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Zwangsversteigerungen (2) - Wo der Mieter bleibt: Alles Verhandlungssache

Was passiert, wenn die Mietwohnung versteigert werden soll? Ein Ehepaar in Berlin hat es durchlebt.

Die Ankündigung kam aus heiterem Himmel. In der Mitte des Schreibens, das die Berliner Eheleute Astrid und Karsten Schütze (Namen geändert) im vergangenen August in ihrem Briefkasten fanden, stand in gefetteten Großbuchstaben: „Zwangsverwaltung“. Absender des Briefes war ein Rechtsanwalt, der dem Ehepaar mitteilte, dass es ab sofort die Miete für die Dreizimmerwohnung in Prenzlauer Berg an ihn zu überweisen habe. Auf telefonische Nachfrage erfuhren die Mieter vom Zwangsverwalter, dass der bisherige Eigentümer überschuldet sei und früher oder später eine Zwangsversteigerung anstehe. Das Amtsgericht habe bereits entsprechende Schritte eingeleitet.

Die Schützes hatten schlaflose Nächte. Denn sie fühlten sich in ihrer Wohnung wohl und wollten nicht ausziehen – was nach einer Zwangsversteigerung durchaus passieren könnte, wie ihnen Bekannte erzählten. Ihre Angst: Wenn es zur Zwangsversteigerung käme, würde der neue Besitzer entweder die in den vergangenen Jahren stabile Miete drastisch anheben – oder er würde gleich Eigenbedarf anmelden und sie loszuwerden versuchen. Zwar erfuhren sie bei der Rechtsberatung der Berliner Mietergemeinschaft, dass man dagegen vorgehen kann. Aber die Unsicherheit beunruhigte sie dennoch.

Also beschlossen sie, ihre Möglichkeiten zu erkunden. Vielleicht könnten sie „ihre“ Wohnung ersteigern? Oder besser noch: kaufen? Sie holten sich Rat bei einem Fachanwalt. Der präsentierte diese Optionen: Entweder warteten die Eheleute auf die Zwangsversteigerung und setzten darauf, mit dem besten Gebot zum Zuge zu kommen. Dafür bräuchte man aber starke Nerven, ergänzte der Anwalt. Oder sie versuchten vorher, die Wohnung zu kaufen, um so einer Zwangsversteigerung zuvorzukommen. Im Endeffekt mussten sie jetzt die zu erwartenden Kosten gegen das mögliche Risiko abwägen: Hätten sie die Versteigerung abgewartet, wäre vielleicht ein besonders günstiger Preis möglich gewesen. Andererseits hätte dies auch die Gefahr mit sich gebracht, die in einem attraktiven Teil von Prenzlauer Berg gelegene Wohnung nicht gegen andere, womöglich mit mehr Geld ausgestattete Interessenten verteidigen zu können. Also entschlossen sich die Schützes, ihr Glück zu versuchen, bevor es überhaupt zur Zwangsversteigerung kommen konnte.

Nun ging es um die Frage, mit wem man in dieser Situation überhaupt über einen Kauf verhandeln kann: Mit dem bisherigen Eigentümer, der bereits einen Preisvorschlag unterbreitet hatte, aber ja eigentlich wirtschaftlich gar nicht mehr das Sagen über die Wohnung hatte? Mit dessen Bank, die als Gläubigerin auftrat? Mit dem Insolvenzverwalter? Die Antwort des Anwalts: Mit dem Eigentümer und dessen Bank gleichzeitig verhandeln. Denn es ging nun darum, einen Preis zu finden, den sowohl der bisherige Eigentümer als auch seine Bank akzeptabel finden, da Letztere offiziell Herrin des Verfahrens ist, aber der bisherige Eigentümer bei einem zu niedrigen Gebot in so einem Fall auch „Nein“ sagen kann. Um den angemessenen Preis zu ermitteln, sammelten Schützes Informationen aus der Nachbarschaft und holten sich einen Ingenieur ins Haus, der als Sachverständiger Haus und Wohnung einschätzte – für ein stolzes Honorar von knapp 600 Euro. Dabei wurde deutlich, dass Haus und Wohnung keine offensichtlichen Mängel oder Risiken von größerem Umfang aufwiesen, dass es aber durchaus ein paar kleinere Schäden gibt, die sich in den Kaufverhandlungen preismindernd auswirken können.

In den Verhandlungen um den Kaufpreis – die Schützes versicherten sich für weitere 1600 Euro der Unterstützung eines Anwaltes – orientierte sich das Ehepaar anfangs an der Größenordnung, die ihnen der Anwalt für Zwangsversteigerungen genannt hatte: Dort gehen Immobilien beim ersten Versteigerungstermin in der Regel für mindestens siebzig Prozent des gutachterlich ermittelten Verkehrswertes an den neuen Eigentümer. Also boten Schützes dem bisherigen Eigentümer ihrer Wohnung etwas mehr als siebzig Prozent dessen, was dieser in den Vorgesprächen selbst verlangt hatte. Nach einigen Verhandlungen wurde rasch deutlich, dass der Eigentümer sich auf diesen Niedrigpreis nicht einlassen und dann die Wohnung eher vor der Zwangsversteigerung auf dem freien Markt anbieten würde. Das wollten Schützes ebenfalls verhindern. Also einigte man sich nach einigem Hin und Her auf einen Kaufpreis, der bei 95 Prozent der anfangs vom Eigentümer geforderten Summe von 300 000 Euro lag. Das war zwar deutlich mehr, als die Schützes ursprünglich hatten zahlen wollen, aber es lag gerade noch an der Obergrenze des maximal möglichen Finanzierungsrahmens, den die Eheleute zuvor mit ihrer Bank ausgehandelt hatten. Eine Nachfrage bei der Bank des Eigentümers ergab, dass diese mit dem Verhandlungsergebnis ebenfalls einverstanden war.

Im Dezember unterschrieben Schützes den Kaufvertrag für ihre Wohnung. Nun zahlen die beiden keine Miete mehr, sondern Hausgeld und bringen die monatlichen Raten für den Kredit ihrer Bank auf. Der Übergang vom Miet- zum Eigentumsverhältnis wurde von der Hausverwaltung taggenau abgerechnet. Zum Schluss waren lediglich noch umfangreiche Formalitäten durch den Notar zu regeln, von der Tilgung der bisherigen Grundschuld bis zum Eintrag ins Grundbuch. Kürzlich erreichte das Ehepaar Schütze ein weiterer Brief: Die Zwangsverwaltung sei nunmehr aufgehoben. Jetzt können die beiden wieder ruhig schlafen.

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