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Paprika für alle. In den Kreuzberger Prinzessinnengärten steht ein mobiles Gemüse- und Kräuterfeld, das die Initiatoren Robert Shaw und Marco Clausen gemeinsam mit den Anwohnern beackern. Ganz nebenbei entstehen so Kontakte. Auch Designer Philippe Starck setzt bei den von ihm gestalteten Nobel-Apartments, wie dem im Bau befindlichen „Yoo Berlin“, auf Gemeinschaftsflächen. Das „Yoo Toronto“ (oben rechts) macht es mit einer langen Tafel für alle Mitbewohner vor. Fotos: picture alliance/dpa, Promo

© picture alliance / dpa

Dorfgefühl in Berlin: Mit den Nachbarn auf Du und Du

Raus aufs Land war gestern. Moderne Städter suchen das "Dorfgefühl" um die Ecke – und finden in Berlin viele Orte dafür.

Die Grundrisse herkömmlicher Wohnungen sind längst nicht mehr zeitgemäß, meint der Stardesigner Philippe Starck. „Sie trennen Familienmitglieder anstatt sie zusammenzubringen“, sagt er. Daher mache er es sich zur Aufgabe, nach Raumaufteilungen zu suchen, die Menschen zusammenführen, Energie positiv fließen lassen und demokratischer sind. Gemeinschaft statt Isolation lautet die Devise.

Dabei setzt Starck nicht nur in der Wohnung auf Gemeinschaftsflächen, sondern auch in den luxuriösen Apartmenthäusern, die er gemeinsam mit Projektentwickler John Hitchcox seit zehn Jahren weltweit unter dem Namen „Yoo“ vermarktet. So entsteht in der Hauptstadt gerade das „Yoo Berlin“ im Bezirk Mitte in der Nähe des Berliner Ensembles. Neben Hotels, Büroflächen und Wohnungen soll es dort zum Beispiel auch ein Café und ein Spa für die Hausbewohner geben. Es gehe darum, das „Dorfgefühl“ in der Stadt zu reproduzieren, wie es Hitchcox ausdrückt. Im Haus eine Sippe zu bilden, die sich durch gemeinsame Interessen, Ideen oder Gewohnheiten zusammenfindet, die Anonymität überbrückt und im Idealfall auch nach außen wirkt – wobei in den Yoo-Häusern die „Community“ doch eher eine geschlossene ist; wahre Öffentlichkeit ist nicht gewollt.

Ganz neu ist die Idee der Kombination von Gemeinsamem und Privatem unter einem Dach nicht. Baugruppen und Wohnungsgenossenschaften leben sie schon lange. Und auch in ganz normalen Mehrfamilienhäusern finden sich Nachbarn zusammen, die sich unterstützen, gemeinsam berufliche oder soziale Projekte realisieren, Flächen umnutzen und ihren Kiez revitalisieren. Netzwerke und Nachbarschaften zu bilden ist eben ein menschliches Bedürfnis – auch und gerade in einer Zeit, in der der Alltag immer schnelllebiger, mobiler und virtueller wird.

Starck und Hitchcox sprechen mit ihrer Community-Idee einen urbanen Trend an: Die Suche nach persönlichem Austausch und Kommunikation, nach Inspiration und Nähe als Kontrapunkt zu Isolation und Oberflächlichkeit. Das vielschichtige urbane Umfeld wird dabei zum Katalysator für soziale und kulturelle Begegnungen. Und Städte wie Berlin werden mit neuen Quartierskonzepten wieder attraktiv für Jung und Alt. „Die Bewegung raus aus der Stadt ist gestoppt“, sagt Architekt Eike Becker. „Menschen zieht es in die Städte zurück, weil sie teilhaben wollen an den neuesten Entwicklungen, an lebendigen Nachbarschaften, an Theater und Kultur. Sie wollen Leute treffen, sich austauschen.“

Einen wesentlichen Beitrag hierfür leisten öffentliche Plätze und Parks als Begegnungsstätten. „Der öffentliche Raum hat in einer Stadt wie Berlin eine ganz wichtige Bedeutung für die soziale Integration, egal ob in Form einer Pioniernutzung oder in Form von Projekten in den Bereichen Bildung, Kinder, Natur, Sport oder Kultur“, sagt Senatsbaudirektorin Regula Lüscher. „Gerade die zufälligen Begegnungen und der Austausch zwischen Menschen unterschiedlicher sozialer, ethnischer oder kultureller Herkunft ist wichtig, wenn man Dinge entdeckt, nach denen man nicht gesucht hat.“

Dabei sei die Entwicklung großer Landschaftsräume wie des Tempelhofer Flugfelds als Erholungs- und Begegnungsraum ebenso wichtig wie der bewusste Umgang mit kleinen Orten. „Tempelhof ist als Park noch lange nicht fertig“, sagt Lüscher. „Aber er ist schon erstaunlich gut brauchbar und wird von den Menschen erobert, obwohl ihm noch Aufenthaltsqualität und eine ansprechende Begrünung fehlen. Ich bin zuversichtlich, dass hier langfristig ein Landschaftsraum entsteht, der den Bedürfnissen des städtischen Lebens entgegenkommt.“

Besonders die junge Generation suche in der Stadt die Weite und freue sich über Flächen wie die grüne Wiese, an deren Stelle einst der Palast der Republik stand. „Dass man Zwischenzustände aktiv gestaltet, ist wichtig“, glaubt Lüscher, „auch wenn die Mittel knapp sind. Es muss ja auch nicht viel kosten, aber es sollte die Lebensqualität der Stadt steigern.“ Man müsse nur gute Ideen haben. So überzeugten auch Projekte wie das Badeschiff in der Spree oder die Prinzessinnengärten in Kreuzberg, wo Menschen aus der Nachbarschaft zusammenkommen, um Kräuter und Gemüse anzupflanzen. Ein Stück ländliche Idylle mitten in der Stadt. Dagegen ist die Freilichtbühne des Mauerparks in Prenzlauer Berg eine Begegnungsstätte für Kulturveranstaltungen verschiedenster Art – von spontan bis geplant, von Karaoke bis Akrobatik. „Berlin bietet eben Raum für solche Aktionen“, sagt Regula Lüscher.

Dass Stadtmenschen in den öffentlichen Dialog eintreten, wenn ihnen Raum dazu gegeben wird, zeigte sich auch eindrucksvoll bei der letztjährigen Biennale auf dem Oranienplatz. Eine Installation des Künstlers Ron Tran, bei der die Parkbänke in der Mitte des Platzes zusammengerückt wurden, brachte die Kreuzberger ins Gespräch. Es seien einfache Ideen, wie diese, die funktionieren, meint Eike Becker. „Wir wollen den öffentlichen Raum für die Zukunft stärken, ihn wiederbeleben, damit alle Menschen wieder am öffentlichen Leben teilhaben und offen diskutieren können.“

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