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Heilsam. Als Teenager hat der Erfinder der „Teekampagne“, Günter Faltin, das Familienvermögen fast verzockt.

© Thilo Rückeis

Günter Faltin im Interview: „Beamte sollten bei Gründungen dabei sein“

Ex-FU-Professor und Unternehmer Günter Faltin erklärt im Gespräch mit dem Tagesspiegel, warum er von Berlin nach Thailand flüchtete – und fordert eine weniger hippe Start-up-Kultur.

Chiang Mai, eine Stadt im Norden von Thailand: Günter Faltin sitzt auf der Veranda seiner Villa. Er blickt zufrieden in einen tropischen Garten, durch den sich ein kleiner See windet. Es ist ein heißer Tag, mehr als 30 Grad Hitze stauen sich in den Urwäldern rund um das Anwesen. Faltins Partnerin, eine 32-jährige Dozentin der örtlichen Universität, bringt Kekse und Tee. Serviert wird jene Sorte Darjeeling, die Faltin bekannt und auch vermögend gemacht hat.

Herr Faltin, warum haben Sie sich nach Thailand zurückgezogen?

Ich liebe die Natur, die Berge, die Vegetation. Und die Menschen sind offener. Thailand ist meine Heimat geworden, in Berlin habe ich mich abgemeldet. Aber ich vermisse die Diskussionen mit Freunden. Die Thais sind ja eher konfliktscheu, da kommt es kaum zu offenen, lebhaften Debatten. Die hole ich nach, wenn ich geschäftlich in Berlin bin.

Worüber debattieren Sie dann?

Über die Zukunft unserer Gesellschaft in Deutschland. Ohne radikale Änderungen fahren wir gegen die Wand. Es wird in die falsche Richtung gewirtschaftet. Wir brauchen einen neuen Typus von Unternehmer, Entrepreneure, die nicht nur an Gewinnmaximierung interessiert sind, sondern nachhaltig und langfristig denken.

Gründer gibt es reichlich in Berlin.

Gründer zu sein ist in Mode. Aber was da passiert, hat mehr mit russischem Roulette zu tun als mit Entrepreneurship. 80 Prozent der Gründungen gibt es nach fünf Jahren nicht mehr. Und gerade im IT-Bereich denken die Leute mehr über das schnelle Einwerben von Risikokapital nach als über ein innovatives, zukunftsfähiges Konzept.

Wie bewerten Sie Berlins Start-up-Szene?

Ich wähle in diesem Zusammenhang gerne den Vergleich mit der Bio-Bewegung. Am Anfang waren das engagierte Leute, Außenseiter, die von ihren Ideen geradezu besessen waren. Dann wurden die Kriterien immer mehr verwässert. Heute fragen sich Bauern: Bio oder konventionell – was bringt mir mehr Geld?

Es ist zu viel Geld und zu wenig Idee im Umlauf?

Politiker rufen nach einem europäischen Facebook oder Google. Ich halte es für hoch gefährlich, wenn mit Geld gewinkt wird. Viel zu oft werde ich von Gründern gefragt, ob ich ihnen einen Überblick über die Förderangebote geben kann. Wenn ich frage, was derjenige denn gründen will, sagt er mir: Das weiß ich noch nicht, ich will erst mal die Fördertöpfe sehen. Glauben Sie im Ernst, dass aus so jemandem ein Entrepreneur wird – einer, der der Gesellschaft mehr bringt, als er ihr nimmt? Ich glaube das nicht!

Die Berliner Politik baut sehr stark auf die Start-up-Szene.

Im Ansatz ist das auch richtig. Das Potenzial für Entrepreneurship ist enorm und hat etwas Hervorragendes. Aber eine gute Beschreibung von Entrepreneurship ist eben auch: aus fast nichts etwas zu schaffen. Und nicht Millionen bei Investoren einsammeln, die ihrerseits vom Staat mitfinanziert werden. Das Urteil über Unternehmen wie Zalando steht ja noch aus. Ob solche Firmen am Ende rentabel sind, werden wir erst in ein paar Jahren sehen: wenn das Investorengeld verbraucht ist. Und Ideen nachzuahmen, statt selbst welche zu entwickeln – da kann Berlin mehr!

