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Ikea-Chef Jesper Brodin vor einer Filiale in Kaarst, Nordrhein-Westfalen

© dpa/Ina Fassbender

„Perfekte Testvoraussetzungen“: Ikea-Chef macht Berlin zum Labor

Ikea-Chef Jesper Brodin muss den Möbelkonzern ins digitale Zeitalter führen. Bei einem Rundgang in Tempelhof erklärt der Schwede, welche Rolle Berlin spielt.

„Das will ich auch in meinem Schlafzimmer haben“, ruft Jesper Brodin, als er durch die Bettenabteilung von Ikea in Tempelhof geht. Er zeigt auf eine hell leuchtende LED-Tafel, groß wie zwei Tischtennisplatten, die hinter einem Bett aufgebaut ist. „Teste deine Matratze sechs Tage“, ist dort zu lesen. „Tage?“, dreht er sich zu dem Leiter des Einrichtungshauses und lacht. „Ich würde eine Matratze eher sechs Nächte lange testen.“

Die Technik in der ursprünglich so analogen Ikea-Welt begeistert ihn. Das muss sie auch. Denn Brodin ist Chef von Ikea. Seit 2017 steht er an der Spitze des schwedischen Möbelhauses. Und seine Hauptaufgabe ist klar: Er muss den Konzern ins digitale Zeitalter führen. Berlin spielt auf diesem Weg eine Schlüsselrolle. Der Tagesspiegel traf Brodin zu einem Rundgang durch sein Reich.

Wenn es um den Onlinehandel geht, hat Ikea einiges aufzuholen. „Vor einigen Jahren waren wir noch sehr zurückhaltend, wenn es darum ging, Kunden online bestellen zu lassen und Aufbau-Services online einzufordern“, gibt Brodin zu. „Aber wir haben irgendwann festgestellt, dass sehr viel mehr Menschen Ikea mögen, als dann tatsächlich bei uns kaufen. Woran liegt das?“ Davon hat er sich in den vergangenen Monaten selbst ein Bild gemacht. Und egal ob in Japan, in den USA oder in Deutschland, der Eindruck war überall gleich: „Wir sind nicht für jeden erreichbar.“ Viele Menschen haben nicht die Zeit, zu den Möbelhäusern zu fahren. Oder sie haben kein Auto. Oder sie können die Waren nicht transportieren.

Um das zu verbessern, geht Ikea in 30 Teststädten weltweit jetzt „All in“, wie Brodin es nennt. Dazu gehört auch Berlin. „Wir werden in den Innenstädten kleinere Geschäfte mit verschiedenen Konzepten eröffnen“, erklärt Brodin. „Wir nennen sie Touchpoints.“ Das klassische Ikea-Konzept erfordert mindestens 25.000 Quadratmeter Fläche. Die Touchpoints sollen sehr viel kleiner sein und jeweils bestimmte Services anbieten.

„Ein Konzept nennen wir beispielsweise Cityshop“, beschreibt der Schwede. „Diese Standorte sind 5000 bis 7000 Quadratmeter groß.“ Dort könne man größere Möbel wie Regale, aber auch Accessoires wie Teelichter kaufen oder sich liefern lassen. „Weiter testen wir noch kleinere Geschäfte, mit 500 bis 1000 Quadratmetern, in denen die Kunden nicht kaufen, sondern ihre Einrichtung planen können“, führt Brodin aus. Küchen, Garderoben oder Stauraum beispielsweise.

Für Brodin ist die Weiterentwicklung von Ikea eine Herzensangelegenheit. Der 50-Jährige ist seit 25 Jahren im Konzern. Dabei ist er viel herumgekommen: 1995 wurde er Einkaufschef für Pakistan, später für Südostasien. Zuletzt leitete er die Sortimententwicklung von Ikea. Und er hat viel erlebt. „Als ich 2008 in Hongkong lebte, war ich Sänger einer Metal-Band“, erzählt der Rammstein-Fan. „Auch wenn Metal-Fans häufig ein bisschen furchteinflößend aussehen, sind es die nettesten Menschen der Welt.“

Bei seinem Gang durch das Möbelhaus achtet Brodin auf jedes Detail. Deutsche Werbesprüche an den Wänden entziffert der Schwede leise murmelnd, anschließend nickt er zufrieden. Als er einen begehbaren Kleiderschrank betritt, fragt er: „Ist das ein Traum in Deutschland?“ Alle Umstehenden nicken.

