zum Hauptinhalt
Masdar City im arabischen Emirat Abu Dhabi ist eine smarte Utopie, geplant als Modellstadt für nachhaltiges Leben.

© mauritius images/Manoj Attingal/Alamy

Was wurde aus der Zukunftsstadt Masdar City?: Auf der Sonnenseite der Moderne

Wenige Kilometer entfernt vom Flughafen von Abu Dhabi wächst allmählich eine Ökostadt der Superlative.

Den Eingang zu Masdar City, der Ökostadt im Emirat Abu Dhabi, markiert ein Bürohaus, in dessen rechter Hälfte die Regionalverwaltung des „Siemens“-Konzerns residiert. Geradezu steigt ein Durchgang über einige Stufen leicht hinan, und links verbreitet ein Café den Hauch von urbanem Leben. Folgt man der Treppe, findet man sich bald zwischen rotbraun verkleideten Bauten wieder, zwischen denen schmale Gassen verlaufen und kleine Plätze sich öffnen. Die Gebäude stehen eng genug zusammen, um Schatten zu spenden – Schatten und Wind sind die Ingredienzen, die Masdar City ein angenehmes Klima ermöglichen, jedenfalls im Vergleich zur Gluthitze draußen auf freiem Feld, das hier allerdings staubige Halbwüste bedeutet.

Es gibt viel freies Feld rings um das Gebäudeensemble, das nun schon seit Jahren Masdar City ausmacht, die bei Baubeginn vor knapp einem Jahrzehnt mit so viel Vorschusslorbeeren bedachte „Ökostadt“. Dort sollten sich von der solaren Stromerzeugung bis hin zum vollständigen Recycling-Kreislauf so ziemlich alle Techniken im Alltag beweisen und bewähren, die mit dem unscharfen Begriff der „Nachhaltigkeit“ bedacht werden. Auf ein Viertel des Gewöhnlichen sollte der Energiebedarf pro Kopf der für den Endausbau angepeilten 50 000 Einwohner gesenkt werden, und die CO2-Bilanz sollte sich, aufs Ganze gerechnet, gleich ganz auf die neutrale Null reduzieren.

Autoverkehr statt Schnellbahn

„Statt Zero-Kohlenstoff-Emission haben wir nun wieder Autoverkehr“, meint Prajowal Manander trocken. Er stammt aus Nepal und ist Doktorand des Masdar-Instituts, dem wissenschaftlichen Mittelpunkt der Experimentalstadt und Ableger der Technischen Universität Abu Dhabis. Wir treffen ihn bei einer Klimamessung unter einer Ansammlung jener Gummibäume, die zusammen mit kleinen Brunnenanlagen die intimen Stadtplätze schmücken.

Er promoviert in Computertechnologie und ist für Schönfärberei nicht zu haben: „Nun sind eben ringsherum Parkplätze angelegt worden“. Diese riesigen, mit Sonnenschutzdächern versehenen Anlagen sprechen eine deutliche Sprache. Statt der einst geplanten Schnellbahn, zu deren Haltestellen kein Gebäude mehr als 200 Meter Fußweg entfernt sein sollte, nutzen die Beschäftigten der in Masdar angesiedelten Technologiefirmen ebenso wie die wenigen Bewohner in ihren komfortablen Appartements nolens volens das Auto, um nach Abu-Dhabi-Stadt zu pendeln, deren Geschäfts- und Einkaufsgegenden gute dreißig Kilometer entfernt in Richtung des offenen Meeres liegen.

Die Finanzkrise kam dazwischen

Die ursprüngliche Planung von Masdar City stammt vom Londoner Architekturbüro Foster + Partners. Pritzker-Preisträger Norman Foster hat auch die in rötlich durchgefärbtem Faserbeton errichteten Bauten entworfen, die mit ihren aus Sandstein aus Rajasthan gebildeten und geometrisch durchbrochenen Balkonbrüstungen dem Kernbereich von Masdar City einen Hauch von indo-islamischer Baukunst geben. Nach außen schließen sich eher in Hightech gestaltete Hochschulbauten an, darunter das auf Stützen gestellte, allseitig auskragende Freizeitzentrum mit einer riesigen Sporthalle unterm Dach. Auch hier kann, wie beim Bürohaus am derzeitigen Hauptzugang des Städtchens Luft hindurchzirkulieren und so für Abkühlung sorgen.

