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Einen Arbeitsplatz mit Perspektive haben die Tesla-Beschäftigten in Grünheide. Das Autowerk wurde diese Woche in Anwesenheit von Tesla-Gründer Elon Musk und Bundeskanzler Olaf Scholz eröffnet. Neben der Automontage entsteht in Brandenburg auch eine große Fabrik für Batteriezellen.

© AFP

Industrie im Wandel: Autoland 2.0

Mit 200 Millionen Euro fördert der Bund Netzwerke, die die Zukunftsfähigkeit der Branche sichern sollen- auch in Berlin-Brandenburg.

Im Vergleich zu anderen Ballungsräumen ist Berlin eine industrielle Wüste, nach der Wende gingen 100 000 Arbeitsplätze verloren. Doch jetzt blüht die Hauptstadtregion auf. „Berlin ist auf dem Weg zum Autoland 2.0“, glaubt jedenfalls Stefan Franzke, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Berlin Partner. Am Beispiel Tesla werde die Bedeutung von Betriebssystemen im Auto sowie überhaupt von Software für Komfort-, Entertainment- und Sicherheitsfunktionen deutlich. Und da kommt nun die „Startup- und Softwarehauptstadt Berlin“ ins Spiel, wie Franzke meint. „Hier konzentrieren sich die Software-Einheiten der Autokonzerne“, sagte der Wirtschaftsförderer dem Tagesspiegel.

"Berlin als Vorreiter"

Berlin Partner hat sich gemeinsam mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, Bildungsträgern und wissenschaftlichen Einrichtungen um Fördermittel zur Flankierung der Transformation in der Autobranche beworben. Und wird vermutlich dafür gut sieben Millionen Euro bekommen. Wie es sich für einen Wirtschaftsförderer gehört, haut Franzke kräftig auf die Pauke. Das geplante Netzwerk wolle „die Berliner Vorreiterrolle für die gesamtdeutsche Auto-Branche nutzbar machen und möglichst viele lokale Unternehmen der Automobil- und Zulieferindustrie auf dem Weg in die neue Auto-Welt mitnehmen“. In Berlin-Brandenburg würden sich derzeit Wertschöpfungsketten schließen, die vor kurzem undenkbar waren, „von der Lithium-Raffinerie hin zu Batteriezellfertigung und Automobilmontage“, freut sich Franzke.

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200 Millionen vom Steuerzahler

Im Sommer letzten Jahres hatte das Bundeswirtschaftsministerium 200 Millionen Euro ausgelobt für regionale Transformationsnetzwerke, um „den Wandel in der Fahrzeugindustrie“ zu unterstützen. „Unternehmen, Universitäten, Gewerkschaften und lokale Behörden können gemeinsam die besten Ideen und Lösungen für eine in den Regionen stark verwurzelte Fahrzeugindustrie entwickeln und umsetzen“, formulierte das Ministerium den Anspruch. Die Transformationsnetzwerke sind Teil des Zukunftsfonds Autoindustrie, mit dem die Bundesregierung eine Milliarde Euro für „die Herausforderungen des Strukturwandels in der Automobilindustrie“ bereitstellt.

Niedersachsen und Saarland sind vorn

Die Transformation ist ein gutes Geschäft für Berater. Als Projektträger wickelt im Auftrag des Bundes die VDI/VDE Innovation + Technik GmbH Fördermaßnahmen ab. Zwei Dutzend Anträge haben die VDI/VDE-Leute in den vergangenen Monaten gesichtet, zwei Bewilligungsbescheide gingen bislang raus für Südostniedersachsen und das Saarland. Ende März läuft die Antragsfrist ab. Spätestens Ostern rechnen die berlin-brandenburger Initiatoren und Netzwerker mit einem positiven Bescheid, sodass dann eine Handvoll Transformationsberater eingestellt werden kann. Der rund 80 Seiten umfassende Antrag des ReTraNetz BB, wie das berlin-brandenburgische Konsortium heißt, liegt seit Monaten vor.

Am Bahnhof Fangschleuse in unmittelbarer Nähe des Tesla-Werks hat die IG Metall ein Beratungsbüro eingerichtet, das vor allem der Mitgliederakquise dient.
Am Bahnhof Fangschleuse in unmittelbarer Nähe des Tesla-Werks hat die IG Metall ein Beratungsbüro eingerichtet, das vor allem der Mitgliederakquise dient.

