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© dpa

Rainer Brüderle: Im Reich des Mittelstands

Er war schon oft hier, und nun führt ihn auch seine erste Auslandsreise als Regierungsmitglied her. Rainer Brüderle ist in China. Und man kann feststellen: Das Land hat sich verändert, das Amt des Wirtschaftsministers auch – ebenso wie er selbst.

Die Halle ist penibel aufgeräumt, an der Wand hängt ein Transparent, knallrot wie zu Maos Zeiten: „Hörmann Peking begrüßt die Delegation des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie Rainer Brüderle“ steht da, der komplette Titel, auf Deutsch und Chinesisch, aber leider etwas zu hoch, die Fernsehkameras bekommen den Minister und das Transparent nicht auf ein Bild.

Hörmann ist eine Firma aus Ostwestfalen, die Türen herstellt, und Brüderle ist eigentlich der perfekte Wirtschaftsminister. Er kann das. Er war schon einmal Wirtschaftsminister, in Rheinland-Pfalz. Dann ließ er das Land hinter sich, machte den Sprung in den Bundestag, vermeintlich auf die große Bühne – und landete in der Opposition.

Elf Jahre hat Rainer Brüderle gewartet. Jetzt ist er angekommen. In Peking kann seine Wagenkolonne direkt bis in die Verbotene Stadt brausen, der Minister im 7er BMW immer vorneweg. Von Palast zu Palast wird er geführt, Sicherheitsleute in grauen abgewetzten Daunenjacken schirmen ihn ab. Manchmal schubsen sie Passanten beiseite, wenn die nicht sofort merken, dass sie im Weg stehen. Fotografieren lässt sich der Minister auch ausgiebig, mit und ohne Schiebermütze. Aber die Posen des Amtsvorgängers Karl-Theodor zu Guttenberg meidet er.

Es ist Brüderles erste Auslandsreise im neuen Amt. Gut ein Dutzend Mal war er zuvor schon hier, das erste Mal 1987. Seitdem hat sich die Bevölkerung in Peking auf 16 Millionen verdoppelt – die Fläche der Stadt ist jetzt ungefähr so groß wie ganz Rheinland-Pfalz. Seine Vorgänger haben mit den USA angefangen. Die China-Reise soll ein Signal sein: In China liegt die Zukunft, und er kennt sich bestens aus. Die Küstenprovinz Fujian hat er einst zum Partnerland von Rheinland-Pfalz gemacht.

Signale gibt es auch von den Gastgebern. Wirtschaftsminister Chen Deming wird sehr deutlich. Das Verhältnis zu Deutschland sei gut und schön, sagt er. Aber die Europäische Union sei ja inzwischen viel wichtiger, deutet er an. Und was denn der Gast gegen die Schutzzölle auf Schuhe aus China tun wolle, fragt er. 16,5 Prozent kassiert Brüssel, und diese Regelung soll jetzt verlängert werden.

Brüderle antwortet mit Doha. Die weltweiten Handelsschranken müssten endlich abgebaut werden, sagt er flugs in Peking in jedes Mikrofon, aber es ist ein müder Schlachtruf. Denn mit Doha spricht er eine der größten Niederlagen der internationalen Politik an. Im Jahr 2001 kam man dort, in der Hauptstadt von Katar, zusammen, um die Handelsschranken weltweit zu beseitigen. Den Entwicklungsländern hätte das sehr geholfen. Aber es kam nicht dazu. Ein kleinster gemeinsamer Nenner ist bis heute nicht zu finden. China schafft es trotzdem; China löst Deutschland bald als Exportweltmeister ab.

Einer, der davon profitiert, ist Walter Müller, der Geschäftsführer der Wawi-Schokolade AG. Sein Vater machte noch Weihnachtsmänner und Osterhasen, sonst nichts. Dem Sohn war das zu wenig. Nachdem er 1992 den damaligen rheinland-pfälzischen Landeswirtschaftsminister Brüderle auf eine China-Reise begleitete, ging er ins Risiko und baute mit alten Maschinen dort eine Produktion auf.

„Wir haben vom ersten Moment an Geld verdient“, erzählt der Unternehmer. Heute bezahle er in Deutschland für eine Arbeitsstunde mit allem Drum und Dran um die 15 Euro, während es in China gut ein Euro sei. Als Absatzmarkt jedoch reicht das Land nicht aus. Es steuert nur fünf Prozent des Umsatzes bei, denn die Chinesen haben es nicht so mit Schokolade. Ganze 20 Gramm essen sie im Schnitt pro Jahr, während die Deutschen auf zehn Kilo kommen.

Aber die Geschäfte von Wawi laufen gut und immer besser. „Ich habe nie aufgehört, an den Weihnachtsmann zu glauben“, erzählt der Schokoladenunternehmer strahlend, und in der Tat muss man auch in Peking nicht mehr lange nach dem fremden Mann in Rot suchen. Selbst im Gästehaus der Regierung wünscht ein Plakat fröhliche Weihnachten.

Bald werden die Chinesen mehr Schokolade essen, ist sich Müller sicher. Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Und Brüderle stellt fest, dass die Gastgeber nicht mehr endlose Kommuniqués verlesen, sondern direkt und offen Themen ansprechen. Die Welt ist eine andere geworden in den Jahren seit Brüderles erster Chinareise. Smog hängt in der Winterluft, überall leuchten Reklameschilder, Autos und Elektromopeds haben Fahrräder fast völlig von den Straßen Pekings verdrängt.

