind, mit der anderen hält er sein Handy ganz nah vor den Mund, damit er zu verstehen ist. Der Spätsommer ist für den 33-Jährigen und seine älteren Brüder Jannis und Michael die arbeitsreichste Zeit des Jahres, da werden die Trauben gelesen und verarbeitet. Zacharias ist der Zeremonienmeister, sein Telefon steht kaum fünf Minuten still. Auch Nichten und Neffen sind bei 30 Grad nicht am Strand. Auch sie helfen einem vollbärtigen Hünen, der im Hof weiße Trauben von einem Pickup in eine Maschine wuchtet. Stiele und Häute werden von der Maschine ausgeworfen, dann der Saft in eine Pipeline gedrückt, wo er auf zwölf Grad gekühlt wird, bevor er in einer weiteren Presse gefiltert wird. Am Ende landet er in glänzenden Stahltanks. Zufrieden füllt Zacharias Diamantakis ein Testglas ab und inhaliert den Duft.

Es ist ein besonderer Duft, den die autochtonen Vidiano-Trauben verströmen, die sie zu einem markanten Weißen mit kräftiger Aprikosennote keltern. Der Wein von den kräftigen einheimischen Trauben wird gern mit dem prägnanten Viognier von der Rhone verglichen. "Wir haben so viele einheimische Trauben, warum sollten wir den x-ten Chardonnay machen?" erklärt der kräftige Mann im braunen Poloshirt die Strategie. Um am Markt zu bestehen, müssen sich die kretischen Weine unterscheiden. Den Vidiano nennen sie die neue Diva, wohl nicht nur, weil sie sich Großes von der Traube erhoffen. Bisher muss dieser Wein meist recht frisch getrunken werden. Aber Zacharias Diamantakis ist zuversichtlich, dass er ihn bald so ausbauen kann, dass er drei, vier Jahre im Keller aushält.

Seine neue Edel-Linie "Diamant", deren Etikett auch ein großer funkelnder Edelstein ziert, ist da schon recht viel versprechend. Die 13,5-prozentige Cuvee aus Vidiano und Assyrtika entwickelt ihre Stärke zu einem guten Essen. Sie ist, wie drei andere seiner Weine, 2015 mit einer Decanter-Bronzemedaille ausgezeichnet worden. Darauf ist der junge Winzer stolz. Er weiß, wie wichtig es ist, sich einen Namen zu machen. Auch als kleine Kellerei.

Die 15-jährige Nichte weiß noch nicht, ob sie den Hof eines Tages übernimmt

Natürlich hat er Träume: Er würde seine Weine gern in einem netten Showroom anbieten, anstatt zwischen Werkzeugkisten und einem Gruschtregal. "Das wollen wir später im ersten Stock machen", sagt er, zeigt auf die schwarze Wendeltreppe nach oben. Aber er setzt auf langsames Wachstum. Der Vater hatte in der Gegend zehn Hektar Land, das unter den drei Brüdern aufgeteilt worden wäre – zu wenig für jeden einzelnen. Jannis und Michael sind Wein- und Olivenbauern in dritter Generation, Zacharias hat Önologie studiert.

Zacharias Diamantakis mit seiner neuen Edel-Marke "Diamant".
Zacharias Diamantakis mit seiner neuen Edel-Marke "Diamant".

© Ingrid Müller

Früher haben sie ihre Trauben an eine Kellerei verkauft, dann taten sie sich zusammen und bauten hier ihre eigene auf. Jetzt kaufen sie Trauben von Bauern der Umgebung zu. Nicht immer ist das alles eine einfache Sache, manchmal kracht es auch kräftig. "Aber unter Brüdern vertragen wir uns nach ein paar Stunden wieder", sagt Zacharias. "Spätestens nach ein paar Tagen." Dass ihre Frauen auch ins Geschäft einsteigen könnten, kann er sich nicht vorstellen - bei der Idee lehnt er sich weit zurück und streckt abwehrend beide Handflächen aus. "Vielleicht in der nächsten Generation", sagt er und guckt seine Nichte Pelagia an, die selbst schon Botschafterin ihres Weins ist. Die 15-Jährige mit dunkler Lockenmähne will sich allerdings noch nicht festlegen, wo es für sie beruflich mal hingehen könnte.

2015 ist ein schlechtes Jahr für kretischen Wein

Zacharias Diamantakis, bewehrt dem Smartphone, beim Blick über die kretischen Weinberge.
Zacharias Diamantakis, bewehrt dem Smartphone, beim Blick über die kretischen Weinberge.