© Geisler-Fotopress

IG Metall als Treiber

„Es reicht nicht, schöne Papiere zu verfassen, wir brauchen auch Pilotprojekte mit Ausstrahlung“, sagt der Berliner IG Metall-Chef Jan Otto. Die Industriegewerkschaft hatte im Rahmen der Autogipfel bei Angela Merkel darauf gedrängt, dass die Bundesregierung Steuergeld in die Hand nimmt, um der deutschen Schlüsselbranche und vor allem den Beschäftigten den Weg in die Zukunft zu ebnen. „Die Transformationsberater müssen konkret arbeiten", sagt Otto im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Dazu dürfe das ReTraNetz BB nicht zu einem reinen Autoprojekt werden: „Die Energiewirtschaft gehört auch dazu“, meint Otto und hat dabei unter anderem mit Siemens den größten industriellen Arbeitgeber Berlins im Blick.

Strategie in dreieinhalb Jahren

In Niedersachsen sind die Netzwerker schon bei der Arbeit. Rund 200 000 Beschäftigte aus der Mobilitätswirtschaft und angrenzenden Industrien sind in der Region Braunschweig-Wolfsburg vom Wandel betroffen. Das Projekt ReTraSon (Region Süd-Ost-Niedersachsen) ist am 16. Februar gestartet, angelegt auf dreieinhalb Jahre und ausgestattet mit 8,4 Millionen Euro, davon 7,6 Millionen vom Bund. In vier sogenannten TransformationsLabs werden die Bereiche Technologie, Infrastruktur, Arbeit und Geschäftsmodelle „thematisiert und Lösungen entwickelt“.

Ein „Schnittstellenmanagement“ bemüht sich um Vernetzung „auf allen Handlungs-, Akteurs und Organisationsebenen“. Im Aktionsfeld „Zukunftsbild“ zum Bespiel befassen sich die Akteure mit den Bereichen Kommune, Wirtschaft, Arbeit und Gesellschaft. „Für jeden Bereich entwickeln sie einen Leitfaden und eine Handlungsempfehlung, die zusammen mit den vorgelagerten Aktionsfeldern die zentrale Transformationsstrategie bildet.“ Bis Mitte Juni 2025 soll die Strategie stehen.

In Berlin-Brandenburg geht das Konsortium ähnlich vor. Und das dürfte auch für die übrigen zwei Dutzend Projekte gelten, denn die Aufgabenstellung ist identisch. Am Anfang einer jeden Beratung steht die Analyse der bestehenden Verhältnisse. In der Hauptstadtregion geht es dann weiter auf einer strategischen sowie einer operativen Ebene, auf der Handlungsfelder identifiziert werden. Ob das auch die richtigen Felder sind, wird einmal im Jahr in einem Forum der Konsortialpartner diskutiert. Das sind neben Berlin Partner, die als Koordinator fungieren, das gewerkschaftliche Berufsfortbildungswerk bfw, die Akademie für Betriebliche Weiterbildung des Metallarbeitgeberverbandes, das Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen sowie der Fachbereich Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik der TU Berlin.

Instrument der Wirtschaftspolitik

Über die Laufzeit des ReTraNetz bis 2025 hinaus soll das Projekt ausstrahlen, weil zum einen die Transformation der Autoindustrie bis dahin dann nicht erledigt ist. Und weil „die erarbeiteten Strategieinstrumente, Methoden und Formate auch für andere, von Transformation betroffene industrielle Branchen von Nutzen sein“ könnten, heißt es im Konzept. „Somit besteht ein langfristiges Potenzial für ein universell einsetzbares Instrument der regionalen Wirtschaftspolitik.“

Tesla macht es möglich

Doch erstmal geht es um die Autoindustrie. Mercedes hat mit Marienfelde (Pkw- Motoren) und Ludwigsfelde (Transporter) zwei Standorte in der Region. BMW baut Motorräder in Spandau, und diverse Zulieferer – etwa ZF Brandenburg, Gestamp in Ludwigsfelde, Continental/Vitesco, Brose, Pierburg und APCB in Berlin – sind „wesentliche Anker für Industriebeschäftigung“. Hinzu kommen Entwicklungsdienstleister wie IAV, EDAG und INPRO, die einen Teil der 110 000 IT-Kräfte beschäftigen, die es allein in Berlin gibt und deren Anteil an der Wertschöpfung im Auto größer wird.

Der Haupttreiber der Entwicklung ist jedoch Tesla. „Die Zahl der industriellen Arbeitsplätze im Automobilsektor der Hauptstadtregion wird sich bei Umsetzung der Ausbaustufe 1 (2022/2023) von Tesla um cirka 35 Prozent auf etwa 52 000 erhöhen“, heißt es bei ReTraNetz. Ganz unabhängig davon, ob das Transformationsnetzwerk nun die Fördermillionen bekommt oder nicht.

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