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Kein Projekt für Finanzinvestoren: Der Pfanni-Erbe Werner Eckart sieht das Werksviertel als einen Beitrag gegen die Gentrifizierung.

© steidle architekten

Werksviertel München: Wohnen, wo Schafe weiden und Sänger knödeln

Die Industriebrache von Pfanni in München wird zum Kreativ- und Wohnquartier mit Konzerthaus.

Das Werksviertel am Münchner Ostbahnhof mutet chaotisch an. Das einstige Gelände des Knödel-Produzenten Pfanni war lange Zeit eine riesige Industriebrache. Jetzt wird gebaut am großen Gegenentwurf zur funktionalisierten Stadt – mit Wohnungen, Ateliers, Gewerbe und dem neuen Münchner Konzertsaal. Pfanni-Erbe Werner Eckart möchte das so und will sich damit auch gegen die Gentrifizierung stellen.

Zu Beginn zeigt Johannes Ernst ein Modell, das wie eine völlig aus den Fugen geratene Lego-Stadt aussieht. Eine Stadt, die viele Baumeister mit äußerster Energie und viel Geschick errichtet haben – aber auch mit einigen chaotischen Ansätzen. Unmengen an Klötzchen sind hier übereinander geschichtet, ineinander verschränkt mit gewagten Konstruktionen. Straßen sind zu sehen mit Bäumen an den Seiten, Plätze, Innenhöfe. Das Modell dieser Stadt hat sich in die Breite ausgedehnt und ist an einigen Stellen in die Höhe gewachsen. Es stellt das neue Werksviertel dar – Münchens „spannendste Baustelle“, wie das Projekt am Ostbahnhof in den Medien bezeichnet wird.

„Vom Konzern bis zur Nähstube, vom Wohnungseigentümer bis zum Mieter, der nicht so viel zahlen kann – hier wird alles da sein“, schwärmt Johannes Ernst. Der Architekt ist so etwas wie „The Brain“ des Werksviertels. Das renommierte Münchner Büro Steidle Architekten hat den Auftrag für das Projekt bekommen, Ernst ist dort geschäftsführender Gesellschafter.

Menschen "mit jedem Geldbeutel" sollen hier leben

Im Werksviertel sollen 3000 Menschen wohnen und 12000 arbeiten – und das bunt durchmischt. Das neue Quartier steht auf historischem Industrie-Grund: Hier produzierte einst Pfanni mit 1000 Mitarbeitern Knödel und Kartoffelbrei, bis der Standort 1996 aufgegeben wurde. Das ist Münchner Industriegeschichte, die Gegend wurde zum Brachland.

Dem Pfanni-Erben Werner Eckart verblieb das Gelände. 38 Hektar, das sind 53 Fußballfelder. Er siedelte die Kultfabrik an, wo es bis zum Ende 2015 Konzerte und Partys gab. 2012 wurde die „Medienbrücke“ bezogen und gab den Startimpuls – ein langes Gebäude, das in 46 Metern Höhe auf einem Haus und auf einem Pfeiler steht und somit in der Luft zu schweben scheint. Dort sind große Werbeagenturen untergebracht.

Eckart möchte viel von der alten Pfanni-Industriearchitektur erhalten. Er will dabei, so sagt er, „nicht nur auf den kommerziellen Nutzen schauen“. Menschen „mit jedem Geldbeutel“ sollen hier gerne leben. Der 48-jährige Eckart sieht das Werksviertel ausdrücklich als einen Beitrag gegen die Gentrifizierung, es ist kein Projekt für Finanzinvestoren. Getragen wird es von neun Partnern, darunter die Stadt München, der Eckart-Firma Otec oder dem Elektronikkonzern Rohde und Schwarz, der seinen Firmensitz direkt neben dem Werksviertel hat.

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Im Werk 3 haben Künstler ihr Atelier eingerichtet

Auf zum Rundgang mit Johannes Ernst, dem Architekturplaner. „Werk 3“ ist ein langgezogenes, sechsgeschossiges Gebäude. Früher wurden hier aus Kartoffeln Knödel gemacht und Kartoffelpüree hergestellt. Die alte Fabrikhalle war fast dem Verfall preisgegeben. „Diese Nutzgebäude waren in einem erbärmlichen Zustand“, erinnert sich Ernst. Jetzt befinden sich im Werk 3 unten ein Laden für Kinderausstattung, einer für Künstlerbedarf und ein Möbelgeschäft mit eigener Manufaktur. Die Fabrik-Atmosphäre ist geblieben: rohe Böden und Mauern, die Technik ist offen verlegt, man sieht die Zinkrohre der Belüftung. Vor dem Haus springt Johannes Ernst die Rampe hinauf – „das ist alles noch von der Fabrik geblieben“, meint er.

