zum Hauptinhalt
Alle wollen in die coolen Städte - vor allem jungen Menschen ziehen dahin, wo noch andere aus ihrer Altersgruppe wohnen.

© imago/Steinach

Bericht der Bundesregierung: Für Singles und Ältere wird es eng in Deutschland

Wohnungs- und Immobilienmärkte in Deutschland 2016: Junge Menschen drängen in die Städte, Grundstücke werden zu teuer, Altersarmut droht

Der Wohnungs- und Immobilienmarkt in Deutschland muss sich an strukturelle Wandlungsprozesse anpassen, die in ihren Dimensionen erst in Ansätzen erfasst sind: Das Wohnen in Stadt und Land steht mit Blick auf Wanderungsbewegungen und den Aufbau der Alterspyramide vor dramatisch veränderten Bedingungen. Dies geht aus dem Bericht des Bundesbauministeriums über die Wohnungs- und Immobilienmärkte hervor, der dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt.

Drei Entwicklungen kennzeichnen das zukünftige Lebensumfeld:

1. Wohneigentum in den großen Städten wird mit steigenden Bodenpreisen so teuer, „dass ein Hauskauf oder -bau eine sehr hohe Investition darstellt, die nur von einer Minderheit der Haushalte finanziert werden kann“.

2. Dies liegt einerseits daran, dass die Nachfrage nach Wohnraum in den Städten hoch ist und weiter wachsen wird. Vor allem junge Menschen sind in den letzten Jahren vermehrt in die Städte gezogen.

3. Zwar ist das Zinsniveau niedrig, doch werden Städte wie Berlin auf lange Sicht vor allem Mieterstädte bleiben – mit der Folge, dass angesichts des Altersaufbaus der Gesellschaft Armut bei den Senioren droht: Wer nicht im Eigentum wohnt, keine hohe Rente hat und infolge dessen keine hohe Miete aufbringen kann, verarmt.

Traditionell liegt die Wohneigentumsquote in Deutschland im europäischen Vergleich mit zirka 46 Prozent auf einem niedrigen Niveau. „Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass es in Zukunft absolut mehr armutsgefährdete Senioren in Deutschland geben wird, als dies derzeit der Fall ist“, heißt es in der Faktenübersicht.

Für die Babyboomer gibt es nicht genug altersgerechte Wohnungen

Dramatisch verschärfen wird sich die Situation, wenn die bereits in die Jahre gekommenen Babyboomer mehr und mehr auf Hilfestellungen angewiesen sind, eventuell gar pflegebedürftig werden. Denn: „Der altersgerechte Wohnungsbestand entspricht mit unter zwei Prozent aller Wohnungen noch nicht dem Bedarf, der künftig aufgrund des demografischen Wandels benötigt wird“, heißt es in dem Bericht: „Die Anzahl der Menschen im Alter von 65 Jahren und älter wird in Deutschland von 17,3 Millionen im Jahr 2015 um 35 Prozent auf rund 23,3 Millionen im Jahr 2035 steigen.“

Die Verfasser des vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) herausgegebenen Bandes („Wohnungs- und Immobilienmärkte in Deutschland 2016“) leiten daraus ab, „dass die Lücke bei der Versorgung mit altersgerechten Wohnungen größer wird und dass bis zum Jahr 2030 zusätzlich 2,9 Millionen altersgerechte Wohnungen benötigt werden“. Den Investitionsbedarf schätzen die Autoren unter der Leitung von Alexander Schürt auf bis zu 50 Milliarden Euro.

Ein Heimaufenthalt sollte möglichst vermieden werden

Wohnungen in begehrten Lagen werden für viele Senioren künftig zu teuer werden.
Wohnungen in begehrten Lagen werden für viele Senioren künftig zu teuer werden.

© Federico Gambarini/dpa

Den politischen Entscheidungsträgern gibt das BBSR deshalb in geschliffen diplomatischer Wortwahl den eindringlichen Rat, den Umzug von pflegebedürftig werdenden Personen in ein Heim künftig zu vermeiden oder aufzuschieben: „Dies könnte die Sozial- und Pflegekassen um etwa drei Milliarden Euro jährlich entlasten“, errechnete das BBSR.

