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Wirtschaft: Käthe Schmidt

(Geb. 1921)||Missionarisch in Maßen. Unorthodox aus Überzeugung. Lebensfromm.

Missionarisch in Maßen. Unorthodox aus Überzeugung. Lebensfromm. Sie setzte die damalige Senatorin für Familie, Jugend und Sport Ilse Reichel in einen Rollstuhl und ließ sie durch Frohnau rollen. Bordsteinkante hoch, Bordsteinkante runter. Postamt: unzugänglich. Telefonzellen: unzugänglich. S- Bahnhof: unzugänglich. Die Senatorin begriff, und das Bauamt wurde angewiesen, die Bordsteine abzusenken. Käthe Schmidts Politik der kleinen Schritte.

Das gutbürgerliche Frohnau war keineswegs erfreut, als sich das ehemalige Kinderheim unter der Trägerschaft der Fürst-Donnersmarck-Stiftung zu einem Zentrum für die Rehabilitation behinderter Kinder und Jugendlicher entwickelte. Krüppel im Vorstadtidyll. Einige wollten gar in die Kirche. Das hieß 28 Stufen überwinden. Ein Aufzug? Wozu? Die selektive Nächstenliebe mancher Gemeindemitglieder hätte die „Sorgenkinder“ gern in einer anderen Kirche gesehen. Als der Aufzug nach Jahren feierlich eingeweiht wurde, sagte Pastor Schulz: „Wer wollte es sich schließlich mit Schwester Käthe verderben oder sich mit ihr anlegen!“

1966 hatte sie die Leitung des Heims übernommen und sorgte mit der ihr eigenen unermüdlichen Sturheit dafür, dass ihre Zöglinge sich wohl fühlen konnten. Das war nicht die Regel in deutschen Heimen. Damals wurden körperbehinderte Kinder oft jahrelang im Krankenhaus verwahrt oder ins Altenpflegeheim abgeschoben, es mangelte an Therapieplätzen, es mangelte an Verständnis.

„Sicher“, dichtete eine Bewohnerin des Heims, „Du bewegst Dich leichter, voll Anmut, und Du trägst Deinen Raum um Dich, suchst ihn Dir, bist mit anderen Menschen zusammen, die Dir Spiegel sind… Aber mir tun trotzdem die Bilder weh, die Du von mir hast und auch, dass Du nichts von mir weißt, weil ich in mir keine Antwort finde auf die Frage, Warum gerade ich – und nicht Du …“

Gesetzlich vorgesehen war für die Versorgung von Behinderten das Notwendigste. Ein zweites Paar Schuhe für den Winter, ein Bademantel statt eines Handtuchs? Die Notwendigkeit dessen konnten die Beamten in den Rechnungsstellen selten erkennen. „Wer im Rollstuhl sitzt, braucht keine Stiefel. Da genügen Pantoffeln.“ Die hätte ihnen Schwester Käthe am liebsten um die Ohren gehauen.

Dennoch war sie sich für keine Bettelei zu schade. Wo immer sie war, hielt sie die Hand auf. Eine Leselampe, ein Teppich, ein Aquarium für die Heimeligkeit. Eine Schaukel, ein kleines Trampolin brachten die Kinder zum Lachen – und auch die Pfleger.

Aber es ging nicht nur um Materielles. Als sie von einem Kind beim Erntedankfest gefragt wurde: „Schwester Käthe, warum legst du denn Steine auf den Tisch?“ begriff sie, dass die Kinder unter einem viel schlimmeren Mangel litten, dem Mangel an Welterfahrung. Die Steine waren ungeschälte Kartoffeln.

Also trieb sie Spenden ein für kleine Reisen, Lern- und Ferientage. „Was ist das denn da auf der Wiese?“ Schwester Käthe zeigte auf eine Kuh. – „Na, große Meerschweinchen!“

Kinder gehören nicht ins Heim, sie gehören in Familien. Also machte sich Schwester Käthe auf die Suche nach Patenschaften. Zuweilen führte das zu der erhofften Frage: „Können wir das Kind nicht für immer nach Hause nehmen?“

Käthe Schmidt öffnete Türen, und zuweilen blockierte sie Türen, ließ keinen durch, der nicht seinen Beitrag für die gute Sache geleistet hatte. Man kam nicht an ihr vorbei. Unübersehbar, groß, kräftig gebaut. Gern in Tracht, gern ohne. Missionarisch in Maßen, unorthodox aus Überzeugung, lebensfromm. So gestand sie einer Sechszehnjährigen die Pille zu – um Schlimmeres zu verhüten. Das brachte ihr prompt eine Anzeige aus der Nachbarschaft ein: „Im Heim wird zwangsweise die Pille verteilt!“

Käthe Schmidt stammte aus einfachen Verhältnissen. Geschwister hatte sie keine. Sie wusste früh, dass sie nicht mit Schönheit, aber mit viel Herz gesegnet war. Also lernte sie Volksschullehrerin. Nach dem Krieg durfte sie den Beruf zunächst nicht ausüben, weil sie beim BdM gewesen war. So kam sie zur Diakonie.

Sie war keine Freundin verwickelter pädagogischer Theorien, sie verfocht das familiäre Konzept: Alles meine Kinder. Und Feste muss man feiern, wie sie fallen. Das stiftet Zusammengehörigkeit.

Langeweile gab es nicht: „Prinz Hubertus von Frohnau und Prinzessin von Schönflies laden zur Faschingsfeier.“ Wertvolle Preise waren zu gewinnen: Eine Reise zum Kurfürstendamm im Wert von 4000 Pfennigen; eine Reise zum Ludolfingerplatz im Wert von 3000 Pfennigen, eine Reise zum Pilz im Wert von 1000 Pfennigen. Und beim jährlichen Sommerfest durften auch „die von draußen“ am Vergnügen teilhaben.

Begegnungen zulassen, suchen, erzwingen: „Ich möchte nicht immer die Fremde und Andere sein – lass mich neben Dich, damit Du weißt, was Du nicht bist, aber doch sein könntest…“

Viel Zeit für sich selbst blieb Schwester Käthe nach ihrer Pensionierung nicht mehr. Ihre Zuckerkrankheit zwang sie in den Rollstuhl. Sie wurde eine unbequeme Heimbewohnerin, aufmüpfig, eine, die immer etwas zu verbessern fand, getreu ihrer Ordensregel: sich niemals mundtot machen lassen, von nichts und niemandem.

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