In den kleinen Geschäften zum Planen sollen die Kunden mit digitalen Hilfsmitteln beraten werden. Wie das aussehen könnte, ist schon jetzt in der Lichtenberger Filiale zu sehen. Dort gibt es einen Virtual Reality (VR) Showroom. Kunden können mit einer VR-Brille virtuell einen Raum betreten und diesen nach ihren Wünschen gestalten. Materialien, Texturen und Wandfarben sind änderbar, auch Tageszeit und Lichtverhältnisse lassen sich einstellen.

Neue Läden in der Berliner Innenstadt

Zurück nach Tempelhof. Berlin, führt Brodin aus, wird noch an anderen Stellen Testlabor für Ikea werden. „Im Ballungsraum leben rund sechs Millionen Menschen, es gibt viele verschiedene Lebenssituationen – perfekte Testvoraussetzungen“, findet Brodin. „Es ist gut möglich, dass wir in Berlin etwas völlig Neues testen, das wir noch nirgendwo sonst gemacht haben“, kündigt er zunächst nebulös an, wird dann aber doch konkret: „Einer der kleinen Touchpoints für Planung wird mit Sicherheit in Berlin eröffnen.“ Und weiter: „Ich erwarte in Berlin – einer der coolsten Städte des Planeten–, dass wir auch Design-Kollektionen zeigen und sie den Menschen näher bringen.“ Ob er schon wisse, wo genau die Shops öffnen? „Nein, ich kenne Berlin nicht gut genug, um das entscheiden zu können.“

Auch wenn die neuen Formate für Ikea-Verhältnisse klein sind, ist es nicht leicht, Gewerberäume dieser Größenordnung zu finden. „Derzeit sind wir intensiv auf der Suche nach geeigneten Flächen, die groß genug sind für uns“, bestätigt Brodin. Eine naheliegende Lösung wären nicht mehr genutzte Gebäude ehemaliger Kaufhäuser. Wäre das was für Ikea? „Ja, geschlossene Standorte von Karstadt und Kaufhof sind mit ihrer Größe und ihrer Lage interessant für uns“, sagt Brodin. „Wenn die Passantenfrequenz stimmt, sind wir definitiv interessiert.“

Inzwischen ist Brodin in einer der eingerichteten Model-Wohnungen angekommen, die in jedem Ikea aufgebaut sind. Er setzt sich auf ein Sofa, stellt eine Kaffeetasse auf einen Kork-Untersetzer auf einem weißen Tisch und schenkt ein. Das Hauptprojekt von Ikea, fährt er fort, ist derzeit aber eine neue Anwendung fürs Smartphone. „Zum ersten Mal wird man mit der neuen Ikea-App auch einkaufen können“, sagt Brodin. „Sie wird alle bisherigen Ikea-Apps ersetzen und vereinen.“

Jesper Brodin ist seit 2017 Chef von Ikea. Der 50-Jährige arbeitet seit 25 Jahren in dem Unternehmen.
Jesper Brodin ist seit 2017 Chef von Ikea. Der 50-Jährige arbeitet seit 25 Jahren in dem Unternehmen.

© AFP

Ab September soll die App in den einzelnen Ikea-Ländern an den Start gehen, der genaue Starttermin für Deutschland steht noch nicht fest. Und was haben die Kunden von der App? „Wir wollen dort perfekte Beratung bieten“, sagt Brodin. „Im Laufe eines Lebens ergeben sich neue Herausforderungen an die Wohnsituation: Kinder haben andere Bedürfnisse als ältere Menschen. Mal hat man mehr Geld zur Verfügung, mal weniger. Und nach einem Umzug ändert sich eh alles. Wenn der Kunde bereit ist, uns diese Informationen zu geben, wird unsere App der perfekte Ratgeber sein.“

