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Wirtschaft: „Ich wollte immer Unternehmer sein“

Ernst Freiberger: Die einmalige Geschichte eines Pizzabäckers, der in Berlin ein Vermögen machte

Berlin - Der Zufall hat immer ein bisschen mitgespielt im Leben von Ernst Freiberger. Damals, als der Vater im Taxi kollabierte und der Junge an den Bedenken des Alten vorbei die Pizzafabrik kaufte. Oder als ihm der Bankier des Pleitekonzerns Coop in der Hotel-Lobby über den Weg lief und Freiberger ihn wegen des Meierei-Bolle-Areals ansprach, das der Coop gehörte. Als auch noch die Mauer fiel, ging alles wie von selbst. Fast. Heute ist Ernst Freiberger 56 Jahre alt, in zweiter Ehe verheiratet und Vater von vier Kindern. Ein gemachter Mann. Kaum jemand sonst hat in den letzten Jahrzehnten in Berlin so erfolgreich Geschäfte gemacht wie er. „Und dabei habe ich nie irgendwo eine Lehre gemacht.“

Freiberger sitzt in seiner Wohnung am Spree-Bogen in Moabit. Von hier aus, von der ums Haus laufenden Terrasse und durch den verglasten Eckturm, kann er sich die Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt im Süden und Osten ansehen. Und im Westen, direkt nebenan, sein spektakulärstes Projekt, die zwei wuchtigen Türme des Bundesinnenministeriums. Hier auf der Terrasse hat er vor neun Jahren mit seinem Vater gesessen. Der war, vom Krebs gezeichnet, nach Berlin gekommen, um sich vom Sohn zu verabschieden. Dazu hatte der Kunst- und Autosammler sein teuerstes Bild als Geschenk für den Junior mitgebracht. Zwei Wochen später starb der Vater.

In Amerang, einem 800-Seelen-Ort in der Nähe von Rosenheim, wollte der Bäcker Ernst Freiberger in den ersten Nachkriegsjahren etwas unternehmen. Er hatte die Tochter des Wirts geheiratet und begann 1949 mit ihr zusammen Eiscreme zu produzieren. Auf einem Miele- Motorrad transportierte Freiberger das Eis zu Bäckereien in den Nachbargemeinden. Der große Durchbruch kam, als er die Chiemsee Dampfschifffahrtsgesellschaft als Kunden gewann. Freiberger, nach Einschätzung seines Sohnes „ein guter Kontakter“, wurde immer erfolgreicher. 1972 war die EFA Eiskrem (Ernst Freiberger Amerang) alleiniger Eislieferant der Olympischen Spiele in München. Ein Jahr später verkauften Freibergers ihr Unternehmen an die Südmilch. Dann ging die Firma in Schoeller auf und die wiederum in Nestlé.

Seine ersten Lebensjahre hat der kleine Ernst genossen. Sonntags fuhren die Eltern mit dem Sohn über Land und ließen ihr Eis in Gasthäusern und Hotels verkosten. Kundenakquise in Oberbayern. Meistens schlief der Kleine am Abend auf einer Wirtshausbank ein. „Ganz wichtig war für mich, in der Aufbauzeit meiner Eltern daheim zu sein“, sagt Freiberger über jene Jahre. Er fand es großartig, wie der erste Lastwagen bestellt und in den 50ern die erste Maschine aus England geliefert wurde. „Das hat mir unendlich gefallen, ich wollte immer Unternehmer sein.“ Während des Studiums betrieb er einen Minigolfplatz und arbeitete als Vertreter der Allianz Versicherung. „Heute sitze ich im Aufsichtsrat der Allianz.“

Eigentlich wollte Freiberger junior nach dem Studium ein Squash-Center in München betreiben. Doch dann gab es wieder einen dieser Zufälle. Der Chefeinkäufer der Hähnchenbräterei Wienerwald erzählte den Freibergers von einem Lieferanten in Berlin, der vor der Pleite stand: eine kleine Pizzafabrik mit 20 Beschäftigten. Vater und Sohn Freiberger flogen nach Berlin, um sich das Objekt anzusehen. Das Ziel des erfahrenen Seniors: Die Firma kaufen, schließen und die Maschinen nach Bayern transportieren, weil der Produktionsstandort Berlin einen schlechten Ruf hatte. Doch auf dem Weg vom Flughafen, im Taxi, kollabierte der Senior. Und die einmalige Geschichte eines Pizzabäckers, der als Diplomkaufmann gerade von der Uni gekommen war, nahm ihren Lauf.