Der Run auf Heimplätze dürfte damit mit einer Verschärfung der Bedingungen einhergehen, um hier überhaupt heimisch werden zu dürfen. Die Entwicklung kündigt sich schon an. Nach Angaben des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste weigern sich einzelne Sozialhilfeträger, bestehende Finanzierungsvereinbarungen mit den Pflegeheimen über das Jahr 2016 hinaus zu verlängern. „Bleibt der Gesetzgeber bei seiner Absicht, müssten die Pflegeheime bis zu 80.000 Heimbewohnern kündigen, da die Heimkosten nicht gezahlt werden können“, warnte der Verband diese Woche in Berlin.

Jeder zweite Singlehaushalt bekommt staatliche Unterstützung

Verbessert werden könnte die Situation durch altersgerechte Modernisierungsmaßnahmen, die der Staat allein kaum wird schultern können. Der private Haushalt kann dies in der Regel auch nicht leisten, so ist zwischen den Zeilen zu lesen: „Bei der Frage einer möglichen Finanzierung von Umbaumaßnahmen muss auch die künftige Einkommenssituation älterer Menschen berücksichtigt werden.“

Belastet werden die öffentlichen Kassen auch durch die zunehmende Zahl von Singlehaushalten. Dazu zählen auch jene Singles, die dieses Lebensmodell nicht freiwillig gewählt haben, sondern ihren Partner durch Tod verloren haben. „Rund 50 Prozent der Wohngeld- und KdU-Empfängerhaushalte (KdU = Kosten der Unterkunft und Heizung) sind Singlehaushalte“, stellt das BBSR lapidar fest. 2013 erhielten leistungsberechtigte Singlehaushalte nach Angaben des Instituts durchschnittlich eine Wohnkostenunterstützung in Höhe von 323 Euro im Rahmen des SGB II (Grundsicherung) und Wohngeld in Höhe von 78 Euro.

Bautätigkeit ist vom Bedarf noch deutlich entfernt

Während sich die Finanzierungslücken und Wohnraumdefizite für ältere, gelegentlich pflegebedürftige Menschen noch einigermaßen einschätzen und berechnen lassen, so sind die erhöhten Flüchtlingszahlen des vergangenen Jahres – und kommender Jahre? – unbekannte Variablen mit unkalkulierbaren Folgen. Denn erhöhte Flüchtlingszahlen, die in der BBSR-Wohnungsmarktprognose 2030 noch nicht berücksichtigt werden konnten, führen zu deutlich höheren Neubaubedarfen. Insgesamt ist von einem erhöhten jährlichen Bedarf von etwa 350.000 bis 400.000 Neubauwohnungen auszugehen, schätzt der Bund.

Mit dem Anstieg der Baufertigstellungen auf knapp 248.000 Wohnungen in Deutschland im Jahr 2015 sei „das aktuelle Niveau der Bautätigkeit noch deutlich von den Prognoseergebnissen zuzüglich des Bedarfs aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen entfernt“, heißt es im Bericht des Bundesbauministeriums über die Wohnungs- und Immobilienmärkte.

In "In"-Gebieten wird es zu Verdrängungsprozessen kommen

Ausreichend verfügbares Wohnbauland zu vertretbaren Preisen sei deshalb „eine entscheidende Stellschraube für mehr bezahlbaren Wohnungsneubau zur Miete und im Eigentum“. Damit wird – unter anderem – das Verfahren der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) einmal mehr infrage gestellt, nach dem Bundesimmobilien im Idealfall zu Höchstpreisen abgegeben werden.

So oder so lässt der aktuelle Bericht des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung keine Zweifel daran, dass sich die städtebauliche Struktur der Großstädte in Deutschland grundlegend wandeln wird: Junge Menschen konzentrieren sich in den Wanderungsbewegungen auf bestimmte Städte und fokussieren sich dort auf bestimmte Stadtteile. Es entstehen „In“-Gebiete, in denen es zu Verdrängungsprozessen kommt. Die Bestandsbewohnerschaft sieht sich mit steigenden Mieten und umfangreichen Modernisierungen konfrontiert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false