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IG Metall: Weniger Management, mehr Konflikte

IG-Metall-Vize Wetzel fordert ein Umdenken: Bisher konzentriere man sich zu sehr auf die Stellvertreterpolitik der vergangenen Jahrzehnte.

Berlin - Während sich die Metallarbeiter auf einen heißen Herbst vorbereiten, ist man in ihrer Gewerkschaft selbstkritisch wie selten zuvor. In einem internen Papier fordern vier IG-Metall-Funktionäre aus dem mächtigen Landesverband Nordrhein-Westfalen eine neue Politik. Allen voran: Detlef Wetzel, auf Bundesebene nach IG-Metall-Chef Berthold Huber die Nummer zwei der Gewerkschaft. Auf 20 Seiten heißt es, die IG Metall konzentriere sich zu sehr auf die traditionellen Stammbelegschaften der Großunternehmen. Sie halte an der Stellvertreterpolitik vergangener Jahrzehnte fest, die Mitglieder würden oft auf die Vorschläge aus der Zentrale warten, die Basis selbst bleibe häufig inaktiv.

Vor dem Hintergrund der Globalisierung hätten prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie Zeit- und Leiharbeit einen „Betrieb neuen Typs“ hervorgebracht. Traditionelle Gewerkschaftspolitik stoße da an ihre Grenzen: Funktionäre kämen kaum mit den schnell wechselnden Arbeitern ins Gespräch. Bisher hätten hauptamtliche Gewerkschafter oft jahrzehntelang routiniert für eine unbefristet angestellte Belegschaft verhandelt. Die vielen prekär Beschäftigten bräuchten nun aber Hilfe zur Selbsthilfe. „Stellvertretungspolitik kann immer weniger gute Ergebnisse erzielen“, schreibt Wetzel, der seit 1980 für die mit 2,3 Millionen Mitgliedern größte deutsche Gewerkschaft arbeitet.

Fest stehe, heißt es in dem Strategiepapier, dass die Sozialpartnerschaft von den Arbeitgebern aufgekündigt worden sei: „Der soziale Konsens der alten Bundesrepublik ist aufgebrochen.“ Viele Entscheidungen seien von der Branche auf einzelne Betriebe verlagert worden. Und während die Gewerkschaften oft kaum aus der Defensive kämen, würden die Unternehmen immer seltener Tarife zahlen.

Damit Gewerkschaften wieder in die Offensive gehen könnten, sei das Engagement der Mitglieder nötig – was ausgerechnet in den USA der Fall sei. Jenseits des Atlantiks geht es den Gewerkschaften zwar noch schlechter: Dort ist nur jeder zehnte Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert, in Deutschland ist es noch jeder fünfte. Dennoch gewinnen die US-Gewerkschaften derzeit massenhaft Mitglieder. Unter dem Schlagwort „Organizing“ haben US-Gewerkschaften in bisher gewerkschaftsfreien Betrieben durch öffentlichkeitswirksame Aktionen neue Mitglieder geworben. Sitzblockaden und Spontanstreiks inklusive.

So konnte die Gewerkschaft SEIU in Los Angeles durch die unkonventionelle Kampagne „Justice for Janitors“ – „Gerechtigkeit für Reinigungskräfte“ – schon vor zehn Jahren tausende Mitglieder gewinnen. „Organizer“ der US-Gewerkschaften haben ihren deutschen Kollegen in den vergangenen Jahren geraten, Tarifkämpfe nicht an Funktionäre zu delegieren: Die Beschäftigten sollen sich selbst Gedanken machen – und Kämpfe nur mit Hilfe, nicht aber auf Empfehlung der Gewerkschaftszentrale führen.

In der Berliner IG Metall finden Wetzels Positionen Unterstützer. Arno Hager, erster IG-Metall-Bevollmächtigter in Berlin, sagte dem Tagesspiegel: „Wir müssen mehr mit den Leuten arbeiten, statt nur für die Leute tätig zu werden.“ Die Mitglieder sollen nicht nur ihren Monatsbeitrag zahlen und die hauptamtlichen Funktionäre mit den Arbeitgebern verhandeln lassen. Gewerkschaftsvize Wetzel fasst seine Forderungen, die auch von den linken Flügeln anderer Gewerkschaften unterstützt werden, so zusammen: „Weniger Co-Management – mehr konfliktorientierte Auseinandersetzung.“ In seiner Heimat war er damit erfolgreich: Die IG Metall in Nordrhein-Westfalen hatte als erster Landesverband den jahrelangen Mitgliederschwund gestoppt. Hannes Heine

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