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Wirtschaft: Hochprozentig

Immer mehr Mittelständler wagen sich mit Anleihen an den Kapitalmarkt – und versprechen satte Renditen. Das Interesse der Anleger ist groß.

Seidensticker tut es, Air Berlin tut es, Underberg, Bastei Lübbe und Valensina tun es ebenfalls. Immer mehr Mittelständler wagen sich an den Kapitalmarkt. Statt sich über einen Bankkredit zu finanzieren, begeben sie Anleihen. Für die Anleger sind bisweilen hohe Renditen drin: So überweist Air Berlin seinen Gläubigern für eine im Oktober 2011 emittierte Anleihe einen Zinskupon von 11,5 Prozent pro Jahr. Nach mehreren Monaten Flaute ist das Interesse der Anleger an den Hochprozentern wieder groß: Gerade eben musste die Zeichnung der neuen Seidensticker-Anleihe nach nur einem Tag vorzeitig geschlossen werden, weil die Nachfrage das Angebot von 30 Millionen Euro um das Siebenfache überstiegen hatte. 7,25 Prozent Zinsen bietet Europas größter Herrenhemd-Schneider seinen Anlegern jedes Jahr – bis 2018.

Allan Valentiner, Fondsmanager bei der Vermögensverwaltung Johannes Führ Asset Management, prognostiziert dem Markt eine „große Zukunft.“ Denn die Finanzierung mit Hilfe von Anlegern biete allen Vorteile: Den Unternehmen, weil sie ihre Geldbeschaffung auf mehrere Beine stellen könnten. Dem Anleger, weil er renditestarke Alternativen zu mageren Zinsen auf seinem Tagesgeld- oder Geldmarktkonto erhalte.

Um Mittelstand und Anleger zusammenzubringen, haben die deutschen Börsen Marktsegmente geschaffen, die Emission, Zeichnung und Handel der Papiere vereinfachen sollen. Bond-M heißt die Anfang 2010 gegründete Plattform der Stuttgarter Börse, die sich inzwischen zum Marktführer gemausert hat. Via Bond-M können Mittelständler auch ohne Bank ein Volumen zwischen 25 und 150 Millionen Euro begeben. Zuvor müssen sie jedoch diverse Zulassungspflichten erfüllen, ein Wertpapierprospekt vorlegen und sich zu Transparenz und Publizität verpflichten. Dem Anleger garantiert die Börse fortlaufende Preisinformation und einen direkten Zugriff bei der Zeichnung, der bisher institutionellen Anlegern vorbehalten war. Die Börse Düsseldorf hat im November 2010 den „Mittelstandsmarkt“ an den Start geschickt, Frankfurt zog im Februar 2011 mit einem Entry-Standard für Mittelstands-Anleihen nach. Insgesamt sind derzeit mehr als 40 Anleihen notiert.

Grundsätzlich seien Mittelstandsanleihen ein sinnvolles Investment, sagen Anlage-Experten. Indes: „Jeder Anleger muss wissen, dass hohe Kupons definitiv ein klarer Hinweis auf hohe Risiken sind“, sagt Führ-Manager Valentiner, der selbst einen Fonds für Anleihen aus dem Mittelstand betreut. Geht das Unternehmen pleite, dann ist das Geld meist komplett oder zu einem großen Teil verloren. Bei Liquiditätsengpässen werden Anleihen auch schon mal verlängert, die Zinszahlungen zumindest zeitweise ausgesetzt.

Welche Risiken ein Anleger mit einer Anleihe konkret eingeht, bilden neben dem Zinssatz auch die Beurteilungen von Mittelstandsratingagenturen wie Creditreform oder Euler Hermes ab. Auf Bond- M verfügt etwa ein Drittel der Firmen über ein „Triple-B“, ein Viertel über „BB“, was einer Ausfallwahrscheinlichkeit von neun Prozent entspricht. Allein aus statistischen Erwägungen sollten danach ein bis zwei Firmen bankrott gehen. Mehrere Firmen verzichten auf ein Rating, etwa Air Berlin, Dürr oder Centrosolar.

