zum Hauptinhalt
Die Architekten Inken und Hinrich Baller im Juli 2021. 

© urban fragment observatory

Architektur in Berlin: Verdichter der Großstadt

Mit ihrem unkonventionellen Wohnungsbau setzte das Architektenpaar Inken und Hinrich Baller bis 1989 in West-Berlin Maßstäbe für die Zukunft. Seit März würdigt eine Ausstellung ihre Arbeit. Ein Interview.

Inken Baller und Hinrich Baller haben in ihrer gemeinsamen Schaffensphase von 1966 bis 1989 im ehemaligen West-Berlin prägnante Bauten mit einer eigenständigen, expressiven und wiedererkennbaren Architektursprache konzipiert. Während diese Gebäude damals wie heute die Fachwelt polarisierten und polarisieren, wurden ihre Projekte von den Berlinerinnen und Berlinern angenommen. Sie sind Ausdruck eines unkonventionellen Wohnungsbaus. Inken und Hinrich Baller realisierten knapp dreißig Gebäude, vorwiegend in West-Berlin. 

Nach der Trennung von Hinrich Baller setzte Inken Baller ihre Tätigkeit als Architektin fort. Zu ihren bekanntesten Projekten zählt das Gebäude der WeiberWirtschaft (1992–95) in Berlin, ein Umbau eines ehemaligen chemischen Betriebes (VEB Kosmetik-Kombinat Berlin) unter besonderen ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten und mit einem Wohn- und Geschäftshaus als Neubau. 

Hinrich Baller führte seine Arbeit nach 1989 mit seiner jetzigen Frau Doris Baller fort. Gemeinsam mit ihr entstanden zahlreiche Projekte in Berlin, darunter die Spreewald-Grundschule, ein Kindergarten und Wohngebäude am Winterfeldtplatz in Berlin-Schöneberg, die Nutheschlange in Potsdam und das Einkaufszentrum Castello mit zweihundert Wohnungen in Berlin-Fennpfuhl.

Am 4. März wird nun eine Ausstellung über das Architektenehepaar geöffnet: „Visiting, Inken Baller und Hinrich Baller, Berlin 1966-89“ (Deutsches Architektur Zentrum DAZ, Wilhelmine-Gemberg-Weg 6), kuratiert vom Berliner Kollektiv „ufoufo – urban fragment observatory“. Die  Schau inszeniert (bis 24. April 2022, Mi bis So 15 bis 20 Uhr) einen sinnlichen Wieder-Besuch bewohnter Räume: Aktuelle Innenaufnahmen zeigen Filigranität, Durchlässigkeit, die Integration von Gemeinschaftsflächen in die Wohngebäude und deren ungewöhnliche Grundrisslösungen. Beide Architekten gaben dem Tagesspiegel telefonisch Einzelinterviews zu drei Themenkomplexen, die hier zusammengeführt werden:

Das Stadtmagazin „Tip“ schrieb im September über Ihre Architektur, sie sei das Gegenteil von dezent, zurückhaltend und funktional. Ihre Architektur schreie förmlich: „Beachte mich und sieh dir an, wie schön es sich in mir leben lässt!“ Eigentlich haben Sie aber doch die idealen Innenräume für Pandemiezeiten geschaffen: Mit Balkonen und viel Licht. Andererseits: Lässt sich eine solche Architektur angesichts des Platzmangels und der hohen Baupreise aufrechterhalten?