Seit einigen Wochen wird in Berlin über die Idee debattiert, 100 IT-Professuren zu schaffen, um das Potenzial noch besser zu nutzen. Was halten Sie davon?

Entrepreneurship ist ein Geschenk für Berlin: die vielen jungen kreativen Leute, die in diese Stadt ziehen. Wie man dieses Potenzial nutzt, diese Explosion von Ideen, das ist doch die Frage. Wir haben heute die Chance, Ökonomie vernünftiger, feinfühliger, verantwortungsvoller und künstlerischer zu gestalten. Ob 100 IT-Professoren-Kollegen helfen würden, will ich an dieser Stelle nicht kommentieren. Die modernere, intelligentere Ökonomie – darin liegt das Potenzial für Berlin.

"Die Politik der EZB bestraft die Soliden"

Ist man mit einem festen Job als Angestellter nicht besser dran als ein Gründer?

Angestellten-Jobs sind heute deutlich weniger sicher als früher. Es ist gut, sich mit der Perspektive „Gründen“ auseinanderzusetzen, am besten bevor die Kündigung droht. Und was die Altersarmut angeht: Die Politik der EZB bestraft die Soliden, die Sparer, die Vorsorge treffen, mit Nullzinsen. Die Unsoliden dagegen, die mehr Schulden haben, als sie bedienen können, werden durch Inflationierung belohnt. Das halte ich für unverantwortlich.

Der momentan sehr populäre Ökonom Thomas Piketty argumentiert, dass sich das Kapital immer schneller vermehrt als der Ertrag der Arbeit. Wer glaubt, allein durch Arbeitsfleiß zu Wohlstand zu kommen, sitze einem Mythos auf.

Das Phänomen ist unbestritten. Unser Wohlstand ist zunehmend ungleich verteilt. Eine der Ursachen ist, dass sich Geld, in Unternehmen eingesetzt, höher verzinst als in Sparbüchern. Unternehmensvermögen wachsen daher rascher als Sparguthaben. So gesehen wird es zu einem Argument für das Gründen. Noch nie waren die Voraussetzungen so günstig und die Mittel für jedermann so zugänglich wie heute, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Zehn Prozent Gründer in einer Gesellschaft wäre großartig. Das wären zehn Mal mehr als heute.

Mit einem Professorengehalt in der Hinterhand konnten Sie ein höheres Risiko aushalten als die meisten Gründer.

Stimmt. In der Tat können Beamte eher Risiken eingehen, weil sie finanziell abgesichert sind. Sie sollten daher bei Gründungen dabei sein, so verrückt das in deutschen Ohren klingen mag. Stattdessen versucht die Politik, Arbeitslose zu Gründern zu machen. Das finde ich zynisch. Diese Menschen stehen unter Stress, nur wenige haben die Muße, ein wirklich tragfähiges Konzept zu erarbeiten.

Wie viele Unternehmen – neben der Teekampagne – haben Sie gegründet?

Ich habe fast ein Dutzend Firmen gegründet oder an der Gründung mitgewirkt. Die bekanntesten sind „Ebuero“, ein Bürodienstleister, und „RatioDrink“ – wie man selbst zum Fruchtsaftabfüller wird.

Was hat sich weniger gelohnt?

Ich habe Anteile an einem Start-up, das eine Zitier-Software für Studenten gemeinsam mit Verlagen entwickelt hat. Leider bleiben die Umsätze hinter den Erwartungen zurück, da verliere ich Geld.

Was war Ihre schlimmste Niederlage als Unternehmer?

Eine schwere, aber heilsame Niederlage hatte ich als 19-Jähriger. Ich war der Anlageempfehlung einer Bank gefolgt. Das kanadische Immobilienunternehmen „Revenue Properties“ stellte sich später als Börsenschwindel heraus, und ich habe damit das Familienvermögen kurzzeitig fast halbiert. Es war ein Schock. Seitdem investiere ich nur in Unternehmen, die ich beurteilen kann. Mit 14 kaufte ich meine erste Mannesmann-Aktie. Mit 16 habe ich angefangen, japanische Aktien zu kaufen. Die Japaner galten in den 60er Jahren nichts; sie könnten nur kopieren, hieß es. Daher waren die Aktien billig.

