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Berlin-Spandau, Siedlung an der Obstallee.

© Kai-Uwe Heinrich

Moderner Städtebau: Jede Siedlung braucht eine Seele

Zu oft verliere sich die Politik in Bedarfquerelen. Das bremse moderne Architektur aus. Ein Gastbeitrag.

Nach Cornelius Gurlitt – geschrieben in seinem Buch „Handbuch des Städtebaus“ von 1920 – besteht die ungeheure Verantwortung der Städtebauerinnen und Städtebauer darin, das Dauerhafteste im Gesamtleben einer Stadt zu schaffen. Dabei müssen diese den Mut haben, sich der „praktischen Leute“ zu erwehren, die nach stetig wechselnden Augenblicksbedürfnissen im politischen Alltagsgeschäft handeln.

Wenn wir uns in der Stadt bewegen – als Bewohner im Rahmen unserer alltäglichen Pflichten und Gewohnheiten oder als Tourist eher aus Neugierde und unsere Freizeit genießend – empfinden wir Freude oder wir empfinden Unwohlsein, Langeweile oder eine Leere, die vom gebauten Raum ausgeht. Vor dem Hintergrund dieser Empfindungen der Stadtbewohner im Stadtraum, der ja unser Wohnraum ist (mit allem, was dazugehört), stellt sich die Frage: Was macht eine gute Stadt eigentlich aus, wenn sie über eine lange Zeit für eine große Zahl an Nutzern attraktiv, ja unter existenziellen Anforderungen identitätsstiftend sein soll? Gegenüber all unseren alltäglichen „Aktionsthemen“ zwischen Arbeit, Familie, Schule, Kita und Einkauf hat unser Stadtraum mit seinen Straßen, Plätzen und Häusern eine existenzielle und langfristige Dimension. Alles, was wir in unserem Alltag tun, tun wir in unserer Stadt, unserer Heimat.

Siedlung ohne Seele

Was heißt das für unsere Städte, die heute unter einem enormen Entwicklungsdruck stehen? Wie planen und bauen wir weiter? Wir brauchen eine Vision und diese Vision muss historisch und kulturell fundiert sein. Das, was es schon gibt an positiven Beispielen (ältere und neuere) kennen wir und der damit verbundene Marktwert in Berlin, Paris, Mailand oder New York ist so hoch, dass nun sogar die Gefahr besteht, dass die normalen Stadtbewohner und das damit verbundene Stadtleben verschwinden zugunsten unbelebter Kapitalanlagen.

Wie kommt es eigentlich dazu, dass die schönen Wohnräume von Finanz- und Investitionskapital längst erkannt, bewertet und verkauft werden, viele Architekten und Planer (mit ihren Politikern) davon aber offensichtlich nichts verstehen und ständig allen möglichen Themen hinterherrennen, die mit der guten Stadt, wie wir sie kennen, rein gar nichts zu tun haben? Nur ein Beispiel von vielen: das Bornstedter Feld in Potsdam (ähnliches gilt – wenn auch etwas „schicker“ – für die Europacity in Berlin), ein riesiges Gelände mit tausenden von Wohnungen und einem großen Park. Zeilen und Punkthäuser beliebig zusammen gemischt in allen Formen und Farben (meist eher billig in der Ausführung), ohne Stil und ohne jede stadträumliche Verbindlichkeit, monofunktional und langweilig (es gibt ja Rewe, das mit seinen Parkplätzen den Stadteingang besetzt).

Wenn ein großes Stadtquartier nichts weiter ist, als eine beliebige Ansammlung an Klötzen, können wir weder von Stadtraum noch von Wohnraum sprechen – am ehesten noch von „Schlafstadt“, wie wir das aus dem „Siedlungsbau“ aus der Nachkriegszeit des vergangenen Jahrhunderts kennen. Aber es gibt ja noch die Potsdamer Innenstadt, Gott sei Dank – nur, unsere historischen und schönen Innenstädte brechen unter der Last, die Sehnsucht nach der Stadt zu stillen, die uns die desolaten Neubaugebiete nicht bieten können, zusammen.

Die Möglichkeiten sind da

Was müssen wir tun, wenn wir neue Stadtquartiere bauen wollen, die als Wohnraum überzeugen? Wir brauchen eine Architektursprache, die bei allen technischen, funktionalen und politischen Zielsetzungen zeitlos und in ihren qualitativen Belangen attraktiv ist. Hier geht es (nehmen wir mal als positives Beispiel den Berliner Reformwohnungsbau des frühen 20. Jahrhunderts) um starke öffentliche Räume, gute Wohnungen und schöne Häuser mit attraktiven Freiflächen. Die europäische Stadtbaukultur ist voll von guten Beispielen und die sollte man eigentlich alle kennen.

Die Liebe der Architekten zum „Designobjekt“ hat damit nichts zu tun und hilft auch nicht aus der Misere, genauso wenig hilft uns die politische Debatte, die sich in all ihren Bedarfsquerelen verzettelt. Wo bleibt das Bild der Stadt, die ebenso faszinierend wie verbindlich über Jahrzehnte hinweg unseren Wohnraum schafft – schön anzusehen, großzügig und verbindlich angelegt und funktional mit all unseren Alltagsaktivitäten verknüpft? Dies ist ein Anfang, mehr nicht, und genau da stehen wir! Die Möglichkeiten der architektonischen Ausgestaltung auf dem Weg zu einer guten und schönen Stadt sind vielfältig und immer wieder überraschend.

Eine „smartcity“ alleine oder die Ansammlung funktionaler, politisch motivierter Planungsdaten ohne eine architektonische Vision helfen uns nicht weiter.

Der Autor lebt und arbeitet als Architekt in Berlin. Neben weiteren Preisen und Nominierungen ist Klaus Theo Brenner im Jahre 2009 für das Projekt Rummelsburger Bucht in Berlin mit dem deutschen Städtebaupreis ausgezeichnet worden.

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