© Ingrid Müller

"2010 haben die Banken angerufen und uns Kredite angeboten", erinnert sich der kräftige Kellermeister an die ersten Jahrgänge - inzwischen mitten in der Krise. Viele Kollegen griffen zu und können ihre Kredite längst nicht mehr bedienen. Ihm sei das zu gefährlich gewesen, sie hätten nur etwas Geld für den Start aufgenommen. Sie fingen doch gerade erst als Winzer an. "Und bei uns ist jedes Jahr Examen. Jeden September", erklärt er. Im September geht es an den neuen Jahrgang. Das findet er zwar hoch spannend, er freut sich gerade besonders auf den neuen Rosé, der immer beliebter wird. Aber von der Güte ihres Weins hängen sie alle ab. Dieses Jahr wird ziemlich schwierig, denn im August hat es bereits kräftig geregnet, nach dem 20. September wieder. Das mögen viele Trauben nicht. "Wir werden auf Kreta dieses Jahr 40 bis 50 Prozent weniger Wein produzieren", schätzt er, ohne schon sagen zu können, ob damit auch die Preise steigen werden. Das hängt nicht zuletzt auch von den Vorräten ab. Manche Weingüter ächzen ohnehin schon unter der Krise.

Düfte – wie es sie nur in Griechenland gibt

Trotzdem ist er zuversichtlich. "Das hier bin ich", sagt Zacharias Diamantakis und zeigt über die Tanks. "Ich habe auch nichts anderes gelernt." Gerne würde er auch mal auf einem Weingut in Südafrika arbeiten oder vielleicht in Australien. Von den Wine Wankers dort hatten sie gerade erst einen Experten zu Gast. Aber für immer sein Land, seine Insel verlassen? Das kann er sich nicht vorstellen.

Die Familie ist doch hier. Und dann sind da diese herrlichen Düfte. Nicht nur von Trauben und Wein. "Wenn ich im August abends nach Hause komme und die Nictolouloudo rieche, das ist unvergleichlich." Er reißt schwärmerisch die Augen auf und reckt die Nase in die Luft, als sauge er den Duft der Nachtblüte ein. Die politische Lage macht ihn allerdings nachdenklich. "Wir hoffen, dass die Hoffnung sich erfüllen wird", sagt er mit Blick auf Versprechen wie Kapriolen von Premier Alexis Tsipras, den auch er im Januar gewählt hat. Das Referendum im Juli hält er für dessen "schlimmsten Fehler". Zacharias Diamantakis hat nicht abgestimmt - er hat an dem Tag seine Tochter getauft. Und bei den Neuwahlen ging seine Stimme nicht an Alexis, wie er vom Regierungschef spricht: "Ich wollte doch neue Leute in der Politik, ein neues politisches System."

Die Antwort der Winzer auf Griechenlands Probleme: "Krisenwein"

Zwar macht der Alltag auf Kreta auf den ersten Blick nicht den Eindruck, als hätte die Krise hier besonders stark zugeschlagen. Die Mehrwertsteuer liegt hier schon länger bei 23 Prozent, das ist für sie, anders als für manch andere Insel, keine neue Hürde. Aber auch bei den Diamantakis machten sich Probleme bemerkbar. Korken und Kartons beziehen sie aus dem Ausland, da hatten sie wegen der Bankkontrollen so ihre liebe Not. Und viele Griechen - noch immer ihre größte Kundschaft, kaufen inzwischen eher günstigen Wein. Das sei vor allem für die größeren Kellereien ein Problem, sagt er. Aber auch die haben sich darauf eingestellt. Zacharias Diamantakis zeigt auf große Boxen neben ihrer neuen Abfüllanlage: "Krisenwein".

Aber seine Liebe gilt den anspruchsvolleren Weinen. Wie ein Baby hält der junge Familienvater die Flasche mit der tief dunkelroten 2012er Cuvee aus Syrah und einheimischer Mandilari-Traube im Arm. Um die Augen zeigen sich Lachfältchen, wenn er seine Nase in ein Glas hält und gedankenverloren einen Schluck nimmt, während Bruder Jannis die Leiter erklimmt und einen prüfenden Blick in Tank Nummer 6 wirft. In dem Moment scheint die Hektik für einen Moment vergessen. Klein, aber fein, mit einheimischen Trauben. So haben die Diamantakis-Brüder schon erste Schritte nach Großbritannien, in die Niederlande und die USA gemacht. Im März will Zacharias, der auch fürs Marketing zuständig ist, gemeinsam mit einem Dutzend seiner kretischen Kollegen es noch einmal auf der Messe ProWein in Düsseldorf versuchen. Deutsche zu überzeugen sei schwierig. Viele hätten bei griechischem Wein noch immer nur billigen und mittelmäßigen Wein im Sinn, sagt er und verzieht das Gesicht.

"Was wir nicht schaffen, werden die Kinder schaffen"

"Oh, griechisch" setzt er gespielt misstrauisch hinterher und hält sich dabei die Wange. Der geharzte Retsina ist für sie ein Fluch. Aber wenn Diamantakis wachsen will, muss er sich auch mehr und mehr im Ausland einen Namen machen. Und er will wachsen. "Was wir nicht schaffen, werden die Kinder schaffen", sagt er optimistisch, hält die Nase in den nach Sommer duftenden Wind und stellt sich mit Nichten und Neffen noch schnell vor den Reben zum Familienfoto auf. Dann ruft schon wieder sein Telefon.

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