Um dem Anleger mehr Transparenz und Vergleichbarkeit zu bieten, hat die Börse Stuttgart für ihre 20 Mittelstandsanleihen deshalb gerade eine eigene Risikokennziffer eingeführt, die die Bonität einmal pro Woche neu berechnet. Hier fließen keine langfristigen geschäftlichen Aussichten, sondern nur die nackte, aktuelle Bewertung durch den Markt ein. Danach erhalten die drei Air-Berlin-Anleihen die Risikokennziffer 4 beziehungsweise 5 als spekulatives Investment, der Autozulieferer Dürr (Kupon 7,25 Prozent) auf Stufe 2 eignet sich für „begrenzt risikobereite“ Anleger, das Landwirtschaftsunternehmens KTG Agrar (6,75 Prozent) oder der Holzpellets-Herstellers German Pellets (7,25 Prozent) sind mit Stufe 3 „risikoorientiert“. Vor allem die drei Solarunternehmen Payom, Solarwatt und Centrosolar (alle Stufe 5) zeigen, wie stark sich eine Krise in der Branche auf die Anleihekurse auswirkt. Sie sind auf 60 bis 40 Prozent des Nominalwertes abgerutscht, womit Erstzeichner, die aktuell verkaufen wollen, weit mehr als die Hälfte ihres Geldes einbüßen würden. Die Renditen sind dadurch umgekehrt explodiert.

Für Verbraucherschützer gilt deshalb grundsätzlich: Hände weg von Mittelstandsanleihen. „Borgt der Anleger einem einzelnen Mittelständler Geld, so holt er sich damit unnötig ein hohes Klumpenrisiko ins Depot“, warnt Nils Nauhauser, Finanzexperte von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Das Segment an sich sei zwar durchaus interessant, doch müsse vor allem der Kleinanleger unbedingt auf eine breite Streuung seiner Geldanlage achten.

Er kann also selbst eine Auswahl treffen, wobei die meisten Anleihen ab einer Stückelung von 1000 Euro erhältlich sind. Oder er überlässt die Auswahl einem Fondsmanager. Bisher ist in dem Segment allerdings nur ein einziger Fonds aktiv. Mit 70 Millionen Euro ist das Volumen des Johannes Führ Mittelstands- Rentenfonds (Wertpapierkennnummer: A0YAYG) auch noch recht überschaubar. Manager Valentiner investiert das Geld in 84 verschiedene Anleihen, darunter Valensina, Dürr, Underberg oder German Pellets. Zur einfacheren Steuerung der Liquidität sind auch Positionen größerer und liquiderer Anleihen im Portfolio.

Valentiner rät Investoren, sich folgende Fragen vor dem Kauf zu stellen: Wem gehört die Firma? Wie sehen Eigenkapital-Ausstattung und Kennzahlen wie Ebita (Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) im Vergleich zur Netto-Verschuldung aus? Wofür wird die Anleihe verwendet, zur Tilgung anderer Schulden oder zur Investition?

Ob Valentiners Fonds auch die neuen Emissionen zeichnen wird, „wird noch diskutiert“. Ab 12. März jedenfalls sucht das Tec-Dax- Unternehmen Singulus mit einer fünfjährige Anleihe und 7,75-prozentigem Kupon nach Geldgebern. Auch der Biogasanlagen-Bauer MT Energie will demnächst die Kapitalmärkte über die Börse Düsseldorf anzapfen. Und in Stuttgart möchte Ekosem Agrar, die deutsche Holding eines großen russischen Agrarunternehmens, bis zu 50 Millionen Euro von deutschen Anlegern einsammeln, um ihre Expansion zu finanzieren. Wer in 30 000 russische Rinder, 215 Tonnen Milchleistung pro Tag und einen 2011 vervielfachten Gewinn von 13,8 Millionen Euro bei 81 Millionen Euro Betriebsleistung investieren will, kann ab 12. März zeichnen. Ekosem bietet dafür 8,75 Prozent Zins pro Jahr.

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