Und das Amt des Wirtschaftsministers hat sich auch verändert. Für Brüderle spricht, dass er der erste seit langem ist, der dieses Amt wirklich wollte. Vorgänger Guttenberg wurde dienstverpflichtet, weil Michael Glos aus seiner jahrelangen Amtsmüdigkeit schließlich Konsequenzen gezogen hatte. Ins Amt war der ohnehin nur gekommen, weil Edmund Stoiber nicht wollte. Und davor mochte Wolfgang Clement auch nicht nur dieses Ressort, sondern hatte zusätzlich das Arbeitsministerium übernommen.

Brüderle will wohl einfach nur ein guter Wirtschaftsminister sein. In Rheinland-Pfalz hieß das, dass man sich im Mittelstand, im öffentlichen Nahverkehr und mit Wein auskennen muss. In Rheinland-Pfalz stellt der Wirtschaftsminister etwas dar. Im Bund ist das schwieriger. Mit Mittelstand reüssiert man nicht, Wein spielt keine Rolle, für Verkehr ist ein anderer zuständig.

Und um Wirtschaft kümmern sich viele. Die Kanzlerin selbst, der Finanzminister, der Umweltminister und demnächst ganz sicher die neue Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Alle vier sind sie von der CDU. Brüderles FDP gibt in der Wirtschaftspolitik der Koalition nicht den Ton an. „Nach außen sind wir eine Einheit, intern wird diskutiert“, sagt er schief lächelnd über den holprigen Start der Regierungskoalition.

Es scheint, als wolle er bei den Chinesen in Sachen Menschenrechten genauso vorgehen. Das Gesicht müssten sie wahren können, das sei in Asien ganz wichtig, und er werde alles „in geeigneter Weise“ ansprechen. Im Gespräch mit dem Vize-Ministerpräsidenten Wang Qishan scheint das zu klappen – jedenfalls dringen keine Negativmeldungen durch.

Bei einem festlichen Frühstück der deutschen Handelskammer im Keller eines Pekinger Fünf-Sterne-Hotels kämpft Brüderle sich mühsam durchs Manuskript, um es schließlich doch wegzulegen. Es sei eine schöne Rede, die man ihm da vorbereitet habe, und er lasse sie gerne in Kopie da, sagt er. Besser ist er im Gespräch, herzlich fast und charmant.

Von dem liberalen Ordnungspolitiker – geringe Staatsausgaben, die Wirtschaft in Ruhe lassen statt in sie einzugreifen –, den er in der Oppositionszeit gerne gegeben hat, ist nicht mehr viel zu spüren. Das liegt nicht nur daran, dass er in Peking mit einem Planwirtschaftler nach dem anderen konferiert, sondern auch an den Realitäten der neuen Koalition. Die Bürger in Deutschland sollen 2010 und 2011 durch insgesamt mehr als 40 Milliarden entlastet werden – auf Pump –, das stärke die Kaufkraft, argumentiert Brüderle jetzt. „Das ist in der Marktwirtschaft so: Es muss Nachfrage geben.“

In China weicht BASF-Chef Jürgen Hambrecht nicht von Brüderles Seite. Er ist als Sprecher des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft von Amts wegen dabei, aber hält auch große Stücke auf den neuen Minister. „Der denkt weiter, als viele glauben“, sagt der Manager. Einen Minister als Türöffner brauche BASF zwar nicht, aber ein gutes Signal sei der Besuch – der Konzern macht ein Fünftel seines Chemieumsatzes in China. „Das ist doch keine Expedition zur Erstkontaktaufnahme“, sagt auch Brüderle.

Eher ist es die Reise eines selbsternannten Mittelstandsbeauftragten. So kommt es, dass die Wagenkolonne mit dem Minister-BMW an der Spitze ihren Weg in ein abgelegenes Industriegebiet findet, wo die Firma Hörmann ihre Türen herstellt. Die Halle ist penibel aufgeräumt, an der Wand hängt das knallrote Transparent, und der Geschäftsführer Dirk Fell weiß nicht nur Freundliches zu berichten. Für den Bau eines zweiten Werks hier habe man kein Grundstück bekommen, deswegen habe man 80 Kilometer Richtung Süden ziehen müssen. Die großen Firmen hätten es da leichter. Auch mache die hohe Fluktuation Mühe – an manchen Standorten wechsle das Personal im Laufe des Jahres einmal komplett durch. Brüderle spricht ihm Anerkennung aus, dankt ihm dafür, dass seine Geschäfte auch Arbeitsplätze in Deutschland sichern. „Ihre Frontarbeit ist für uns segensreich“, sagt er.

Doch das mit dem Mittelstand ist ein Etikettenschwindel. Hörmann beschäftigt weltweit 6000 Mitarbeiter und erzielt einen Jahresumsatz von rund einer Milliarde Euro. „Am Ende sind wir alle Mittelständler“, spottet der Grünen-Abgeordnete Fritz Kuhn, der ebenfalls mit nach Peking gekommen ist. Seine Mission ist klar. „Ich will mir den anschauen. Wir müssen entscheiden, ob wir ihn als Watschenheini nehmen oder etwas ernster.“ Die Entscheidung ist offener, als es im ersten Moment klingt. „Der kann mit den Leuten aus der Wirtschaft wirklich gut“, sagt Kuhn. „Konzeptionell trennt uns vieles, aber persönlich ist der in Ordnung.“

Die Chinesen haben ihr Urteil schon gefällt. Im getäfelten Saal des Gästehauses der Regierung sitzen sich die zwei Delegationen gegenüber, die Tische mit grünen Filzdecken bedeckt, darauf Namensschilder und Blumengestecke, am Rand gelb gekleidete Hostessen mit Teekannen. „Ich weiß, Sie sind ein kompetenter Politiker“, sagt Minister Chen.

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