Werk 3 ist fertig und wirkt doch unfertig, wie ein Provisorium, das sich stets verändert. „Ganz bewusst haben wir brutale Kontraste gelassen“, erzählt der Architekt. Im Innern besteht das Gebäude aus Etagen und Räumen mit riesiger Höhe. Oben hat sich eine große Marketingagentur angesiedelt. Hier wurden kürzlich zwei neue BMW-Autos vorgestellt. Die Autos standen in einer weiten Halle im fünften Stock, eine spezielle Hebebühne hatte sie nach oben transportiert. „München hoch 5“ werden diese flexiblen Räume genannt – für Präsentationen oder Feiern mit sehr großen Fensterflächen, zugleich ist es Gastronomie, es gibt eine Bar mit kleinem Pool und Blick über München. Industrieboden, Stahl, dunkles Holz – dieses Design prägt „München hoch 5“.

Im selben Werk 3, einen Eingang weiter, ist der Atelierraum zweier junger Künstler. Robert Weissenbacher, 32 Jahre alt, und Sinan von Stietencron (31) arbeiten hier mit vielen Pinseln und Leinwänden, es riecht nach Farben. „Für uns ist das ideal“, sagt Weissenbacher. „Ich arbeite hart, malen ist eine harte Arbeit.“ Manchmal ist er zehn oder zwölf Stunden im Atelier. Er mag den Werkstattcharakter des Gebäudes. Künstler erhalten hier günstige Ateliers, die querfinanziert werden. So will es Pfanni-Erbe Werner Eckart ausdrücklich.

Das Wohnviertel ist noch in Planung

Wieder raus, wo überall gebaggert und gebohrt und gehämmert wird. Das bleibt noch eine Weile so. „In zehn, vielleicht in 15 Jahren ist alles fertig“, schätzt Johannes Ernst. Insgesamt werden in das Werksviertel 1,5 Milliarden Euro investiert. Der Architekt zieht weiter durch das Gewirr und Gewimmel.

Im Werk 1 etwa sind schon seit einem guten Jahr kleine, neu gegründete Firmen angesiedelt, meist Start-ups aus der Computer-Branche. Besonders freut sich der Pfanni-Mann Werner Eckart auf das neue Dach von Werk 1. Eine saftige Wiese will er dort ansäen, Schafe sollen hinzukommen, auch plant er ein Insektenhotel sowie eine Bienenzucht.

Von dem Wohnviertel ist noch nicht viel zu sehen, es ist in Planung. Einen Hochhaus-Wohnturm soll es geben und etliche mehrgeschossige Anlagen mit Innenhöfen. Ein Einkaufszentrum ist geplant, eine Grundschule und mehrere Kitas. 30 Prozent der Wohnungen entstehen im geförderten Wohnungsbau, sind also für finanziell schwächere Familien gedacht. Und in einem größeren Park wird in der Mitte ein riesiger alter Schornstein aus Pfanni-Zeiten stehenbleiben. Wo kommt der Maibaum hin? „Da gibt es keinen“, sagt Johannes Eckart und lacht. Mit so etwas kann sich der 50-jährige Architekt nicht anfreunden. „Wir versuchen, jede Art von Tümelei zu vermeiden“, meint er.

Die Medienbrücke ist der jüngste Vorbote des modernen Quartiers.
Die Medienbrücke ist der jüngste Vorbote des modernen Quartiers.

© promo Werksviertel

Der neue Münchner Konzertsaal soll im Werksviertel stehen

„Hier wird nicht Tabula rasa gemacht“, sagt Ernst, „sondern eine organische Entwicklung von innen heraus.“ Stück für Stück arbeite man sich voran – genau das ist der Unterschied und das Gegenmodell zur Satellitenstadt, zur Parkstadt, die mit einem Knall hingedonnert werden. „Wir bringen Gewerbe und Wohnen viel stärker zusammen“, meint Ernst. „Wir nehmen die produktive Stadt beim Wort.“ Und: Das Werksviertel soll die „Gegenthese zur funktionalisierten Stadt sein“ – zur Stadt, in der Wohnen, Arbeiten, Freizeit aufgespalten sind.

Dann gibt es noch das Sahnehäubchen für das Werksviertel: Im Dezember vergangenen Jahres beschloss das bayerische Kabinett, dass der neue Münchner Konzertsaal im Werksviertel stehen soll. 15 Jahre lang war über dieses Prestigeprojekt gestritten worden, alle erdenklichen Standorte wurden diskutiert. Für das Werksviertel ist das natürlich eine Ehre, denn der Konzertsaal bedeutet großes internationales Renommee. „Eine normale Parksiedlung hätte das natürlich nicht bekommen“, meint Ernst. Immerhin wurden Standorte direkt in der Stadt ausgestochen. Dazu wurde geschrieben: „Knödelfabrik wird Konzertsaal.“

HISTORIE: Traditionsunternehmen, wie Pfanni, Zündapp, Konen und Optimol prägten einst den Standort

GESAMTFLÄCHE: 292 917 Quadratmeter

FREIFLÄCHEN: Circa 38 400 qm
VERKEHRSFLÄCHEN: Circa 51 700 qm
NEUE WOHNUNGEN: Circa 1200

FERTIGSTELLUNG: Circa 2017

EINWOHNER: Circa 3000

IM INTERNET: www.werksviertel.de

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