Wenn das Thermometer draußen auch im November noch auf gut 34 Grad ansteigt, werden schon ein paar Grad weniger als merkliche Wohltat empfunden. Überstehende Solarpaneele auf allen Dächern erinnern auch den Passanten der schattigen Gassen daran, dass die Sonne hier Besseres vermag, als nur die Atmosphäre aufzuheizen.

So weit, so gut – nur ist die Entwicklung von Masdar-Stadt nicht so vorangeschritten, wie es anfangs geplant war. Die Finanzkrise der Jahre nach 2008 zog die Vereinigten Arabischen Emirate und damit auch Abu Dhabi stark in Mitleidenschaft. Die auf einen zweistelligen Milliardenbetrag veranschlagten Investitionen kamen zum Erliegen. Das Schmuckstück des „Personal Rapid Transit“, eines Systems automatisierter Kabinen, die sich führerlos mit individueller Zieleingabe in dem „Verkehrsdeck“ genannten Untergeschoss unter dem gesamten Städtchen bewegen sollten, fährt lediglich zu Demonstrationszwecken im Kreis, mit Ein- und Ausstieg unter dem Informationszentrum. Dort im Untergeschoss nehmen Gruppenführungen ihren Ausgang, und gern lassen sich auch emiratische, in das traditionelle, schneeweiße Langhemd Kandura gekleidete „VIPs“ herumführen, für die das allgegenwärtige Sicherheitspersonal diensteifrig den Zugang vom Foyer her mit Klebeband sperrt.

Noch ist die Stadt eine Baustelle

Inzwischen aber ist die großmaßstäbliche Bautätigkeit wiederaufgenommen worden. Das riesige Gelände zwischen dem Kernbereich der Stadt und einigen weiter entfernten Wohnanlagen wird mit weiteren Verwaltungsbauten geschlossen; der Ankündigung auf dem verloren wirkenden Bauzaun zufolge zudem mit einer Shopping Mall, ohne die im wüstenheißen Golf-Klima kein Leben denkbar ist.

Als Jahr des Endausbaus wird nunmehr 2030 anvisiert. Das Stadtmodell im Informationszentrum lässt keinerlei ungewöhnliche Planungsgrundsätze erkennen; der Besucher fühlt sich eher an das Modell eines deutschen Stadtentwicklungsvorhabens erinnert. Indessen: die auf vier bis fünf Etagen begrenzte Traufhöhe der angenehm proportionierten Baublöcke ist per se schon eine deutliche Botschaft in einer Region, in der Hochhäuser als Ausweis ökonomischer Stärke gefeiert werden – ungeachtet der ökologischen Negativbilanz, die insbesondere die Kühlung der freistehenden, zumeist vollverglasten Turmbauten verursacht.

Wie stark sich das Nachhaltigkeitskonzept von Masdar City tatsächlich auswirkt, darüber lassen sich keine zuverlässigen Angaben machen. Denn die stets verkündeten Einsparpotenziale von 65 und mehr Prozent sind stets bezogen auf den Durchschnittsverbrauch im Emirat respektive auf der ganzen Arabischen Halbinsel, die mit die höchsten Werte weltweit aufweist. Auch auf den Parkplätzen von Masdar City, auf denen längst Häuser stehen sollten, reihen sich die voluminösen Allradler aneinander, die im Emirat zur Grundausstattung eines jeden Haushalts zählen. Die Leihfahrräder, die so dekorativ vor der „Siemens“-Zentrale stehen, finden augenscheinlich noch keine Nutzer.

Unweit der Modellstadt erstreckt sich der Flughafen von Abu Dhabi, dessen Kapazität derzeit mit dem Bau eines großzügigen Terminals verdoppelt werden soll. Abu Dhabis Zukunft hängt an seinen Funktionen als Verkehrsdrehscheibe sowie als Tourismus-Destination: Da wird Masdar City allenfalls ein Experimentierfeld für weltweit zu vermarktende Umwelttechnologien bleiben.

Übrigens: „Masdar“ bedeutet im Arabischen „Quelle“. Und eine Quelle ist noch immer das Kostbarste, was sich in der hier meist staubig-grauen Wüste finden lässt.

Zur Startseite