Ab wann fühlten Sie sich wohlhabend?

Mit Mitte vierzig, da hatte ich eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit. Aber ich lebte immer bescheiden. Dieses Haus hier ist der erste Luxus, wenn Sie es so nennen wollen. Ich habe meine Lebensmittel immer bei Aldi gekauft, selbst als Professor lebte ich in Wohngemeinschaften. Meine Mitbewohner waren immer begeistert, wie ich als Einkäufer mit nur wenig Geld den Kühlschrank füllte. Generell war im politischen Klima jener Jahre Geld jedoch ein schwieriges Thema. Eine meiner klügsten Investitionen wurde sogar zu meinem persönlichen Albtraum.

Wie kam das?

1981 kaufte ich im Schlickweg am Schlachtensee einen Altbau – für unsere Sechser-WG. Ich hatte ausgerechnet: Wir bekommen bei kostendeckender Miete viel mehr Qualität, müssen nicht mehr an einer lauten Straße in Moabit leben. Womit ich nicht gerechnet hatte: meine Mitbewohner sahen in mir plötzlich nur noch den Hausbesitzer, ein Feindbild. Irgendwann beschlossen sie, dass ich ausziehen solle, auch meine damalige Freundin wendete sich gegen mich. Ein Jahr später habe ich das Haus verkauft und nahm eine Gastprofessur in Bangkok an. So wurde Asien zu meinem Fluchtpunkt.

An der FU hat man Sie nicht vermisst?

In meinem Umfeld hatten damals dogmatische Marxistengruppen das Sagen, die wollten niemanden, der Unternehmergeist predigt. Es herrschte eine Atmosphäre der Intoleranz. Als ich die Teekampagne gründete, warfen mir Studenten vor, kleine Kapitalistenschweine heranzuzüchten. Einmal hat man mir die Autoreifen zerstochen. Nach der Wende wurde es besser. Aber eigentlich war ich schon früh Außenseiter. Ich sage immer: Meine erste Begegnung mit Asien war der Bambus des Rohrstocks in der Grundschule meiner Heimatstadt Bamberg. Ich war ein aufmüpfiger Schüler.

Und da wurden Sie Hochschullehrer?

Ich liebe Ökonomie. Professor zu werden war nicht meine Absicht – das ergab sich.

Haben Sie in Asien Ihr Glück gefunden?

Hier gingen die Leute einfach besser mit mir um. Der Universitätsminister hatte von mir gehört und sagte: „Wir brauchen Professoren, die nicht nur Ökonomie unterrichten, sondern auch selbst wissen, wie man ein Unternehmen gründet.“ Dieses Wissen war hier mehr gefragt als in Deutschland.

Was ist Ihre nächste Geschäftsidee?

Ich sehe überall Potenzial für Gründer. Die Touristenhotels hier haben alle Swimmingpools, die mit Kläranlagen und viel Chemie arbeiten. Doch man kann Wasser auch ohne diesen Aufwand sauber halten. Mit der richtigen Kombination aus Algen, Pflanzen, Fischen und anderen Organismen ist es möglich. Mein kleiner See dient da als Experiment.

Muss, wer drin baden will, Eintritt zahlen?

Nein. Profit interessiert mich nicht mehr.

Das Gespräch führte Reinhard Keck. Mitarbeit: Simon Frost

ZUR PERSON

Günter Faltin (70) lehrte als Professor 20 Jahre lang an der Freien

Universität in Berlin „Entrepreneurship“. 1985 gründete er gemeinsam mit Studenten die „Teekampagne“. Heute ist der Versandhändler der weltweit größte Importeur von Darjeeling-Tee und rund zehn Millionen Euro wert. Dieser Erfolg dient Faltin als Beispiel für nachhaltiges, kreatives Unternehmertum – sein Lebensthema. Darum geht es auch in seinem neuen Buch „Wir sind das Kapital“, erschienen im Murmann-Verlag. Zur Diskussion über seine Thesen hat er in sein tropisches Domizil eingeladen.

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