INKEN BALLER: Die Leute haben die Pandemie auch gut überstanden in den Räumen. Ich glaube, die Architektur ist noch zeitgemäß. Ich glaube auch, dass wir durchaus platzsparend gebaut haben, denn diese Bauten am Fraenkelufer waren zum Beispiel sozialer Wohnungsbau. Und dort gab es klare Obergrenzen, wie groß eine Wohnung sein darf. Natürlich haben wir versucht, immer eine starke Beziehung zwischen Innen- und Außenraum darzustellen. Und da sind Balkone ein sehr wichtiger Faktor, weil sie Zwischenstationen zwischen innen und außen sind. Und weil sie etwas von der Wohnung nach außen vermitteln, gleichzeitig wird etwas aus der Natur mit nach innen genommen. Wir haben eigentlich immer nur ein Minimum von Verkehrsflächen geplant, es gibt auch keine riesigen Bäder, sondern wir haben dann versucht, möglichst viele Räume miteinander zu verbinden. Dass die Räume nicht eindeutig funktionalisiert sind. Im sozialen Wohnungsbau waren in den Siebzigern noch halbe Zimmer zugelassen, die 7 bis 8 Quadratmeter hatten – so etwas kam bei uns gar nicht vor.

HINRICH BALLER: Das Tip-Zitat ist natürlich purer Unsinn. Damals ist auch gerechnet worden. Unsere Projekte sind ausnahmslos mit öffentlichen Förderprogrammen realisiert worden. Da mussten unsere Bauherren mit den festgelegten Fördergeldern auskommen. Wir haben uns sehr intensiv mit Kosten beschäftigt – die Geländer der Balkone zum Beispiel sind besonders günstig, weil sie wenig Material enthalten. Und dann sind sie niemals gerade – diese dünnen Drähtchen halten ein Vielfaches an Steifigkeit aus: Wie ein Korb. Wir haben sehr tiefe Räume gebaut – das ist besonders wirtschaftlich, weil diese reduzierten Außenwandflächen damit reduzierte Abkühlungsflächen haben. Die Altbauten haben alle tiefe Räume. Die jetzigen Neubauten haben dagegen zum Teil viel zu wenige tiefe Räume. So ist der Außenwandanteil viel höher. Da die Außenwände das meiste kosten, muss man sie immer minimieren – auch aus ökologischen und heizungstechnischen Gründen. Die Berliner Hinterhöfe zum Beispiel haben eine starke Überbauung, die Räume haben anständige Fenster, so sind sie hell. Das haben wir optimiert. Wenn wir nur mit geraden „Kisten“ arbeiten würden, ließen sich nicht so flächengünstige Grundrisse gestalten. Unsere Grundrisse haben immer eine entfernte Ähnlichkeit mit Blüten.

Die Architekten Inken und Hinrich Baller arbeiteten mit Elementen, die eine hohe Lebensqualität ausmachen und dennoch in Gebäuden umgesetzt wurden, die im engen Rahmen des sozialen Wohnungsbaus entstanden – wie hier am Fraenkelufer in Kreuzberg.
Die Architekten Inken und Hinrich Baller arbeiteten mit Elementen, die eine hohe Lebensqualität ausmachen und dennoch in Gebäuden umgesetzt wurden, die im engen Rahmen des sozialen Wohnungsbaus entstanden – wie hier am Fraenkelufer in Kreuzberg.

© urban fragment observatory

Dann halten Sie von modularen Bauten nicht so viel?

HINRICH BALLER: Unsere Bauten sind auch modular – nur die Module sind komplizierter. Im Gegenteil haben wir die „Kisten“ nie realisiert, weil die keiner hätte bezahlen können. Heute wird gesagt: Je gerader und eckiger es ist, desto günstiger ist es. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Blüte ist ein besonders wirtschaftliches System – sie ist unsere Lehrmeisterin.

Mit Blick auf die demografische Entwicklung: Wie sehen platzsparende Grundrisse für Singles – und zwar für ältere und jüngere – aus? Wie sehen Sie Alten-WGs?