Doch für personalisierte Beratung braucht man Daten. Wie kommt Ikea also an die Daten der Kunden? „Heute nutzen wir Daten vor allem in unserem Kundenclub, Ikea Family“, erklärt Brodin. „Der Kunde gibt uns dabei Profildaten bei der Anmeldung und Kaufdaten bei Benutzung der Family-Karte.“ Die nutze Ikea, um etwa personalisierte Werbung zu machen und Services oder Tipps rund um die Produkte zu geben. „Natürlich muss der Kunde entscheiden, ob er uns seine Daten geben will oder nicht“, betont Brodin. „Und er muss mitkriegen, wenn er diese Entscheidung fällt.“ Weiterhin erhebe Ikea Daten beim Bezahlen oder beim Einkauf im Onlineshop – hier allerdings anonymisiert.

Bisher macht das Geschäft im Internet nur 7,4 Prozent des Ikea-Umsatzes von rund fünf Milliarden Euro in Deutschland aus. Tendenz stark steigend: Im vergangenen Jahr wuchs der Onlinehandel der Schweden hierzulande um 12,8 Prozent – im stationären Handel lag das Plus bei 2,8 Prozent. Die neue App ist aber nur ein Bestandteil von Ikeas Digitalisierungsstrategie. Brodin muss dafür sorgen, dass die Konzern IT, die bislang aus vielen einzelnen Software-Systemen besteht, künftig aus einem Guss ist.

Haben Sie schonmal ein Ikea-Möbel zwei- oder dreimal aufgebaut?

„Wir werden in den nächsten Jahren mehr investieren, als Ikea das jemals getan hat“, kündigt er an. Dabei könnte ihm ein Satz auf die Füße fallen, den er vor rund einem Jahr gesagt hat. Er sei froh, hatte er dem „Focus“ anvertraut, dass Ikea nicht schon vor fünf Jahren groß in Digitalisierung investiert habe. Vermutlich hätte man damals auf die falsche Technik gesetzt. Was macht ihn sicher, dass es diesmal die richtigen Technologien sind? Er lacht, ja seine Antwort aus dem letzten Jahr wäre vermutlich immer noch richtig. „Aber so würde man ja nie investieren.“ Er wird wieder ernst. „Es finden derzeit so viele Umwälzungen statt, dass es unternehmerischer Selbstmord wäre, jetzt nicht zu investieren.“

Damit meint er nicht nur die Digitalisierung, sondern auch die Umweltproblematik. Er legt die Stirn in Falten. „Man steht vor einem Dilemma, wenn man im Massenmarkt bestehen und gleichzeitig auf Nachhaltigkeit achten will“, meint Brodin. Doch es gebe keine andere Wahl, die Rohstoffpreise würden in den nächsten Jahren deutlich steigen. „Es wäre verrückt, nicht in nachhaltige Kreislaufsysteme zu investieren.“ Er spielt darauf an, dass Ikea seit kurzem Möbel vermietet. Im gerade erschienen Nachhaltigkeitsbericht des Konzerns bekennt sich der Konzern zu „mehr Zirkularität“: Wiederverwendung, Reparatur und Wiederverkauf.

Hat er jemals versucht, ein Ikea-Möbel zwei- oder dreimal aufzubauen? Das wird doch mit jedem Mal instabiler! Er lehnt sich zurück. „Diese Frage höre ich am liebsten. Ich war viele Jahre verantwortlich für die Sortimentsentwicklung und Lieferketten von Ikea, deshalb weiß ich, wovon ich rede.“ Er klopft auf den Tisch. „Ich kann Ihnen zum Beispiel sagen, dass dieser Tisch, an dem wir sitzen, hohl ist. Das spart 90 Prozent Material gegenüber einem normalen Tisch.“ Brodin fährt fort: „Ich weiß, dass alle Produkte, die wir seit anderthalb Jahren produzieren trennbar sind. Bei der Entsorgung kann man etwa Plastik, Metalle oder Holz immer korrekt recyclen. Und auf unsere Küchen gibt es ja nicht umsonst 25 Jahre Garantie – die halten auch wirklich so lange.“

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