Freiberger junior kaufte die Pizzafirma, brauchte dazu aber die Hilfe des Vaters, der dagegen war. Schließlich schlossen die beiden einen „knallharten Bürgschaftsvertrag“, wie der Junior heute sagt. Jede Investition, die nicht direkt mit der Pizzafabrik zusammenhing, musste sich der Junge vom Alten genehmigen lassen. „Mein Ehrgeiz war, so schnell wie möglich in die Gewinnzone zu kommen.“ Er schaffte es und konnte schon nach vier Monaten die Bürgschaft zurückgeben. Der junge Freiberger, der von den mit Eis zu Wohlstand gekommenen Eltern zum Abitur einen Porsche geschenkt bekommen hatte, arbeitete hart. Jeden Morgen um halb sechs machte er sich auf den Weg vom Nollendorfplatz, „wo ich möbliert wohnte“, in die Fabrik nach Moabit. Mit einem Ford Escort.

Freiberger erzählt gerne von den Anfängen. Ganz unverblümt und sachlich, ohne besondere Attitüde, schon gar nicht mit Aufschneiderei. Ein nüchterner Chronist der eigenen Geschichte, den es immer begeistert hat, „neue Dinge anzureißen und auf den Weg zu bringen; das ist meine Stärke“. Schon lange angekommen im exquisiten Leben, mit Fahrer und Köchin und diversen Wohnungen, erzählt er schlicht aber mit ein wenig Stolz die Geschichte einer Pizzafabrik:

Zu Beginn, 1976, wurde auf 800 Quadratmetern in den Bolle-Räumlichkeiten produziert, dann waren es 2000, 15 000 und schließlich ein Neubau in Reinickendorf mit 40 000 Quadratmetern. Das Grundstück dafür wollte der Senat Mitte der 80er Jahre erst nicht zur Verfügung stellen, die Politiker glaubten nicht an die Zukunft der Pizzafertigung. Doch der damalige Staatssekretär beim Wirtschaftssenator, Günter Rexrodt, ließ sich von Freibergers High-Tech-Anlagen überzeugen und half ihm in der Grundstücksangelegenheit. 40 Millionen Mark investierte Freiberger 1986 in die neue Fabrik. Ein paar Jahre später zeichnete sich in der vereinigten Stadt das Ende der Berlinförderung ab, mit der Westberliner Firmen vom westdeutschen Steuerzahler unterstützt wurden. Bei Unternehmen wie Freiberger machte das immerhin rund zehn Prozent vom Umsatz aus. Nach dem Auslaufen der Förderung schlossen viele Fabriken und manche verließen die Stadt. Freiberger dagegen gab Gas. „Wir haben den Laden fit gemacht für die Zeit nach dem Wegfall der Berlinpräferenzen und damals in einem Jahr 135 Millionen Mark investiert.“ Heute hat die Firma 1900 Mitarbeiter, 800 davon in Berlin, und produziert jeden Tag zwei Millionen Packungen Tiefkühlkost. Für den Pizza- und Pastakäse wird die Milch von 15 000 Kühen gebraucht.