INKEN BALLER: Man kann die Entwicklung fortschreiben. Die Leute, die damals Studenten-WGs gegründet haben, sind heute die alten Leute. Es gibt eine ganz andere Nähe zu diesen anderen Wohnformen als es in den sechziger und siebziger Jahren vorstellbar war. Wichtig ist, dass man in den Wohnungen langfristig auch etwas verändern kann. Wir haben zum Beispiel relativ oft auch kleine Wohnungen gebaut, die dann sehr einfach zusammengeschaltet werden können. Die auch wieder getrennt werden können. Das wurde von vornherein mitkonzipiert. Wenn Sie sehen, wie gut die Altbauwohnungen aus den 1880er Jahren, aus 1900 zu verändern sind, und wie viele unterschiedliche Funktionen sie übernehmen können, dann ist das auch so etwas wie ein Vorbild.

HINRICH BALLER: Wenn wir bei dem Blütenbild bleiben, gäbe es einen Kern. Um die vertikalen Geschichten herum – Treppen usw. – wären die Einheiten sortiert. Wenn ich aber einen langen Flur vorsehe, kann ich mir ausrechnen, dass dieser Flur einen unverhältnismäßig großen Anteil an der Gesamtfläche hat. Wenn ich einen blütenartigen Grundriss habe, dann ist klar, dass das Verhältnis zur Fassade – aber auch zum Licht – günstiger ist. Solche Räume kann man auch für Singles acht Meter tief bauen. Das ist kein Problem.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Fraenkelufer: Innenansicht einer Maisonette-Wohnung der Architekten Inken und Hinrich Baller.
Fraenkelufer: Innenansicht einer Maisonette-Wohnung der Architekten Inken und Hinrich Baller.

© urban fragment observatory

Es ist aktuell viel von der Verdichtung der Großstadt die Rede – in West-Berlin war der zur Verfügung stehende Platz auch begrenzt. Was bedeuteten die Platzverhältnisse für Ihr Schaffen von 1966-1989?

INKEN BALLER: Die Eckgrundstücke haben eine Geschossflächenzahl von 3,5 bis 4,5. Die sind hochverdichtet. Und trotzdem haben wir versucht, eine möglichst große Wohnqualität zu bekommen. Einmal durch die Balkone, aber auch durch den Fußabdruck auf dem Grundstück – die versiegelte Fläche sollte möglichst klein sein. Die Autos sollten möglichst unter das Haus geschoben werden, nicht immer in eine Tiefgarage, die Angsträume bietet. Dieses so genannte Untergeschoss ist dann kein Vollgeschoss. Das sind Tricks, mit denen wir gearbeitet haben.

HINRICH BALLER: Wir waren die ersten – mit unserem Projekt in der Lietzenburger Straße –, die mit einer hohen GFZ, Geschossflächenzahl, gearbeitet haben. Die GFZ-Fläche ist die Fläche auf den Etagen im Verhältnis zum Grundstück. Das ist im alten Berlin das Vier- und Fünffache des Grundstücks. Wir haben gebaut mit 5,0 oder mit 6,0. So bewege ich mich in eine ganz andere wirtschaftliche Betrachtung. Es darf aber nicht zu kompliziert sein – das Haus muss mit Blick auf die Tragwerke so dünn sein wie möglich. Damit besonders viel Licht hineinkommt. Das kann man an fast an jedem Haus nachvollziehen, dass die Wohnungen wie eine Tüte nach außen aufgehen. Dadurch habe ich eine größere Fläche, die ordentlich belichtet wird und außen nicht so viel Masse hat, was auch ökologisch günstiger ist. Für dicke Wände bekomme ich keine Miete. Dieses Verhältnis muss ich umdrehen: Dass ich viel Fläche zum Wohnen habe, aber möglichst wenig Abkühlungsfläche. Die meisten Flächen müssen nach innen gerichtet sein. Dadurch habe ich sofort ein günstigeres Verhältnis. Deshalb ist auch der Plattenbau zusammengekracht, weil die Flächenverhältnisse viel zu ungünstig sind. So einfach ist das.

Wenn wir heute weniger bauen, so liegt das nicht am rechten Winkel oder modularen Ordnungen, sondern am Fehlen von für Bauherren attraktiven Wohnungsbau-Förderprogrammen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false