Letzen Freitag feierte Freiberger seinen Rückzug aus dem Aufsichtsrat der Firma, die seit 30 Jahren seinen Namen trägt. Bei einer „italienischen Nacht“ im eigenen Hotel Spreebogen hielt Wirtschaftsminister Michael Glos eine Rede auf seinen bayerischen Landsmann, der in Preußen sein Glück machte. Verkauft hatte Freiberger sein Unternehmen schon vor vielen Jahren an die Südzucker. Auch da spielte der Zufall mit rein. Ein Konkurrent aus Baden-Baden machte Freiberger Mitte der 80er Jahre mit Dumpingpreisen die Margen kaputt. Dann erfuhr Freiberger, dass die Südzucker 50 Prozent dieses lästigen Wettbewerbers erworben hatte. Er nahm Kontakt mit den Südzucker-Bossen auf und verhandelte satte zwei Jahre. 1989 endlich übernahm dann die Freiberger-Firma den Querulanten aus Baden-Baden und Freiberger persönlich verkaufte 25,1 Prozent an seinem Unternehmen an Südzucker.

Jetzt hatte er viel Geld. Also Spielmasse, um etwas Neues zu unternehmen. Freiberger kaufte die Humboldt-Mühle in Tegel. Mit 60 Millionen Euro für 20 000 Quadratmeter war das noch ein relativ überschaubares Investment, das sich mit Hotel und Büros gut rechnete.

Doch dann kam der Standort der Meierei Bolle in Moabit, zwischen Strom- und Kirchstraße. Das Grundstück an der Spree gehörte der Coop, die Pleite gegangen war. Am 1. November 1989 einigte sich Freiberger mit einem Vertreter der DG Bank, die als Coop-Hausbank fungierte, über den Verkaufspreis. Nicht schriftlich, sondern per „hanseatischem Ehrenwort“, wie Freiberger sagt. Eine Woche später fiel die Mauer und auf das Grundstück waren über Nacht viele Investoren scharf. Doch das Ehrenwort hielt und Freiberger bekam das Grundstück zum vereinbarten Preis. Er arrangierte sich mit dem Bezirk (der dort ursprünglich eine Schule bauen wollte) und einer Bürgerinitiative und baute für 500 Millionen Mark den Spreebogen, mit Hotel, Gastronomie und Handel, Wohnungen und schließlich dem riesigen Bürohaus, das heute das Bundesinnenministerium beherbergt.

Hier und da wird im Ministerium überlegt, aus dem vermeintlichen Schmuddelbezirk Moabit wegzuziehen und dem Innenminister an repräsentativerer Stelle zwischen Hauptbahnhof und Kanzleramt ein neues Haus zu bauen. Doch Freiberger bleibt gelassen. Frühestens 2016 kann der Mieter ausziehen und muss in jedem Fall bis 2018 zahlen. Wenn der Bund die monatliche Miete von gut einer halben Million Euro nicht zahlen will, könnte er das Haus auch kaufen. Freiberger hat ein entsprechendes Angebot gemacht, das ihm zufolge rund 100 Millionen Euro unter den Kosten eines Neubaus in Mitte liegt.

Der gebürtige Bayer hat sich in den vergangenen Jahren wieder der Heimat zugewandt. Nach dem Verkauf der Pizzafabrik reiste er zwei Jahre durch die Welt und bemerkte dabei, wie wichtig ihm doch Bayern ist. Dort betreibt er inzwischen ein halbes Dutzend Reha-Kliniken (Medical Parks), die er zum Teil aus der Insolvenzmasse übernahm, nachdem die Gesundheitspolitik vor zehn Jahren den klassischen Kurkliniken den Geldhahn abdrehte. Im Heimatort Amerang möchte er das vom Vater geerbte Oldtimer-Museum mit 300 Autos in Schwung bringen.

Doch auch für Berlin gibt es Pläne. Die Humboldtmühle wird zu einem Reha- Zentrum umgebaut, der erste Medical Park in Berlin. Und in Mitte, an der Oranienburger Straße, überlegt der Unternehmer, was er mit dem ehemaligen Reichstelegrafenamt macht, das ihm gehört. Für die Nutzung der 70 000 Quadratmeter in bester Lage sucht er eine Idee. „Berlin steht nicht für Ku’damm und Linden. Die Szene rund um das Scheunenviertel ist das Besondere.“ Und da will er dabei sein und überhaupt „nur noch das machen, was Spaß macht“. Für die Jugend hat Freiberger einen aufmunternden Satz als vorläufige Quintessenz seines Unternehmerlebens parat: „Gründerzeit ist immer.“

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